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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Moderne Probleme.

den Waffcnverbindungcn durchaus zu Leibe, will man durchaus von dem Über¬
handnehmen und dem "Unfug des Meusurwesens" sprechen, ohne seine sittliche
Berechtigung als Förderungsmittel der Mannhaftigkeit und Furchtlosigkeit, als
einen vortrefflichen Blitzableiter für die unvermeidlichen Händel, als ein un¬
schätzbares Gegengewicht gegen die Lttderlichkcit und die Sitten des (jun.re,lor
litem anzuerkennen, so schaffe man der akademischen Jngend einen andern Sport.
Die Mensur ist den deutschen Studenten das, was den englischen Studenten
das Rudern: sie ist volkstümlich im höchsten Maße, und wir fragen wieder:
Muß denn alles, was in Deutschland volkstümlich und historisch berechtigt ist,
verkümmert und in die Rumpelkammer geworfen werden zu Gunsten einer neuen
Schablone, statt es fortzucntwickeln? Werden in Oxford und Cambridge die
Wettruderer polizeilich verfolgt? Oder ist in England auf dem Wasser noch
niemand umgekommen? Vom Boxen garnicht zu reden, und vollends von der
Jagd. Geschieht auf der Jagd nicht alljährlich sehr viel mehr Unheil als auf
der Mensur? Weshalb verfolgt man nicht die Jagd? Ist es anderseits vielleicht
ein Zufall, wenn in unserm Geschichtsbüchern alle Augenblicke von der alten
germanischen Kampfesfreudigkeit erzählt wird? Und müssen unsre Bursche nnr
deshalb kostbare Tage auf den Festungen vertrödeln, weil sie mit gleichen In¬
stinkten geboren wurden wie ihre Voreltern?

Die "edelsten Kräfte der Nation" find von einem nun schon dahingegangnen
Parlamentarier gelegentlich im Hausirhandel entdeckt worden. Arme akademische
Jugend! Wie wenig magst du an dieser Stelle doch gelten? Wo findet sich
dein Anwalt?


R. H.


Moderne Probleme.

n dem Bestehende!! Kritik zu üben ist eil! so echt menschlicher
Zug, daß die Richtung auf das Negative, die dadurch bei den
Durchschuittsgcbildcten großgezogen wird, wenigstens in der
Gegenwart kaum mehr als auffallend und im Grunde doch als
abnorm augesehen wird. Probleme hat eben jede Zeit gehabt,
mußte sie haben, sofern sich nicht irgend einmal in dieser unvollkommenen Welt
die Menschheit hat entschließen können, mit dem zufrieden zu sein, was sie besaß.
Und da im großen und ganzen Probleme immer Differenzen bedeuten zwischen


Grmzbowi I. I88ö. 0
Moderne Probleme.

den Waffcnverbindungcn durchaus zu Leibe, will man durchaus von dem Über¬
handnehmen und dem „Unfug des Meusurwesens" sprechen, ohne seine sittliche
Berechtigung als Förderungsmittel der Mannhaftigkeit und Furchtlosigkeit, als
einen vortrefflichen Blitzableiter für die unvermeidlichen Händel, als ein un¬
schätzbares Gegengewicht gegen die Lttderlichkcit und die Sitten des (jun.re,lor
litem anzuerkennen, so schaffe man der akademischen Jngend einen andern Sport.
Die Mensur ist den deutschen Studenten das, was den englischen Studenten
das Rudern: sie ist volkstümlich im höchsten Maße, und wir fragen wieder:
Muß denn alles, was in Deutschland volkstümlich und historisch berechtigt ist,
verkümmert und in die Rumpelkammer geworfen werden zu Gunsten einer neuen
Schablone, statt es fortzucntwickeln? Werden in Oxford und Cambridge die
Wettruderer polizeilich verfolgt? Oder ist in England auf dem Wasser noch
niemand umgekommen? Vom Boxen garnicht zu reden, und vollends von der
Jagd. Geschieht auf der Jagd nicht alljährlich sehr viel mehr Unheil als auf
der Mensur? Weshalb verfolgt man nicht die Jagd? Ist es anderseits vielleicht
ein Zufall, wenn in unserm Geschichtsbüchern alle Augenblicke von der alten
germanischen Kampfesfreudigkeit erzählt wird? Und müssen unsre Bursche nnr
deshalb kostbare Tage auf den Festungen vertrödeln, weil sie mit gleichen In¬
stinkten geboren wurden wie ihre Voreltern?

