Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Der Verlust dos volkstmns durch die Sprache. Volkes leichter erlernen sollte, als das Kind des Nachbarvolkes die deutsche Doch sind in dieser Beziehung besondre und zwar merkwürdige Erfahrungen Wir wollen uns hier nicht mit Untersuchungen aufhalten über die dnrch Die Schwierigkeiten beginnen gleich bei den Vokalen. Jeder, der Englisch Grenztwteu I. 1886. 20
Der Verlust dos volkstmns durch die Sprache. Volkes leichter erlernen sollte, als das Kind des Nachbarvolkes die deutsche Doch sind in dieser Beziehung besondre und zwar merkwürdige Erfahrungen Wir wollen uns hier nicht mit Untersuchungen aufhalten über die dnrch Die Schwierigkeiten beginnen gleich bei den Vokalen. Jeder, der Englisch Grenztwteu I. 1886. 20
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Der Verlust dos volkstmns durch die Sprache.
Volkes leichter erlernen sollte, als das Kind des Nachbarvolkes die deutsche
Sprache. Die Umgebung des fremden Volke?, das engliche Anhören der fremden
Laute übt ans unser Ohr den größten Einfluß ans; darum begeben sich ja
selbst Erwachsene und Gelehrte in die Zentren andrer Völker, um unter ihnen
das fremde Idiom ans sich wirken zu lassen. Selbst gegen unsern Willen wirkt
die fremde Umgebung mächtig auf uns ein, lind vergebens ist das Streben,
sich in der Fremde der dort herrschenden Sprache erwehren zu wollen. Die
Macht der Mehrheit ist es, gegen welche die Einzelkraft auch im Hinblick auf
die Sprache unterliegen muß; und daher bleibt im allgemeinen in der Fremde
die Sprache der fremden Nation Siegerin über unsre Muttersprache.
Doch sind in dieser Beziehung besondre und zwar merkwürdige Erfahrungen
bekannt; es bleibt selbst dem deutschen und slawischen Bauernsöhne nicht verborgen,
daß beispielsweise der Italiener viel schwerer Deutsch und slawisch erlernt als
der Deutsche und der Slawe Italienisch. Diese Thatsache tritt auffällig hervor,
sobald deutsche und italienische Arbeiter irgendwo darauf angewiesen sind, mit
einander zu verkehren, ohne daß einer die Muttersprache des andern versteht
oder der Hilfe eines Dolmetschers genießt. Der italienische Arbeiter spricht die
deutschen Wörter so plump und schwerfällig aus, und sein Sprachgedächtnis ist
so langsam, daß ihm der deutsche Arbeiter unwillkürlich fortwährend zu Hilfe
kommt, nachdem er längst die nötigsten italienischen Wörter besser oder schlechter
inne hat. Hier ist der Punkt, bei dem die Forschung ihre Arbeit beginnen
muß, wenn sie dazu gelangen soll, die Ursachen der Entnativnalisirung durch
die Sprache aufzudecken.
Wir wollen uns hier nicht mit Untersuchungen aufhalten über die dnrch
Vererbung erlangte Fähigkeit, diese oder jene Sprache leichter zu erlernen als
eine andre, oder über Sprachcntalent überhaupt. Es wäre dies ja doch für
uns bedeutungslos. Dagegen wollen wir gleich vorausschicken, daß wir doch
annehmen müssen, der Italiener und der Deutsche, von denen wir oben ge¬
sprochen, haben jeder die Schwierigkeiten ihrer Muttersprache bereits in der
Kindheit überwunden. Jeder von beiden hat also eine gewisse Summe und eine
gewisse Art vou Schwierigkeiten inne; und zwar liegen dieselben einerseits in
der Aussprache, anderseiis in den grammatischen Eigenheiten der Sprache. Um
zunächst bei der Aussprache zu bleiben, bestehe» sür ihn gar keine Schwierig¬
keiten in der fremden Sprache dort, wo dieselbe gleiche Lunte oder Lantgrnppcn
wie seine eigne besitzt. Er braucht dann nicht für die fremde Sprache neue
Anstrengungen zu mache», da er die Schwierigkeiten, um die sichs handelt, in
seiner eignen Sprache schon in der Kindheit überwunden hat. Sobald jedoch
Laute anzueignen sind, welche in der Muttersprache nicht gebraucht werden, so
bedarf es mehr oder weniger Arbeit und Übung, um sie richtig auszusprechen.
Die Schwierigkeiten beginnen gleich bei den Vokalen. Jeder, der Englisch
gelernt hat, wird wissen, welche Anstrengungen es kostet, um nur das a so ein-
Grenztwteu I. 1886. 20
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