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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dem Stilfser Joch.
von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)
Zwölftes Aapitel.

le anstrengende Arbeit der letzten Wochen hatte Harald nicht nur
innerlich nicht aufgerichtet, sondern auch sein Physisches Be¬
finden verschlechtert. Die vorangegangne schwere Gemütserschüt¬
terung und die darauf folgende Aufregung bei der Arbeit, die
Lust und der Wille, sie gut und schnell zu vollenden, die
Bangigkeit, daß dieser Schwanengesang seiner Kunst doch nicht den eignen
Wünschen entsprechen könnte, hatte bei dem Maler ein nervöses Zittern hervor¬
gerufen, das ihn bei dem geringsten Anlaß befiel. Er bemerkte auch, daß
abends leichte Fieberschauer eintraten, und sein Schlaf war seit der Katastrophe
seiner Liebe überhaupt kein ruhiger mehr. Teils war Harald sich selbst über
seinen Zustand unklar, teils schenkte er demselben keine Beachtung. Es trieb
ihn plötzlich hinaus aus Berlin und nachdem er seine wenigen Mobilien und
seine Bilder in einer Remise seines Hauswirth untergebracht hatte, reiste er ab,
ziellos und ohne zu wissen, wohin der Stern seines Lebens ihn führen würde.

Er hatte ein Billet nach München genommen, obwohl er entschlossen war,
in dieser Stadt, in welcher er unter den Kunstgenossen viele Freunde besaß, nicht
zu verweilen. Aber er war uoch uicht einig mit sich, nach welcher Richtung er
von dort seine Reise einschlagen sollte. Noch dachte er unterwegs darüber nach,
als in der alten Bischofsstadt Freising eine Prozession von Landleuten den
Zug bestieg und er auf seine Erkundigungen erfuhr, daß es Pilger wären, die
nach Oberammergau zu den Passionsspielen zögen. Dies brachte ihn selbst auf
den Gedanken, diesen Spielen beizuwohnen, und er blieb daher nur einige
Minuten auf dem Bahnhofe in München, bis der Zug uach Murren abfuhr.
Von dort trat er zu Fuß die Wanderung über Ettal an und gelangte noch am




Auf dem Stilfser Joch.
von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)
Zwölftes Aapitel.

le anstrengende Arbeit der letzten Wochen hatte Harald nicht nur
innerlich nicht aufgerichtet, sondern auch sein Physisches Be¬
finden verschlechtert. Die vorangegangne schwere Gemütserschüt¬
terung und die darauf folgende Aufregung bei der Arbeit, die
Lust und der Wille, sie gut und schnell zu vollenden, die
Bangigkeit, daß dieser Schwanengesang seiner Kunst doch nicht den eignen
Wünschen entsprechen könnte, hatte bei dem Maler ein nervöses Zittern hervor¬
gerufen, das ihn bei dem geringsten Anlaß befiel. Er bemerkte auch, daß
abends leichte Fieberschauer eintraten, und sein Schlaf war seit der Katastrophe
seiner Liebe überhaupt kein ruhiger mehr. Teils war Harald sich selbst über
seinen Zustand unklar, teils schenkte er demselben keine Beachtung. Es trieb
ihn plötzlich hinaus aus Berlin und nachdem er seine wenigen Mobilien und
seine Bilder in einer Remise seines Hauswirth untergebracht hatte, reiste er ab,
ziellos und ohne zu wissen, wohin der Stern seines Lebens ihn führen würde.

Er hatte ein Billet nach München genommen, obwohl er entschlossen war,
in dieser Stadt, in welcher er unter den Kunstgenossen viele Freunde besaß, nicht
zu verweilen. Aber er war uoch uicht einig mit sich, nach welcher Richtung er
von dort seine Reise einschlagen sollte. Noch dachte er unterwegs darüber nach,
als in der alten Bischofsstadt Freising eine Prozession von Landleuten den
Zug bestieg und er auf seine Erkundigungen erfuhr, daß es Pilger wären, die
nach Oberammergau zu den Passionsspielen zögen. Dies brachte ihn selbst auf
den Gedanken, diesen Spielen beizuwohnen, und er blieb daher nur einige
Minuten auf dem Bahnhofe in München, bis der Zug uach Murren abfuhr.
Von dort trat er zu Fuß die Wanderung über Ettal an und gelangte noch am


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[0503] [Abbildung] Auf dem Stilfser Joch. von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.) Zwölftes Aapitel. le anstrengende Arbeit der letzten Wochen hatte Harald nicht nur innerlich nicht aufgerichtet, sondern auch sein Physisches Be¬ finden verschlechtert. Die vorangegangne schwere Gemütserschüt¬ terung und die darauf folgende Aufregung bei der Arbeit, die Lust und der Wille, sie gut und schnell zu vollenden, die Bangigkeit, daß dieser Schwanengesang seiner Kunst doch nicht den eignen Wünschen entsprechen könnte, hatte bei dem Maler ein nervöses Zittern hervor¬ gerufen, das ihn bei dem geringsten Anlaß befiel. Er bemerkte auch, daß abends leichte Fieberschauer eintraten, und sein Schlaf war seit der Katastrophe seiner Liebe überhaupt kein ruhiger mehr. Teils war Harald sich selbst über seinen Zustand unklar, teils schenkte er demselben keine Beachtung. Es trieb ihn plötzlich hinaus aus Berlin und nachdem er seine wenigen Mobilien und seine Bilder in einer Remise seines Hauswirth untergebracht hatte, reiste er ab, ziellos und ohne zu wissen, wohin der Stern seines Lebens ihn führen würde. Er hatte ein Billet nach München genommen, obwohl er entschlossen war, in dieser Stadt, in welcher er unter den Kunstgenossen viele Freunde besaß, nicht zu verweilen. Aber er war uoch uicht einig mit sich, nach welcher Richtung er von dort seine Reise einschlagen sollte. Noch dachte er unterwegs darüber nach, als in der alten Bischofsstadt Freising eine Prozession von Landleuten den Zug bestieg und er auf seine Erkundigungen erfuhr, daß es Pilger wären, die nach Oberammergau zu den Passionsspielen zögen. Dies brachte ihn selbst auf den Gedanken, diesen Spielen beizuwohnen, und er blieb daher nur einige Minuten auf dem Bahnhofe in München, bis der Zug uach Murren abfuhr. Von dort trat er zu Fuß die Wanderung über Ettal an und gelangte noch am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/503>, abgerufen am 15.01.2025.