Die „edelsten Kräfte der Nation" find von einem nun schon dahingegangnen
Parlamentarier gelegentlich im Hausirhandel entdeckt worden. Arme akademische
Jugend! Wie wenig magst du an dieser Stelle doch gelten? Wo findet sich
dein Anwalt?


R. H.


Moderne Probleme.

n dem Bestehende!! Kritik zu üben ist eil! so echt menschlicher
Zug, daß die Richtung auf das Negative, die dadurch bei den
Durchschuittsgcbildcten großgezogen wird, wenigstens in der
Gegenwart kaum mehr als auffallend und im Grunde doch als
abnorm augesehen wird. Probleme hat eben jede Zeit gehabt,
mußte sie haben, sofern sich nicht irgend einmal in dieser unvollkommenen Welt
die Menschheit hat entschließen können, mit dem zufrieden zu sein, was sie besaß.
Und da im großen und ganzen Probleme immer Differenzen bedeuten zwischen


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[0073] Moderne Probleme. den Waffcnverbindungcn durchaus zu Leibe, will man durchaus von dem Über¬ handnehmen und dem „Unfug des Meusurwesens" sprechen, ohne seine sittliche Berechtigung als Förderungsmittel der Mannhaftigkeit und Furchtlosigkeit, als einen vortrefflichen Blitzableiter für die unvermeidlichen Händel, als ein un¬ schätzbares Gegengewicht gegen die Lttderlichkcit und die Sitten des (jun.re,lor litem anzuerkennen, so schaffe man der akademischen Jngend einen andern Sport. Die Mensur ist den deutschen Studenten das, was den englischen Studenten das Rudern: sie ist volkstümlich im höchsten Maße, und wir fragen wieder: Muß denn alles, was in Deutschland volkstümlich und historisch berechtigt ist, verkümmert und in die Rumpelkammer geworfen werden zu Gunsten einer neuen Schablone, statt es fortzucntwickeln? Werden in Oxford und Cambridge die Wettruderer polizeilich verfolgt? Oder ist in England auf dem Wasser noch niemand umgekommen? Vom Boxen garnicht zu reden, und vollends von der Jagd. Geschieht auf der Jagd nicht alljährlich sehr viel mehr Unheil als auf der Mensur? Weshalb verfolgt man nicht die Jagd? Ist es anderseits vielleicht ein Zufall, wenn in unserm Geschichtsbüchern alle Augenblicke von der alten germanischen Kampfesfreudigkeit erzählt wird? Und müssen unsre Bursche nnr deshalb kostbare Tage auf den Festungen vertrödeln, weil sie mit gleichen In¬ stinkten geboren wurden wie ihre Voreltern? Die „edelsten Kräfte der Nation" find von einem nun schon dahingegangnen Parlamentarier gelegentlich im Hausirhandel entdeckt worden. Arme akademische Jugend! Wie wenig magst du an dieser Stelle doch gelten? Wo findet sich dein Anwalt? R. H. Moderne Probleme. n dem Bestehende!! Kritik zu üben ist eil! so echt menschlicher Zug, daß die Richtung auf das Negative, die dadurch bei den Durchschuittsgcbildcten großgezogen wird, wenigstens in der Gegenwart kaum mehr als auffallend und im Grunde doch als abnorm augesehen wird. Probleme hat eben jede Zeit gehabt, mußte sie haben, sofern sich nicht irgend einmal in dieser unvollkommenen Welt die Menschheit hat entschließen können, mit dem zufrieden zu sein, was sie besaß. Und da im großen und ganzen Probleme immer Differenzen bedeuten zwischen Grmzbowi I. I88ö. 0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/73>, abgerufen am 05.02.2025.