Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
^ötraßburger Verfassungsleben.
Fritz Ehrenb erg. von

KM
Mmer der politischen Hanptschmerzen, die man hierzulande empfindet
und in unsrer Volksvertretung, dem Landcsansschusse, immer
wieder zum Ausdrucke bringt, ist der Mangel einer selbständigen
Gemeindeverwaltung in Straßburg, der Landeshauptstadt des
Neichslcmdes. Nicht als legte mau dabei allseitig auf die Haupt¬
stadt als solche Wert; die sonderbündlerischen Bestrebungen oder Neigungen der
Lothringer, wie sie in der jüngsten Tagung wieder hervortraten, haben wohl
zur Genüge gezeigt, daß den Meisten die Begriffe "Reichsland" und "Landes¬
hauptstadt" mehr oder weniger fernliegen. Aber man benutzt die Straßburger
Gemeindcfrcige gern als Mittel, der angeblich allgemeinen Mißstimmung im
Lande zum Durchbruche zu verhelfen und an ihr die Unzutrüglichkciten der
neuen Herrschaft vor Augen zu führen.

Auf feiten der Negierung hat man den berechtigten Kern dieser Klagen
längst erkannt, oder vielmehr nie aus dem Auge verloren. Die Aufhebung des
Straßburger Gemeinderates, der städtischen Selbständigkeit erfolgte genau vor
dreizehn Jahren, 1873, und zwar nur auf Zeit aus augenblicklich wirksamen
Politischen Gründen; der damalige, unter Führung des Bürgermeisters Lankh
mit der Negierung in Widerspruch getretene Gemeinderat lehnte die angebotene
Verständigung ab und wurde durch Oberpräsidialverfügnng aufgelöst. Seitdem
versieht ein Regierungsbeamter als "Bürgermeisterciverwalter" die Geschäfte der
Stadt und beschließt unter gesetzlicher Genehmigung durch den Bezirksprüsidentcn
einfach "in Ausübung der Rechte des Gemeinderath."

Dieser Zustand ist sicherlich für kein städtisches Gemeinwesen ein behaglicher,
und der freie Sinn der nur leicht mit gallischen Elementen durchsetzten alemannisch-
fränkischen Bevölkerung Straßburgs empfindet ihn sehr schmerzlich. In die
Bemühungen der Negierung, Abhilfe zu schaffen, ist seit Übernahme der Statt¬
halterschaft durch den Fürsten Chlodwig Hohenlohe ein frischer Zug gekommen.
Aber gerade weil die Angelegenheit von der andern Seite im Laufe der Zeit
Politisch viel zu sehr mißbraucht worden ist, erscheint es nötig, die Freigebung
der Straßburger Gemeindeverwaltung als eine Art politischen Trumpfes vor¬
zubehalten und nur gegen gewisse Bürgschaften auszuspielen, welche sich auf die
angefangene Stadterweiterung und die über das städtische Vermögen getroffenen
Verfügungen, sowie auf die Sicherstellung der bürgerlichen Rechtsansprüche der
neueingewanderten Bevölkerung beziehen.


^ötraßburger Verfassungsleben.
Fritz Ehrenb erg. von

KM
Mmer der politischen Hanptschmerzen, die man hierzulande empfindet
und in unsrer Volksvertretung, dem Landcsansschusse, immer
wieder zum Ausdrucke bringt, ist der Mangel einer selbständigen
Gemeindeverwaltung in Straßburg, der Landeshauptstadt des
Neichslcmdes. Nicht als legte mau dabei allseitig auf die Haupt¬
stadt als solche Wert; die sonderbündlerischen Bestrebungen oder Neigungen der
Lothringer, wie sie in der jüngsten Tagung wieder hervortraten, haben wohl
zur Genüge gezeigt, daß den Meisten die Begriffe „Reichsland" und „Landes¬
hauptstadt" mehr oder weniger fernliegen. Aber man benutzt die Straßburger
Gemeindcfrcige gern als Mittel, der angeblich allgemeinen Mißstimmung im
Lande zum Durchbruche zu verhelfen und an ihr die Unzutrüglichkciten der
neuen Herrschaft vor Augen zu führen.

