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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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sie an, daß die Reichseinheit bis zu einem gewissen Grade erhalten, die fiska¬
lische Einheit dagegen geopfert werden könnte. Vielleicht entwaffnen diese Ver¬
sprechungen einer Abänderung einige von den Radikalen, welche sich gegen die
Bill erklärten, aber die hauptsächlichsten Einwürfe gegen diese bestehen in ihrer
vollen ursprünglichen Kraft fort. Sodann aber, und das ist wichtiger, ist das
Schauspiel einer solchen plötzlichen Frontvcränderung im Angesichte des Feindes
durchaus nicht geeignet, der Welt das Gefühl einzuflößen, daß der Feldherr ein
unerschrockener, geschickter und seiner Sache sicherer Geist sein müsse. Wir haben
hier eine Maßregel, welche das Grundgesetz des Reiches in seinen Lebenswurzeln
anfaßt, und doch sind die Urheber dieser Maßregel in Betreff einiger ihrer
Hauptgedanken so unklar und so unsicher, daß sie im letzten Augenblicke einige
ihrer wichtigsten Vorkehrungen über Bord zu werfen bereit sind, einzig und allein,
um für das Projekt ein oder zwei Dutzend schwankende Stimmen zu gewinnen.
Das ist eben nicht darnach angethan, die Reihen der Liberalen, über die Glad-
stone in dieser Angelegenheit noch verfügt, mit freudiger Zuversicht zu erfüllen.
Das Ergebnis der viertägiger Debatte über die Gladstvueschc Zcrspaltuugsbill
ist, daß ihm das Unterhaus gestattet hat, sie in aller Form einzudringen. Aus
verschiednen Gründen sah man von einer Opposition gegen diese Förmlichkeit
ab, aber es war ganz sicher, daß, wenn man es zur Abstimmung über den An¬
trag hätte kommen lassen, die verneinenden Stimmen überwogen haben würden.
Die zweite Lesung, die am 6. Mai stattfinden soll, wird höchst wahrscheinlich
das Begräbnis des Kindes einläuten, mit dem Gladstone sein Andenken zu ver¬
ewigen gedachte, und England darf ihm wohl schon jetzt ein L.ö<.ML80ü.t in xAve
zurufen.




Kritische Beiträge zur sozialen Frage"

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e Anzeichen, daß die wirtschaftlichen und damit auch die politischen
Zustände der modernen Kulturvölker mehr und mehr einer ernsten
Entscheidung entgegentreiben, haben sich in der letzte" Zeit in bedenk¬
lichem Maße gehäuft, und es ist deshalb gewiß nicht unzeitgemäß,
einmal die allgemeinen Grundsätze, nach denen sich unsre wirt¬
schaftlichen Verhältnisse vollziehen, ans Grund der geschichtlichen Thatsachen
festzustellen und dadurch zu verhältnismäßig sichern Schlüssen zu gelangen
darüber, wie wir uns die Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu
denken haben. Gelingt es auf diese Weise, ein richtiges Bild der sozialen


sie an, daß die Reichseinheit bis zu einem gewissen Grade erhalten, die fiska¬
lische Einheit dagegen geopfert werden könnte. Vielleicht entwaffnen diese Ver¬
sprechungen einer Abänderung einige von den Radikalen, welche sich gegen die
Bill erklärten, aber die hauptsächlichsten Einwürfe gegen diese bestehen in ihrer
vollen ursprünglichen Kraft fort. Sodann aber, und das ist wichtiger, ist das
Schauspiel einer solchen plötzlichen Frontvcränderung im Angesichte des Feindes
durchaus nicht geeignet, der Welt das Gefühl einzuflößen, daß der Feldherr ein
unerschrockener, geschickter und seiner Sache sicherer Geist sein müsse. Wir haben
hier eine Maßregel, welche das Grundgesetz des Reiches in seinen Lebenswurzeln
anfaßt, und doch sind die Urheber dieser Maßregel in Betreff einiger ihrer
Hauptgedanken so unklar und so unsicher, daß sie im letzten Augenblicke einige
ihrer wichtigsten Vorkehrungen über Bord zu werfen bereit sind, einzig und allein,
um für das Projekt ein oder zwei Dutzend schwankende Stimmen zu gewinnen.
Das ist eben nicht darnach angethan, die Reihen der Liberalen, über die Glad-
stone in dieser Angelegenheit noch verfügt, mit freudiger Zuversicht zu erfüllen.
Das Ergebnis der viertägiger Debatte über die Gladstvueschc Zcrspaltuugsbill
ist, daß ihm das Unterhaus gestattet hat, sie in aller Form einzudringen. Aus
verschiednen Gründen sah man von einer Opposition gegen diese Förmlichkeit
ab, aber es war ganz sicher, daß, wenn man es zur Abstimmung über den An¬
trag hätte kommen lassen, die verneinenden Stimmen überwogen haben würden.
Die zweite Lesung, die am 6. Mai stattfinden soll, wird höchst wahrscheinlich
das Begräbnis des Kindes einläuten, mit dem Gladstone sein Andenken zu ver¬
ewigen gedachte, und England darf ihm wohl schon jetzt ein L.ö<.ML80ü.t in xAve
zurufen.




