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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Gladstone in Not.

nur nicht alles trügt, ist Gladstone jetzt selbst überzeugt, daß er
mit seinen irischen Plänen im Unterhause ans keine Mehrheit
mehr zu hoffen hat. und denkt infolgedessen um Auflösung des
letzteren und Berufung an die Meinung und den Willen des
Volkes. Er hat, wie er jetzt einsehen muß, die Stärke des
Widerwillens der englischen Liberalen gegen jede Zerreißung der Union mit
Irland unterschätzt und zuviel auf die Anziehungskraft gegeben, die feine Pro¬
jekte für die Partei darin hatten, daß sie das Haus der Gemeinen von der
Anwesenheit der Homeruler befreien und den englischen Gutsbesitzern in Irland
eine gute Abfindung für ihr Grundeigentum verschaffen sollten. Die Erörterung
seines Gedankens in der Presse und im Parlamente muß ihm gezeigt haben
daß er sich eine viel schwierigere Aufgabe gestellt hat, als er aufangs meinte,
und wenn er nunmehr wissen muß. daß eine zweite Lesung seiner beiden Gesetz¬
entwürfe nur dann durchzusetzen sein würde, wenn er in letzter Stunde auf
Chamberlciins Forderung einginge und die irischen Parlamentsmitglieder in
ihrer jetzigen Zahl für immer in Se. Stephens belassen zu wollen erklärte, so
kann er dieser Erkenntnis nicht wohl Folge geben, da dies ein gar zu starker
Umschwung sein würde und er dabei schwerlich auf die Zustimmung Parnells
und seiner Anhänger zu rechnen hätte. Er hat seine Vorschläge in erster
Linie als Parteihaupt gemacht, und er bereitet sich jetzt auf die nahe Ableh¬
nung der zweiten Lesung derselbe" in der Ueberzeugung vor, daß, gesetzt selbst
den unwahrscheinlichen Fall, sie würden im Prinzip annähernd gut geheißen,
neue und kräftigere Augriffe in der Kommission sie vollständig umgestalten
würden, und daß die Session mit einem gänzlichen Zerfall der liberalen Partei
endigen würde. Es scheint ihm daher nur der Ausweg eiuer Befragung der
Wählerschaft des Landes übrig zu bleiben. Allerdings hätte diese Maßregel
ihr Bedenkliches: die liberale Partei ist erschüttert, ihr Zusammenhalt gelockert,
und "Abtrennung von Irland" wäre, wie geschickt man mich die Sache ver¬
hüllen möchte, gewiß keine glückverheißende Parole für eine Wahlkampagne.
Zwar glaubt Gladstone ohne Zweifel, daß die Mehrheit der Wähler für ihn
sei, und daß sein Ansehen, sein Eifer und seine Beredsamkeit ihn an der
Spitze einer Majorität für die Abtrennung Irlands nach Westminster zu¬
rückführen und zum unbeschränkten Herrn der Lage machen würden. Indes
könnte diese Hoffnung trügen, auch könnten gewisse Betrachtungen, welche den
Weg einer Auflösung des ungefügigen Unterhauses widerrate", den Premier¬
minister noch im letzten Augenblicke bestimmen, sich anders zu entschließen, vom
Amte zurückzutreten und denn abzuwarten, welchen Lauf die Dinge daraufhin


Gladstone in Not.

