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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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uns haben erscheinen lassen. Und dann werden wir zu naturgemäßen Zuständen
nur dadurch wieder gelangen, daß wir uns entschließen, unsre ganzen Lebens¬
verhältnisse diesem mindern Reichtume entsprechend einzurichten.




Straßburger Verfassungsleben.
Fritz Ghrenborg. von (Schluß.)

i
ch in großen Zügen die Entwicklung der Verfassung.*) Nun
zu ihren Einzelheiten. Die Grundlage des staatlichen Lebens
in der freien Reichsstadt bildeten also die Zünfte. Über das
Wesen derselben hat noch vor garnicht langer Zeit Unklarheit
geherrscht, bis unser ehemaliger Universitätsrektor Gustav
Schmoller durch seine Mitte des vorigen Jahrzehnts hier betriebnen grund¬
legenden Studien nachgewiesen hat, worauf es dabei ankommt. Nicht volks¬
wirtschaftlich, sondern in Verbindung mit dem öffentlichen Rechte, mit Gerichts¬
verfassung und Verwaltungsrecht haben wir uns darnach das Wesen der Zünfte
zu erklären. Der vielbespöttelte Zunftzwang ist unmittelbar abzuleiten aus dem
Gerichtszwange der alten Zeit. Wie oben ausgeführt, ging allmählich die
öffentliche Gewalt vom Bischof in die Hände der Stadtinsasfen über. Mit dem
Beginn der Zunftherrlichkeit trat dieser Übergang noch deutlicher hervor; die
adlichen Zunftmeister, die Amtsnachfolger jener alten bischöflichen Ministerialen,
gaben ihre Macht an die Handwerksmeister ab, und den über alle gesetzten
bischöflichen Burggrafen ersetzte der Ammeister, der dann das Haupt der Stadt
wurde. Worauf es den Zunftverbindungen hauptsächlich ankam, war eignes
Recht und eignes Steuerwesen; die in der alten Zeit häufigen "Auflösungen"
der Zünfte haben sich weniger auf die Genossenschaften selbst, als vielmehr auf
die zeitweilige Verkümmerung dieser Rechte bezogen. Hier in Straßburg zeigte
der Sprachgebrauch deutlich das richterliche Wesen der Zünfte, denn der Zunft¬
meister hieß später nur "das Gericht." Aus dieser Gerichtsbarkeit entwickelte
sich dann die politische Stellung, und beides zusammen ergab die Notwendigkeit
des Zunftzwanges.

Den Zünften gegenüber standen die schon erwähnten eidlichen Constofeln,
in denen sich das frühere Adelsregiment der Stadt wiederspiegelt. Ursprünglich
eine Art militärischer Einteilung der freien Stadtinsassen bedeutend, nahmen
die Constofeln allmählich das Gepräge einer Bezirkseinteilung an; 1394 haben



*) In dem ersten Teile dieses Aufsatzes sind ein paar Druckfehler stehen geblieben ^ S. 29ö
Z. 12 lies edeln statt adeln, S. 300 Z. 9 keinen Vorsitz , S. 301 Z. 26 drie gewaltige.

uns haben erscheinen lassen. Und dann werden wir zu naturgemäßen Zuständen
nur dadurch wieder gelangen, daß wir uns entschließen, unsre ganzen Lebens¬
verhältnisse diesem mindern Reichtume entsprechend einzurichten.




Straßburger Verfassungsleben.
Fritz Ghrenborg. von (Schluß.)

i
ch in großen Zügen die Entwicklung der Verfassung.*) Nun
zu ihren Einzelheiten. Die Grundlage des staatlichen Lebens
in der freien Reichsstadt bildeten also die Zünfte. Über das
Wesen derselben hat noch vor garnicht langer Zeit Unklarheit
geherrscht, bis unser ehemaliger Universitätsrektor Gustav
Schmoller durch seine Mitte des vorigen Jahrzehnts hier betriebnen grund¬
legenden Studien nachgewiesen hat, worauf es dabei ankommt. Nicht volks¬
wirtschaftlich, sondern in Verbindung mit dem öffentlichen Rechte, mit Gerichts¬
verfassung und Verwaltungsrecht haben wir uns darnach das Wesen der Zünfte
zu erklären. Der vielbespöttelte Zunftzwang ist unmittelbar abzuleiten aus dem
Gerichtszwange der alten Zeit. Wie oben ausgeführt, ging allmählich die
öffentliche Gewalt vom Bischof in die Hände der Stadtinsasfen über. Mit dem
Beginn der Zunftherrlichkeit trat dieser Übergang noch deutlicher hervor; die
adlichen Zunftmeister, die Amtsnachfolger jener alten bischöflichen Ministerialen,
gaben ihre Macht an die Handwerksmeister ab, und den über alle gesetzten
bischöflichen Burggrafen ersetzte der Ammeister, der dann das Haupt der Stadt
wurde. Worauf es den Zunftverbindungen hauptsächlich ankam, war eignes
Recht und eignes Steuerwesen; die in der alten Zeit häufigen „Auflösungen"
der Zünfte haben sich weniger auf die Genossenschaften selbst, als vielmehr auf
die zeitweilige Verkümmerung dieser Rechte bezogen. Hier in Straßburg zeigte
der Sprachgebrauch deutlich das richterliche Wesen der Zünfte, denn der Zunft¬
meister hieß später nur „das Gericht." Aus dieser Gerichtsbarkeit entwickelte
sich dann die politische Stellung, und beides zusammen ergab die Notwendigkeit
des Zunftzwanges.