Auf feiten der Negierung hat man den berechtigten Kern dieser Klagen
längst erkannt, oder vielmehr nie aus dem Auge verloren. Die Aufhebung des
Straßburger Gemeinderates, der städtischen Selbständigkeit erfolgte genau vor
dreizehn Jahren, 1873, und zwar nur auf Zeit aus augenblicklich wirksamen
Politischen Gründen; der damalige, unter Führung des Bürgermeisters Lankh
mit der Negierung in Widerspruch getretene Gemeinderat lehnte die angebotene
Verständigung ab und wurde durch Oberpräsidialverfügnng aufgelöst. Seitdem
versieht ein Regierungsbeamter als „Bürgermeisterciverwalter" die Geschäfte der
Stadt und beschließt unter gesetzlicher Genehmigung durch den Bezirksprüsidentcn
einfach „in Ausübung der Rechte des Gemeinderath."

Dieser Zustand ist sicherlich für kein städtisches Gemeinwesen ein behaglicher,
und der freie Sinn der nur leicht mit gallischen Elementen durchsetzten alemannisch-
fränkischen Bevölkerung Straßburgs empfindet ihn sehr schmerzlich. In die
Bemühungen der Negierung, Abhilfe zu schaffen, ist seit Übernahme der Statt¬
halterschaft durch den Fürsten Chlodwig Hohenlohe ein frischer Zug gekommen.
Aber gerade weil die Angelegenheit von der andern Seite im Laufe der Zeit
Politisch viel zu sehr mißbraucht worden ist, erscheint es nötig, die Freigebung
der Straßburger Gemeindeverwaltung als eine Art politischen Trumpfes vor¬
zubehalten und nur gegen gewisse Bürgschaften auszuspielen, welche sich auf die
angefangene Stadterweiterung und die über das städtische Vermögen getroffenen
Verfügungen, sowie auf die Sicherstellung der bürgerlichen Rechtsansprüche der
neueingewanderten Bevölkerung beziehen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198369"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> ^ötraßburger Verfassungsleben.<lb/><note type="byline"> Fritz Ehrenb erg.</note> von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_865"> KM<lb/>
Mmer der politischen Hanptschmerzen, die man hierzulande empfindet<lb/>
und in unsrer Volksvertretung, dem Landcsansschusse, immer<lb/>
wieder zum Ausdrucke bringt, ist der Mangel einer selbständigen<lb/>
Gemeindeverwaltung in Straßburg, der Landeshauptstadt des<lb/>
Neichslcmdes. Nicht als legte mau dabei allseitig auf die Haupt¬<lb/>
stadt als solche Wert; die sonderbündlerischen Bestrebungen oder Neigungen der<lb/>
Lothringer, wie sie in der jüngsten Tagung wieder hervortraten, haben wohl<lb/>
zur Genüge gezeigt, daß den Meisten die Begriffe &#x201E;Reichsland" und &#x201E;Landes¬<lb/>
hauptstadt" mehr oder weniger fernliegen. Aber man benutzt die Straßburger<lb/>
Gemeindcfrcige gern als Mittel, der angeblich allgemeinen Mißstimmung im<lb/>
Lande zum Durchbruche zu verhelfen und an ihr die Unzutrüglichkciten der<lb/>
neuen Herrschaft vor Augen zu führen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_866"> Auf feiten der Negierung hat man den berechtigten Kern dieser Klagen<lb/>
längst erkannt, oder vielmehr nie aus dem Auge verloren. Die Aufhebung des<lb/>
Straßburger Gemeinderates, der städtischen Selbständigkeit erfolgte genau vor<lb/>
dreizehn Jahren, 1873, und zwar nur auf Zeit aus augenblicklich wirksamen<lb/>
Politischen Gründen; der damalige, unter Führung des Bürgermeisters Lankh<lb/>
mit der Negierung in Widerspruch getretene Gemeinderat lehnte die angebotene<lb/>
Verständigung ab und wurde durch Oberpräsidialverfügnng aufgelöst. Seitdem<lb/>
versieht ein Regierungsbeamter als &#x201E;Bürgermeisterciverwalter" die Geschäfte der<lb/>
Stadt und beschließt unter gesetzlicher Genehmigung durch den Bezirksprüsidentcn<lb/>