nur nicht alles trügt, ist Gladstone jetzt selbst überzeugt, daß er
mit seinen irischen Plänen im Unterhause ans keine Mehrheit
mehr zu hoffen hat. und denkt infolgedessen um Auflösung des
letzteren und Berufung an die Meinung und den Willen des
Volkes. Er hat, wie er jetzt einsehen muß, die Stärke des
Widerwillens der englischen Liberalen gegen jede Zerreißung der Union mit
Irland unterschätzt und zuviel auf die Anziehungskraft gegeben, die feine Pro¬
jekte für die Partei darin hatten, daß sie das Haus der Gemeinen von der
Anwesenheit der Homeruler befreien und den englischen Gutsbesitzern in Irland
eine gute Abfindung für ihr Grundeigentum verschaffen sollten. Die Erörterung
seines Gedankens in der Presse und im Parlamente muß ihm gezeigt haben
daß er sich eine viel schwierigere Aufgabe gestellt hat, als er aufangs meinte,
und wenn er nunmehr wissen muß. daß eine zweite Lesung seiner beiden Gesetz¬
entwürfe nur dann durchzusetzen sein würde, wenn er in letzter Stunde auf
Chamberlciins Forderung einginge und die irischen Parlamentsmitglieder in
ihrer jetzigen Zahl für immer in Se. Stephens belassen zu wollen erklärte, so
kann er dieser Erkenntnis nicht wohl Folge geben, da dies ein gar zu starker
Umschwung sein würde und er dabei schwerlich auf die Zustimmung Parnells
und seiner Anhänger zu rechnen hätte. Er hat seine Vorschläge in erster
Linie als Parteihaupt gemacht, und er bereitet sich jetzt auf die nahe Ableh¬
nung der zweiten Lesung derselbe» in der Ueberzeugung vor, daß, gesetzt selbst
den unwahrscheinlichen Fall, sie würden im Prinzip annähernd gut geheißen,
neue und kräftigere Augriffe in der Kommission sie vollständig umgestalten
würden, und daß die Session mit einem gänzlichen Zerfall der liberalen Partei
endigen würde. Es scheint ihm daher nur der Ausweg eiuer Befragung der
Wählerschaft des Landes übrig zu bleiben. Allerdings hätte diese Maßregel
ihr Bedenkliches: die liberale Partei ist erschüttert, ihr Zusammenhalt gelockert,
und „Abtrennung von Irland" wäre, wie geschickt man mich die Sache ver¬
hüllen möchte, gewiß keine glückverheißende Parole für eine Wahlkampagne.
Zwar glaubt Gladstone ohne Zweifel, daß die Mehrheit der Wähler für ihn
sei, und daß sein Ansehen, sein Eifer und seine Beredsamkeit ihn an der
Spitze einer Majorität für die Abtrennung Irlands nach Westminster zu¬
rückführen und zum unbeschränkten Herrn der Lage machen würden. Indes
könnte diese Hoffnung trügen, auch könnten gewisse Betrachtungen, welche den
Weg einer Auflösung des ungefügigen Unterhauses widerrate», den Premier¬
minister noch im letzten Augenblicke bestimmen, sich anders zu entschließen, vom
Amte zurückzutreten und denn abzuwarten, welchen Lauf die Dinge daraufhin


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[0435] Gladstone in Not. nur nicht alles trügt, ist Gladstone jetzt selbst überzeugt, daß er mit seinen irischen Plänen im Unterhause ans keine Mehrheit mehr zu hoffen hat. und denkt infolgedessen um Auflösung des letzteren und Berufung an die Meinung und den Willen des Volkes. Er hat, wie er jetzt einsehen muß, die Stärke des Widerwillens der englischen Liberalen gegen jede Zerreißung der Union mit Irland unterschätzt und zuviel auf die Anziehungskraft gegeben, die feine Pro¬ jekte für die Partei darin hatten, daß sie das Haus der Gemeinen von der Anwesenheit der Homeruler befreien und den englischen Gutsbesitzern in Irland eine gute Abfindung für ihr Grundeigentum verschaffen sollten. Die Erörterung seines Gedankens in der Presse und im Parlamente muß ihm gezeigt haben daß er sich eine viel schwierigere Aufgabe gestellt hat, als er aufangs meinte, und wenn er nunmehr wissen muß. daß eine zweite Lesung seiner beiden Gesetz¬ entwürfe nur dann durchzusetzen sein würde, wenn er in letzter Stunde auf Chamberlciins Forderung einginge und die irischen Parlamentsmitglieder in ihrer jetzigen Zahl für immer in Se. Stephens belassen zu wollen erklärte, so kann er dieser Erkenntnis nicht wohl Folge geben, da dies ein gar zu starker Umschwung sein würde und er dabei schwerlich auf die Zustimmung Parnells und seiner Anhänger zu rechnen hätte. Er hat seine Vorschläge in erster Linie als Parteihaupt gemacht, und er bereitet sich jetzt auf die nahe Ableh¬ nung der zweiten Lesung derselbe» in der Ueberzeugung vor, daß, gesetzt selbst den unwahrscheinlichen Fall, sie würden im Prinzip annähernd gut geheißen, neue und kräftigere Augriffe in der Kommission sie vollständig umgestalten würden, und daß die Session mit einem gänzlichen Zerfall der liberalen Partei endigen würde. Es scheint ihm daher nur der Ausweg eiuer Befragung der Wählerschaft des Landes übrig zu bleiben. Allerdings hätte diese Maßregel ihr Bedenkliches: die liberale Partei ist erschüttert, ihr Zusammenhalt gelockert, und „Abtrennung von Irland" wäre, wie geschickt man mich die Sache ver¬ hüllen möchte, gewiß keine glückverheißende Parole für eine Wahlkampagne. Zwar glaubt Gladstone ohne Zweifel, daß die Mehrheit der Wähler für ihn sei, und daß sein Ansehen, sein Eifer und seine Beredsamkeit ihn an der Spitze einer Majorität für die Abtrennung Irlands nach Westminster zu¬ rückführen und zum unbeschränkten Herrn der Lage machen würden. Indes könnte diese Hoffnung trügen, auch könnten gewisse Betrachtungen, welche den Weg einer Auflösung des ungefügigen Unterhauses widerrate», den Premier¬ minister noch im letzten Augenblicke bestimmen, sich anders zu entschließen, vom Amte zurückzutreten und denn abzuwarten, welchen Lauf die Dinge daraufhin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/435>, abgerufen am 27.12.2024.