Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.9er Verlust des Volkstums durch die Sprache. or einigen Monaten gab Karl Vogt in einem Feuilleton der Ob solche Veräuderuttgen überhaupt möglich seien, ohne den innern Kern Bekanntlich werden in Ländern, wo zwei oder mehrere Völker ganz nahe 9er Verlust des Volkstums durch die Sprache. or einigen Monaten gab Karl Vogt in einem Feuilleton der Ob solche Veräuderuttgen überhaupt möglich seien, ohne den innern Kern Bekanntlich werden in Ländern, wo zwei oder mehrere Völker ganz nahe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197584"/> </div> <div n="1"> <head> 9er Verlust des Volkstums durch die Sprache.</head><lb/> <p xml:id="ID_467"> or einigen Monaten gab Karl Vogt in einem Feuilleton der<lb/> „Neuen freien Presse" den deutschen Grammatikern den Rat, sie<lb/> sollten, anstatt sich mit kleinlichen Fragen abzugeben, wie der über<lb/> die allgemeine Einführung der lateinischen Schrift in die deutsche<lb/> Sprache, lieber zusehen, wie die deutsche Sprache zu bearbeiten<lb/> und umzugestalten sei, damit die Deutschen unter anderen Völkern und über¬<lb/> haupt in der Fremde nicht so leicht ihr Volkstum aufgaben — „entnativnalisirt"<lb/> würden, Karl Vogt ist nämlich der Meinung, daß die Ursache der verhältnis¬<lb/> mäßig leichten Entnationalistrung der Deutschen doch in ihrer Sprache liegen<lb/> müsse. Als Beweis hierfür führt er seine eigne Familie an, die es nur mit<lb/> der äußersten Anstrengung zuwege bringe, daß die Kinder nicht ganz aus<lb/> der Übung der deutschen Sprache kämen, obgleich zu Hause grundsätzlich nur<lb/> Deutsch gesprochen würde, Vogt meint, es könne diesem Mißstände begegnet<lb/> werden dnrch eine entsprechende Umgestaltung der deutschen Sprache, bekennt<lb/> aber, daß er über das Wie eiuer solchen Umgestaltung ganz im unklaren ge¬<lb/> blieben sei. Dieses Geständnis erscheint umso aufrichtiger, als mit dem Vor¬<lb/> schlage, den Vogt macht, die deutschen Grammatiker in der That in die größte<lb/> Verlegenheit kommen und kaum herausfinden könnten, auf welchem Wege und<lb/> mit welchen Mitteln an der deutschen Sprache Veränderungen vorzunehmen<lb/> wären, damit der ferneren Entnationalistrung der Deutschen, soweit sie sich an<lb/> der Sprache zeigt, vorgebeugt werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_468"> Ob solche Veräuderuttgen überhaupt möglich seien, ohne den innern Kern<lb/> der Sprache zu zerstören, wollen wir vorläufig ganz unerörtert lassen; wohl<lb/> aber verlohnt es sich zuzusehen, ob wirklich in den Sprachen etwas liege,<lb/> was zum Hilfsmittel der Entnationalistrung dienen könnte. Denn erst nach<lb/> Beantwortung dieser Frage können die richtigen praktischen Gegenmittel ge¬<lb/> funden werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_469" next="#ID_470"> Bekanntlich werden in Ländern, wo zwei oder mehrere Völker ganz nahe<lb/> bei einander wohnen, die Kinder zu den Nachbarn bloß deshalb geschickt, damit<lb/> sie dort deren Sprache erlernen. Die Erfahrung zeigt, daß solche Kinder sich<lb/> ebenso leicht und in ebenso kurzer Zeit die fremde Sprache aneignen, wie sie<lb/> die Muttersprache erlernt hätten, wenn sie zu Hause geblieben wären. Hierin<lb/> sind alle Völker einander gleich, was für ein Gepräge auch immer die so an¬<lb/> gelernten Sprachen haben mögen. In dieser Beziehung hat die deutsche Sprache<lb/> mit allen andern ein gemeinsames Loos, und man könnte gar keine Ursache<lb/> auffinden, warum das deutsche Kind in der Fremde die Sprache eines andern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0160]
9er Verlust des Volkstums durch die Sprache.
or einigen Monaten gab Karl Vogt in einem Feuilleton der
„Neuen freien Presse" den deutschen Grammatikern den Rat, sie
sollten, anstatt sich mit kleinlichen Fragen abzugeben, wie der über
die allgemeine Einführung der lateinischen Schrift in die deutsche
Sprache, lieber zusehen, wie die deutsche Sprache zu bearbeiten
und umzugestalten sei, damit die Deutschen unter anderen Völkern und über¬
haupt in der Fremde nicht so leicht ihr Volkstum aufgaben — „entnativnalisirt"
würden, Karl Vogt ist nämlich der Meinung, daß die Ursache der verhältnis¬
mäßig leichten Entnationalistrung der Deutschen doch in ihrer Sprache liegen
müsse. Als Beweis hierfür führt er seine eigne Familie an, die es nur mit
der äußersten Anstrengung zuwege bringe, daß die Kinder nicht ganz aus
der Übung der deutschen Sprache kämen, obgleich zu Hause grundsätzlich nur
Deutsch gesprochen würde, Vogt meint, es könne diesem Mißstände begegnet
werden dnrch eine entsprechende Umgestaltung der deutschen Sprache, bekennt
aber, daß er über das Wie eiuer solchen Umgestaltung ganz im unklaren ge¬
blieben sei. Dieses Geständnis erscheint umso aufrichtiger, als mit dem Vor¬
schlage, den Vogt macht, die deutschen Grammatiker in der That in die größte
Verlegenheit kommen und kaum herausfinden könnten, auf welchem Wege und
mit welchen Mitteln an der deutschen Sprache Veränderungen vorzunehmen
wären, damit der ferneren Entnationalistrung der Deutschen, soweit sie sich an
der Sprache zeigt, vorgebeugt werde.
Ob solche Veräuderuttgen überhaupt möglich seien, ohne den innern Kern
der Sprache zu zerstören, wollen wir vorläufig ganz unerörtert lassen; wohl
aber verlohnt es sich zuzusehen, ob wirklich in den Sprachen etwas liege,
was zum Hilfsmittel der Entnationalistrung dienen könnte. Denn erst nach
Beantwortung dieser Frage können die richtigen praktischen Gegenmittel ge¬
funden werden.
Bekanntlich werden in Ländern, wo zwei oder mehrere Völker ganz nahe
bei einander wohnen, die Kinder zu den Nachbarn bloß deshalb geschickt, damit
sie dort deren Sprache erlernen. Die Erfahrung zeigt, daß solche Kinder sich
ebenso leicht und in ebenso kurzer Zeit die fremde Sprache aneignen, wie sie
die Muttersprache erlernt hätten, wenn sie zu Hause geblieben wären. Hierin
sind alle Völker einander gleich, was für ein Gepräge auch immer die so an¬
gelernten Sprachen haben mögen. In dieser Beziehung hat die deutsche Sprache
mit allen andern ein gemeinsames Loos, und man könnte gar keine Ursache
auffinden, warum das deutsche Kind in der Fremde die Sprache eines andern
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