einfach &#x201E;in Ausübung der Rechte des Gemeinderath."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_867"> Dieser Zustand ist sicherlich für kein städtisches Gemeinwesen ein behaglicher,<lb/>
und der freie Sinn der nur leicht mit gallischen Elementen durchsetzten alemannisch-<lb/>
fränkischen Bevölkerung Straßburgs empfindet ihn sehr schmerzlich. In die<lb/>
Bemühungen der Negierung, Abhilfe zu schaffen, ist seit Übernahme der Statt¬<lb/>
halterschaft durch den Fürsten Chlodwig Hohenlohe ein frischer Zug gekommen.<lb/>
Aber gerade weil die Angelegenheit von der andern Seite im Laufe der Zeit<lb/>
Politisch viel zu sehr mißbraucht worden ist, erscheint es nötig, die Freigebung<lb/>
der Straßburger Gemeindeverwaltung als eine Art politischen Trumpfes vor¬<lb/>
zubehalten und nur gegen gewisse Bürgschaften auszuspielen, welche sich auf die<lb/>
angefangene Stadterweiterung und die über das städtische Vermögen getroffenen<lb/>
Verfügungen, sowie auf die Sicherstellung der bürgerlichen Rechtsansprüche der<lb/>
neueingewanderten Bevölkerung beziehen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0303] ^ötraßburger Verfassungsleben. Fritz Ehrenb erg. von KM Mmer der politischen Hanptschmerzen, die man hierzulande empfindet und in unsrer Volksvertretung, dem Landcsansschusse, immer wieder zum Ausdrucke bringt, ist der Mangel einer selbständigen Gemeindeverwaltung in Straßburg, der Landeshauptstadt des Neichslcmdes. Nicht als legte mau dabei allseitig auf die Haupt¬ stadt als solche Wert; die sonderbündlerischen Bestrebungen oder Neigungen der Lothringer, wie sie in der jüngsten Tagung wieder hervortraten, haben wohl zur Genüge gezeigt, daß den Meisten die Begriffe „Reichsland" und „Landes¬ hauptstadt" mehr oder weniger fernliegen. Aber man benutzt die Straßburger Gemeindcfrcige gern als Mittel, der angeblich allgemeinen Mißstimmung im Lande zum Durchbruche zu verhelfen und an ihr die Unzutrüglichkciten der neuen Herrschaft vor Augen zu führen. Auf feiten der Negierung hat man den berechtigten Kern dieser Klagen längst erkannt, oder vielmehr nie aus dem Auge verloren. Die Aufhebung des Straßburger Gemeinderates, der städtischen Selbständigkeit erfolgte genau vor dreizehn Jahren, 1873, und zwar nur auf Zeit aus augenblicklich wirksamen Politischen Gründen; der damalige, unter Führung des Bürgermeisters Lankh mit der Negierung in Widerspruch getretene Gemeinderat lehnte die angebotene Verständigung ab und wurde durch Oberpräsidialverfügnng aufgelöst. Seitdem versieht ein Regierungsbeamter als „Bürgermeisterciverwalter" die Geschäfte der Stadt und beschließt unter gesetzlicher Genehmigung durch den Bezirksprüsidentcn einfach „in Ausübung der Rechte des Gemeinderath." Dieser Zustand ist sicherlich für kein städtisches Gemeinwesen ein behaglicher, und der freie Sinn der nur leicht mit gallischen Elementen durchsetzten alemannisch- fränkischen Bevölkerung Straßburgs empfindet ihn sehr schmerzlich. In die Bemühungen der Negierung, Abhilfe zu schaffen, ist seit Übernahme der Statt¬ halterschaft durch den Fürsten Chlodwig Hohenlohe ein frischer Zug gekommen. Aber gerade weil die Angelegenheit von der andern Seite im Laufe der Zeit Politisch viel zu sehr mißbraucht worden ist, erscheint es nötig, die Freigebung der Straßburger Gemeindeverwaltung als eine Art politischen Trumpfes vor¬ zubehalten und nur gegen gewisse Bürgschaften auszuspielen, welche sich auf die angefangene Stadterweiterung und die über das städtische Vermögen getroffenen Verfügungen, sowie auf die Sicherstellung der bürgerlichen Rechtsansprüche der neueingewanderten Bevölkerung beziehen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/303
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/303>, abgerufen am 27.06.2024.