Den Zünften gegenüber standen die schon erwähnten eidlichen Constofeln,
in denen sich das frühere Adelsregiment der Stadt wiederspiegelt. Ursprünglich
eine Art militärischer Einteilung der freien Stadtinsassen bedeutend, nahmen
die Constofeln allmählich das Gepräge einer Bezirkseinteilung an; 1394 haben



*) In dem ersten Teile dieses Aufsatzes sind ein paar Druckfehler stehen geblieben ^ S. 29ö
Z. 12 lies edeln statt adeln, S. 300 Z. 9 keinen Vorsitz , S. 301 Z. 26 drie gewaltige.
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[0357] uns haben erscheinen lassen. Und dann werden wir zu naturgemäßen Zuständen nur dadurch wieder gelangen, daß wir uns entschließen, unsre ganzen Lebens¬ verhältnisse diesem mindern Reichtume entsprechend einzurichten. Straßburger Verfassungsleben. Fritz Ghrenborg. von (Schluß.) i ch in großen Zügen die Entwicklung der Verfassung.*) Nun zu ihren Einzelheiten. Die Grundlage des staatlichen Lebens in der freien Reichsstadt bildeten also die Zünfte. Über das Wesen derselben hat noch vor garnicht langer Zeit Unklarheit geherrscht, bis unser ehemaliger Universitätsrektor Gustav Schmoller durch seine Mitte des vorigen Jahrzehnts hier betriebnen grund¬ legenden Studien nachgewiesen hat, worauf es dabei ankommt. Nicht volks¬ wirtschaftlich, sondern in Verbindung mit dem öffentlichen Rechte, mit Gerichts¬ verfassung und Verwaltungsrecht haben wir uns darnach das Wesen der Zünfte zu erklären. Der vielbespöttelte Zunftzwang ist unmittelbar abzuleiten aus dem Gerichtszwange der alten Zeit. Wie oben ausgeführt, ging allmählich die öffentliche Gewalt vom Bischof in die Hände der Stadtinsasfen über. Mit dem Beginn der Zunftherrlichkeit trat dieser Übergang noch deutlicher hervor; die adlichen Zunftmeister, die Amtsnachfolger jener alten bischöflichen Ministerialen, gaben ihre Macht an die Handwerksmeister ab, und den über alle gesetzten bischöflichen Burggrafen ersetzte der Ammeister, der dann das Haupt der Stadt wurde. Worauf es den Zunftverbindungen hauptsächlich ankam, war eignes Recht und eignes Steuerwesen; die in der alten Zeit häufigen „Auflösungen" der Zünfte haben sich weniger auf die Genossenschaften selbst, als vielmehr auf die zeitweilige Verkümmerung dieser Rechte bezogen. Hier in Straßburg zeigte der Sprachgebrauch deutlich das richterliche Wesen der Zünfte, denn der Zunft¬ meister hieß später nur „das Gericht." Aus dieser Gerichtsbarkeit entwickelte sich dann die politische Stellung, und beides zusammen ergab die Notwendigkeit des Zunftzwanges. Den Zünften gegenüber standen die schon erwähnten eidlichen Constofeln, in denen sich das frühere Adelsregiment der Stadt wiederspiegelt. Ursprünglich eine Art militärischer Einteilung der freien Stadtinsassen bedeutend, nahmen die Constofeln allmählich das Gepräge einer Bezirkseinteilung an; 1394 haben *) In dem ersten Teile dieses Aufsatzes sind ein paar Druckfehler stehen geblieben ^ S. 29ö Z. 12 lies edeln statt adeln, S. 300 Z. 9 keinen Vorsitz , S. 301 Z. 26 drie gewaltige.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/357>, abgerufen am 20.09.2024.