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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Nochmals zur sozialen Frage.

großen Rubin in der Mitte übersandt worden, der mit seinen Strahlen das
Auge förmlich blende.

Diese Nachricht machte mich sehr froh, und ich wünschte ihm Glück zum
Drucke seines Werkes.




Nochmals zur sozialen Frage.

ein Verfasser des Aufsatzes "Zur sozialen Frage" in Ur. 13
dieser Zeitschrift ist durch Vermittlung der Redaktion das nach¬
folgende Schreiben eines in Berlin wohnhaften Schriftstellers
zugegangen.

. . . Ohne Zweifel giebt es für uns, wie Sie am Schlüsse
bemerken, nur zwei Wege: Entweder wir behalten unsre Gesellschaftsordnung bei
und suchen durch eifriges Bemühen und mit nie erlöschenden Wohlwollen das Loos
der niedern Klassen zu bessern, oder wir schreiten der Revolution entgegen. Aber
das Loos der Armen nun auch wirklich zu einem bessern zu machen, ist die heilige
Pflicht der Gesellschaft und derjenigen, denen eigne Kraft oder Glück -- immerhin
doch ein höheres Geschick -- Reichtum gegeben haben. Leider vergißt auch der,
welcher aus der Armut zur Wohlhabenheit aufsteigt und früher ein lebhaftes Gefühl
für die Notleidenden besaß, die oben genannte Verpflichtung meist im Genuß des
Lebens, und diejenigen vollends, die überhaupt nie selber im Elend waren, wissen
erst recht nicht, was das bedeutet, sind immer geneigt, darüber hinwegzublicken
und mit Aeußerungen wie: "Diese Leute sinds uicht besser gewohnt," sich alle Last
vom Gewissen zu reden. Aber man muß in die ärmsten Kreise hineingedrungen
sein, in diese große Masse des Volks, vor allem der großer Städte! Und das
ist es, was ich sagen will: das Elend, welches Sie bestreiten, ist nach meiner An¬
sicht, nach meinen Erfahrungen vorhanden. Sie haben einen Karnevalszug der
armen Klasse" gesehen -- o ja! Und die Leute waren vergnügt, freilich! Als
ich Hunger litt, was, ich gestehe es offen, öfter als einmal vorgekommen ist, habe
ich trotzdem versucht, fröhlich zu sein. Hätte ich nicht eine ziemliche Elastizität des
Geistes besessen, ich wäre, nimmer durchgekommen. So das arme Volk. Wollen
Sie ihm die ärmlichen Vergnügungen, zu denen es sich die letzten Groschen spart
oder -- borgt, verargen, so wird es erst recht sinken, wird gänzlich abstumpfen, ver¬
rohen und dann -- dann hätten wir die Revolution! Unser niedres Volk ist arm
und elend! Diejenige Kategorie, denen gute Fleischspeisen unerschwinglich sind und
die hauptsächlich von Kartoffeln und Kaffee leben, beginnt garnicht so sehr weit
unten, und wollte man die Masse derjenigen feststellen, die aus Mangel an kräftiger
Nahrung hinsiechen -- Hungers sterben, oder derjenigen, welche frühzeitig dnrch
schlechte ärztliche und häusliche Pflege Krankheiten erliegen, es würde, eine er¬
schreckliche Anzahl herauskommen!

Wir zweifeln nicht, daß dieser Brief im besten Sinne gemeint und ge¬
schrieben ist. Und da vielleicht auch andre Leute ähnliche Gedanken haben,
wollen wir hier öffentlich darauf antworten.


Nochmals zur sozialen Frage.

großen Rubin in der Mitte übersandt worden, der mit seinen Strahlen das
Auge förmlich blende.

Diese Nachricht machte mich sehr froh, und ich wünschte ihm Glück zum
Drucke seines Werkes.




Nochmals zur sozialen Frage.

ein Verfasser des Aufsatzes „Zur sozialen Frage" in Ur. 13
dieser Zeitschrift ist durch Vermittlung der Redaktion das nach¬
folgende Schreiben eines in Berlin wohnhaften Schriftstellers
zugegangen.

. . . Ohne Zweifel giebt es für uns, wie Sie am Schlüsse
bemerken, nur zwei Wege: Entweder wir behalten unsre Gesellschaftsordnung bei
und suchen durch eifriges Bemühen und mit nie erlöschenden Wohlwollen das Loos
der niedern Klassen zu bessern, oder wir schreiten der Revolution entgegen. Aber
das Loos der Armen nun auch wirklich zu einem bessern zu machen, ist die heilige
Pflicht der Gesellschaft und derjenigen, denen eigne Kraft oder Glück — immerhin
doch ein höheres Geschick — Reichtum gegeben haben. Leider vergißt auch der,
welcher aus der Armut zur Wohlhabenheit aufsteigt und früher ein lebhaftes Gefühl
für die Notleidenden besaß, die oben genannte Verpflichtung meist im Genuß des
Lebens, und diejenigen vollends, die überhaupt nie selber im Elend waren, wissen
erst recht nicht, was das bedeutet, sind immer geneigt, darüber hinwegzublicken
und mit Aeußerungen wie: „Diese Leute sinds uicht besser gewohnt," sich alle Last
vom Gewissen zu reden. Aber man muß in die ärmsten Kreise hineingedrungen
sein, in diese große Masse des Volks, vor allem der großer Städte! Und das
ist es, was ich sagen will: das Elend, welches Sie bestreiten, ist nach meiner An¬
sicht, nach meinen Erfahrungen vorhanden. Sie haben einen Karnevalszug der
armen Klasse» gesehen — o ja! Und die Leute waren vergnügt, freilich! Als
ich Hunger litt, was, ich gestehe es offen, öfter als einmal vorgekommen ist, habe
ich trotzdem versucht, fröhlich zu sein. Hätte ich nicht eine ziemliche Elastizität des
Geistes besessen, ich wäre, nimmer durchgekommen. So das arme Volk. Wollen
Sie ihm die ärmlichen Vergnügungen, zu denen es sich die letzten Groschen spart
oder — borgt, verargen, so wird es erst recht sinken, wird gänzlich abstumpfen, ver¬
rohen und dann — dann hätten wir die Revolution! Unser niedres Volk ist arm
und elend! Diejenige Kategorie, denen gute Fleischspeisen unerschwinglich sind und
die hauptsächlich von Kartoffeln und Kaffee leben, beginnt garnicht so sehr weit
unten, und wollte man die Masse derjenigen feststellen, die aus Mangel an kräftiger
Nahrung hinsiechen — Hungers sterben, oder derjenigen, welche frühzeitig dnrch
schlechte ärztliche und häusliche Pflege Krankheiten erliegen, es würde, eine er¬
schreckliche Anzahl herauskommen!

Wir zweifeln nicht, daß dieser Brief im besten Sinne gemeint und ge¬
schrieben ist. Und da vielleicht auch andre Leute ähnliche Gedanken haben,
wollen wir hier öffentlich darauf antworten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/239>, abgerufen am 27.06.2024.