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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

nicht mehr die Rede sein. Unter gewöhnlichen Verhältnissen hätte freilich die
Rückkehr des Friedens den Wert dieses Substrats wieder heben können,
allein die gleichzeitig begonnenen Reformen und namentlich die bevorstehende
Baucrncmanzipntion brachten -- wenigstens für die nächsten Jahre -- die ent¬
gegengesetzte Wirkung hervor. Die gesamte Pfcmdmassc, obgleich mit 700 Mil¬
lionen eingetragen, hatte doch in der Geschäftswelt jetzt nur den positiven Wert
von höchstens 350 Millionen. Die Banken verfuhren natürlich nnter dein
Eindruck dieser Entwertung, forderten große Hypothekenobjekte für vergleichsweise
geringe Darlehen und hemmten so auch ihrerseits deu Wicderanfschwuug der
Agrarproduktion. Als um mit Beginn des Jahres 1858 die Umlaufsmasse
der Kreditbillets in der Höhe von 735 297 000 Silberrubeln schließlich ihren
damaligen Gipfelpunkt erreicht hatte, die Gesamtschuld des Landes auf 1520
Millionen gestiegen war und die Negierung endlich energische Maßregeln zur
Beseitigung des finanziellen Notstandes, namentlich zur Verringerung der Papier¬
geldmasse ergriff, hatte die Entwertung der letzter" sich bereits deutlich heraus¬
gestellt und das Mißtrauen gegen das Reichspapiergeld sich so tief eingefressen,
daß ans Silber 20 bis 25 Prozent und selbst auf Kupfer 2 bis 4 Prozent
Aufgeld gezahlt wurde. Nur das erschöpfte und bankerottgewöhnte Österreich
hat ähnliche Schwankungen der Valuta aufzuweisen. In Rußland war die
dadurch veranlaßte Unsicherheit, ganz abgesehen von der unmittelbaren Wert-
cinbnßc, die sich auf etwa 130 Millionen berechnen ließ, noch umso empfind¬
licher, als sie in die Zeit der Reformen und eines teilweise ungesunden Unter¬
nehmungsgeistes fiel, also in eine Zeit, die mehr als je des baaren Geldes
bedürfte, und nnn die Landesmünze in Masse dem Auslande zuströmen sah.

Von diesem Augenblicke an wurde die Metallnot zum Krebsschaden, welcher
lauge jedem Versuche einer Konsolidirung der Geldverhültnisse im Wege stand.


2.

Das Verschwinden des russischen Metallgeldes hat man ans verschiedne
Ursachen zurückzuführen versucht, vorzugsweise auf die Rückwirkung einer un¬
günstigen Handelsbilanz, auf die Zinszahlung des Staates an auswärtige
Rentenbesitzer und teilweise sogar auf den Neiseaufwand reicher Russen.

Was zunächst die Handelsbilanz anlangt, so hat die Ausfuhr, unes ihrem
für deu internationalen Verkehr maßgebenden Metallgeldprcis berechnet, in deu
zehn Jahren seit dem Ende des Krimkrieges wenig zugenommen, nämlich durch¬
schnittlich vier Prozent. Allein sie hat doch überhaupt zugenommen; die
Handelsbilanz stellte sich also für Rußland günstig. Es müßte demnach selbst
nach Ansicht derer, welche eine stete Deckung der Bilanz durch Münze an¬
nehmen, in diesem Zeitraume ein erheblicher Betrag an Edelmetall dem Lande
zugeführt worden sein. Allein der Wechselkurs ist keineswegs dem Einflüsse
der Handelsbilanz ausschließlich unterworfen, sondern hängt vielmehr gleichzeitig


Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

nicht mehr die Rede sein. Unter gewöhnlichen Verhältnissen hätte freilich die
Rückkehr des Friedens den Wert dieses Substrats wieder heben können,
allein die gleichzeitig begonnenen Reformen und namentlich die bevorstehende
Baucrncmanzipntion brachten — wenigstens für die nächsten Jahre — die ent¬
gegengesetzte Wirkung hervor. Die gesamte Pfcmdmassc, obgleich mit 700 Mil¬
lionen eingetragen, hatte doch in der Geschäftswelt jetzt nur den positiven Wert
von höchstens 350 Millionen. Die Banken verfuhren natürlich nnter dein
Eindruck dieser Entwertung, forderten große Hypothekenobjekte für vergleichsweise
geringe Darlehen und hemmten so auch ihrerseits deu Wicderanfschwuug der
Agrarproduktion. Als um mit Beginn des Jahres 1858 die Umlaufsmasse
der Kreditbillets in der Höhe von 735 297 000 Silberrubeln schließlich ihren
damaligen Gipfelpunkt erreicht hatte, die Gesamtschuld des Landes auf 1520
Millionen gestiegen war und die Negierung endlich energische Maßregeln zur
Beseitigung des finanziellen Notstandes, namentlich zur Verringerung der Papier¬
geldmasse ergriff, hatte die Entwertung der letzter» sich bereits deutlich heraus¬
gestellt und das Mißtrauen gegen das Reichspapiergeld sich so tief eingefressen,
daß ans Silber 20 bis 25 Prozent und selbst auf Kupfer 2 bis 4 Prozent
Aufgeld gezahlt wurde. Nur das erschöpfte und bankerottgewöhnte Österreich
hat ähnliche Schwankungen der Valuta aufzuweisen. In Rußland war die
dadurch veranlaßte Unsicherheit, ganz abgesehen von der unmittelbaren Wert-
cinbnßc, die sich auf etwa 130 Millionen berechnen ließ, noch umso empfind¬
licher, als sie in die Zeit der Reformen und eines teilweise ungesunden Unter¬
nehmungsgeistes fiel, also in eine Zeit, die mehr als je des baaren Geldes
bedürfte, und nnn die Landesmünze in Masse dem Auslande zuströmen sah.

Von diesem Augenblicke an wurde die Metallnot zum Krebsschaden, welcher
lauge jedem Versuche einer Konsolidirung der Geldverhültnisse im Wege stand.


2.

Das Verschwinden des russischen Metallgeldes hat man ans verschiedne
Ursachen zurückzuführen versucht, vorzugsweise auf die Rückwirkung einer un¬
günstigen Handelsbilanz, auf die Zinszahlung des Staates an auswärtige
Rentenbesitzer und teilweise sogar auf den Neiseaufwand reicher Russen.

Was zunächst die Handelsbilanz anlangt, so hat die Ausfuhr, unes ihrem
für deu internationalen Verkehr maßgebenden Metallgeldprcis berechnet, in deu
zehn Jahren seit dem Ende des Krimkrieges wenig zugenommen, nämlich durch¬
schnittlich vier Prozent. Allein sie hat doch überhaupt zugenommen; die
Handelsbilanz stellte sich also für Rußland günstig. Es müßte demnach selbst
nach Ansicht derer, welche eine stete Deckung der Bilanz durch Münze an¬
nehmen, in diesem Zeitraume ein erheblicher Betrag an Edelmetall dem Lande
zugeführt worden sein. Allein der Wechselkurs ist keineswegs dem Einflüsse
der Handelsbilanz ausschließlich unterworfen, sondern hängt vielmehr gleichzeitig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/511>, abgerufen am 27.12.2024.