Kritische Beiträge zur sozialen Frage»

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e Anzeichen, daß die wirtschaftlichen und damit auch die politischen
Zustände der modernen Kulturvölker mehr und mehr einer ernsten
Entscheidung entgegentreiben, haben sich in der letzte» Zeit in bedenk¬
lichem Maße gehäuft, und es ist deshalb gewiß nicht unzeitgemäß,
einmal die allgemeinen Grundsätze, nach denen sich unsre wirt¬
schaftlichen Verhältnisse vollziehen, ans Grund der geschichtlichen Thatsachen
festzustellen und dadurch zu verhältnismäßig sichern Schlüssen zu gelangen
darüber, wie wir uns die Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu
denken haben. Gelingt es auf diese Weise, ein richtiges Bild der sozialen


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[0159] sie an, daß die Reichseinheit bis zu einem gewissen Grade erhalten, die fiska¬ lische Einheit dagegen geopfert werden könnte. Vielleicht entwaffnen diese Ver¬ sprechungen einer Abänderung einige von den Radikalen, welche sich gegen die Bill erklärten, aber die hauptsächlichsten Einwürfe gegen diese bestehen in ihrer vollen ursprünglichen Kraft fort. Sodann aber, und das ist wichtiger, ist das Schauspiel einer solchen plötzlichen Frontvcränderung im Angesichte des Feindes durchaus nicht geeignet, der Welt das Gefühl einzuflößen, daß der Feldherr ein unerschrockener, geschickter und seiner Sache sicherer Geist sein müsse. Wir haben hier eine Maßregel, welche das Grundgesetz des Reiches in seinen Lebenswurzeln anfaßt, und doch sind die Urheber dieser Maßregel in Betreff einiger ihrer Hauptgedanken so unklar und so unsicher, daß sie im letzten Augenblicke einige ihrer wichtigsten Vorkehrungen über Bord zu werfen bereit sind, einzig und allein, um für das Projekt ein oder zwei Dutzend schwankende Stimmen zu gewinnen. Das ist eben nicht darnach angethan, die Reihen der Liberalen, über die Glad- stone in dieser Angelegenheit noch verfügt, mit freudiger Zuversicht zu erfüllen. Das Ergebnis der viertägiger Debatte über die Gladstvueschc Zcrspaltuugsbill ist, daß ihm das Unterhaus gestattet hat, sie in aller Form einzudringen. Aus verschiednen Gründen sah man von einer Opposition gegen diese Förmlichkeit ab, aber es war ganz sicher, daß, wenn man es zur Abstimmung über den An¬ trag hätte kommen lassen, die verneinenden Stimmen überwogen haben würden. Die zweite Lesung, die am 6. Mai stattfinden soll, wird höchst wahrscheinlich das Begräbnis des Kindes einläuten, mit dem Gladstone sein Andenken zu ver¬ ewigen gedachte, und England darf ihm wohl schon jetzt ein L.ö<.ML80ü.t in xAve zurufen. Kritische Beiträge zur sozialen Frage» l e Anzeichen, daß die wirtschaftlichen und damit auch die politischen Zustände der modernen Kulturvölker mehr und mehr einer ernsten Entscheidung entgegentreiben, haben sich in der letzte» Zeit in bedenk¬ lichem Maße gehäuft, und es ist deshalb gewiß nicht unzeitgemäß, einmal die allgemeinen Grundsätze, nach denen sich unsre wirt¬ schaftlichen Verhältnisse vollziehen, ans Grund der geschichtlichen Thatsachen festzustellen und dadurch zu verhältnismäßig sichern Schlüssen zu gelangen darüber, wie wir uns die Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu denken haben. Gelingt es auf diese Weise, ein richtiges Bild der sozialen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/159>, abgerufen am 27.12.2024.