Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Haiidwerkerbewogung und ihr mögliches Ziel,

bares Abhängigkeitsverhältnis gestellt haben. So etwas ist noch schlimmer als
jede Instruktion.

Nun mögen ja viele Abgeordnete von vornherein von dem Geiste ihrer
Fraktion so erfüllt sein, daß es für ihr Auftreten keinen Unterschied macht, ob
sie von der Fraktion bezahlt werden oder nicht. Auch sieht man ziemlich all¬
gemein das Fraktionswesen als etwas so Selbstverständliches an, daß man
garnichts dabei findet, wenn jemand sich mit Haut und Haar einer Fraktion
verschreibt. Würde dieser Gedanke konsequent durchgeführt, so brauchten eigentlich
die Wahlkvrperschaften garnicht mehr einen wirklichen Menschen in den Reichs¬
tag zu entsenden, sondern sie votirten nur eine Znsatzstimme für den Herrn
Richter, Windthorst, Bebel.>c., welche diese sich bei jeder Abstimmung zurechnen
dürften. Macht man sich aber von dieser Befangenheit, mit welcher man das
Maktionswcscn betrachtet, frei, so kaun man doch in der That nicht verkennen,
daß es für einen Menschen, der sich selbst fühlt, etwas moralisch .Herabwürdigendes
ist, wenn er für eine Thätigkeit, bei der er nach freier Überzeugung handeln
soll, von einem Jntercssirtcn sich bezahlen läßt und damit seine freie Über¬
zeugung von vornherein gefangen giebt.

Die Frage, inwieweit diese Momente dergestalt ausschlaggebend sind, daß
sich das Beziehen von Fraktionsduitcn unter die gedachten Vorschriften des
Preußischen Landrechtes subsunnren läßt, wird die von den preußischen Gerichte"
zu beantwortende sein.




Die Handwerkerbewegung und ihr mögliches Ziel.

le gegenwärtige deutsche Handwerkerbcwegung (so darf und muß
man sie nennen, da es in andern Ländern bis jetzt nur Anläufe
zu ähnlichen Bestrebungen giebt) dreht sich um die Frage, ob es
möglich sei, kleingewerblichc Selbständigkeit mitten in dem ge¬
waltigen technischen und industriellen Leben unsrer Zeit zu be¬
wahren. Ist dies möglich, so kann es wieder ein Handwerk geben, natürlich
>n andern als den mittelalterlichen Formen, aber doch in solchen, welche eine
gewisse innere Verwandtschaft mit denselben haben; ist es nicht möglich, so
behalten diejenigen Recht, welche in allen zur Zeit stattfindenden Anstrengungen
zu einer Wiederbelebung des Handwerks uur eine unnütze, den Todeskampf
dieser Wirtschaftsform verlängernde und qualvoller machende Grausamkeit er¬
blicken.


Die Haiidwerkerbewogung und ihr mögliches Ziel,

bares Abhängigkeitsverhältnis gestellt haben. So etwas ist noch schlimmer als
jede Instruktion.

Nun mögen ja viele Abgeordnete von vornherein von dem Geiste ihrer
Fraktion so erfüllt sein, daß es für ihr Auftreten keinen Unterschied macht, ob
sie von der Fraktion bezahlt werden oder nicht. Auch sieht man ziemlich all¬
gemein das Fraktionswesen als etwas so Selbstverständliches an, daß man
garnichts dabei findet, wenn jemand sich mit Haut und Haar einer Fraktion
verschreibt. Würde dieser Gedanke konsequent durchgeführt, so brauchten eigentlich
die Wahlkvrperschaften garnicht mehr einen wirklichen Menschen in den Reichs¬
tag zu entsenden, sondern sie votirten nur eine Znsatzstimme für den Herrn
Richter, Windthorst, Bebel.>c., welche diese sich bei jeder Abstimmung zurechnen
dürften. Macht man sich aber von dieser Befangenheit, mit welcher man das
Maktionswcscn betrachtet, frei, so kaun man doch in der That nicht verkennen,
daß es für einen Menschen, der sich selbst fühlt, etwas moralisch .Herabwürdigendes
ist, wenn er für eine Thätigkeit, bei der er nach freier Überzeugung handeln
soll, von einem Jntercssirtcn sich bezahlen läßt und damit seine freie Über¬
zeugung von vornherein gefangen giebt.

Die Frage, inwieweit diese Momente dergestalt ausschlaggebend sind, daß
sich das Beziehen von Fraktionsduitcn unter die gedachten Vorschriften des
Preußischen Landrechtes subsunnren läßt, wird die von den preußischen Gerichte»
zu beantwortende sein.




Die Handwerkerbewegung und ihr mögliches Ziel.

le gegenwärtige deutsche Handwerkerbcwegung (so darf und muß
man sie nennen, da es in andern Ländern bis jetzt nur Anläufe
zu ähnlichen Bestrebungen giebt) dreht sich um die Frage, ob es
möglich sei, kleingewerblichc Selbständigkeit mitten in dem ge¬
waltigen technischen und industriellen Leben unsrer Zeit zu be¬
wahren. Ist dies möglich, so kann es wieder ein Handwerk geben, natürlich
>n andern als den mittelalterlichen Formen, aber doch in solchen, welche eine
gewisse innere Verwandtschaft mit denselben haben; ist es nicht möglich, so
behalten diejenigen Recht, welche in allen zur Zeit stattfindenden Anstrengungen
zu einer Wiederbelebung des Handwerks uur eine unnütze, den Todeskampf
dieser Wirtschaftsform verlängernde und qualvoller machende Grausamkeit er¬
blicken.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196503"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Haiidwerkerbewogung und ihr mögliches Ziel,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1623" prev="#ID_1622"> bares Abhängigkeitsverhältnis gestellt haben. So etwas ist noch schlimmer als<lb/>
jede Instruktion.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1624"> Nun mögen ja viele Abgeordnete von vornherein von dem Geiste ihrer<lb/>
Fraktion so erfüllt sein, daß es für ihr Auftreten keinen Unterschied macht, ob<lb/>
sie von der Fraktion bezahlt werden oder nicht. Auch sieht man ziemlich all¬<lb/>
gemein das Fraktionswesen als etwas so Selbstverständliches an, daß man<lb/>
garnichts dabei findet, wenn jemand sich mit Haut und Haar einer Fraktion<lb/>
verschreibt. Würde dieser Gedanke konsequent durchgeführt, so brauchten eigentlich<lb/>
die Wahlkvrperschaften garnicht mehr einen wirklichen Menschen in den Reichs¬<lb/>
tag zu entsenden, sondern sie votirten nur eine Znsatzstimme für den Herrn<lb/>
Richter, Windthorst, Bebel.&gt;c., welche diese sich bei jeder Abstimmung zurechnen<lb/>
dürften. Macht man sich aber von dieser Befangenheit, mit welcher man das<lb/>
Maktionswcscn betrachtet, frei, so kaun man doch in der That nicht verkennen,<lb/>
daß es für einen Menschen, der sich selbst fühlt, etwas moralisch .Herabwürdigendes<lb/>
ist, wenn er für eine Thätigkeit, bei der er nach freier Überzeugung handeln<lb/>
soll, von einem Jntercssirtcn sich bezahlen läßt und damit seine freie Über¬<lb/>
zeugung von vornherein gefangen giebt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1625"> Die Frage, inwieweit diese Momente dergestalt ausschlaggebend sind, daß<lb/>
sich das Beziehen von Fraktionsduitcn unter die gedachten Vorschriften des<lb/>
Preußischen Landrechtes subsunnren läßt, wird die von den preußischen Gerichte»<lb/>
zu beantwortende sein.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Handwerkerbewegung und ihr mögliches Ziel.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1626"> le gegenwärtige deutsche Handwerkerbcwegung (so darf und muß<lb/>
man sie nennen, da es in andern Ländern bis jetzt nur Anläufe<lb/>
zu ähnlichen Bestrebungen giebt) dreht sich um die Frage, ob es<lb/>
möglich sei, kleingewerblichc Selbständigkeit mitten in dem ge¬<lb/>
waltigen technischen und industriellen Leben unsrer Zeit zu be¬<lb/>
wahren. Ist dies möglich, so kann es wieder ein Handwerk geben, natürlich<lb/>
&gt;n andern als den mittelalterlichen Formen, aber doch in solchen, welche eine<lb/>
gewisse innere Verwandtschaft mit denselben haben; ist es nicht möglich, so<lb/>
behalten diejenigen Recht, welche in allen zur Zeit stattfindenden Anstrengungen<lb/>
zu einer Wiederbelebung des Handwerks uur eine unnütze, den Todeskampf<lb/>
dieser Wirtschaftsform verlängernde und qualvoller machende Grausamkeit er¬<lb/>
blicken.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0403] Die Haiidwerkerbewogung und ihr mögliches Ziel, bares Abhängigkeitsverhältnis gestellt haben. So etwas ist noch schlimmer als jede Instruktion. Nun mögen ja viele Abgeordnete von vornherein von dem Geiste ihrer Fraktion so erfüllt sein, daß es für ihr Auftreten keinen Unterschied macht, ob sie von der Fraktion bezahlt werden oder nicht. Auch sieht man ziemlich all¬ gemein das Fraktionswesen als etwas so Selbstverständliches an, daß man garnichts dabei findet, wenn jemand sich mit Haut und Haar einer Fraktion verschreibt. Würde dieser Gedanke konsequent durchgeführt, so brauchten eigentlich die Wahlkvrperschaften garnicht mehr einen wirklichen Menschen in den Reichs¬ tag zu entsenden, sondern sie votirten nur eine Znsatzstimme für den Herrn Richter, Windthorst, Bebel.>c., welche diese sich bei jeder Abstimmung zurechnen dürften. Macht man sich aber von dieser Befangenheit, mit welcher man das Maktionswcscn betrachtet, frei, so kaun man doch in der That nicht verkennen, daß es für einen Menschen, der sich selbst fühlt, etwas moralisch .Herabwürdigendes ist, wenn er für eine Thätigkeit, bei der er nach freier Überzeugung handeln soll, von einem Jntercssirtcn sich bezahlen läßt und damit seine freie Über¬ zeugung von vornherein gefangen giebt. Die Frage, inwieweit diese Momente dergestalt ausschlaggebend sind, daß sich das Beziehen von Fraktionsduitcn unter die gedachten Vorschriften des Preußischen Landrechtes subsunnren läßt, wird die von den preußischen Gerichte» zu beantwortende sein. Die Handwerkerbewegung und ihr mögliches Ziel. le gegenwärtige deutsche Handwerkerbcwegung (so darf und muß man sie nennen, da es in andern Ländern bis jetzt nur Anläufe zu ähnlichen Bestrebungen giebt) dreht sich um die Frage, ob es möglich sei, kleingewerblichc Selbständigkeit mitten in dem ge¬ waltigen technischen und industriellen Leben unsrer Zeit zu be¬ wahren. Ist dies möglich, so kann es wieder ein Handwerk geben, natürlich >n andern als den mittelalterlichen Formen, aber doch in solchen, welche eine gewisse innere Verwandtschaft mit denselben haben; ist es nicht möglich, so behalten diejenigen Recht, welche in allen zur Zeit stattfindenden Anstrengungen zu einer Wiederbelebung des Handwerks uur eine unnütze, den Todeskampf dieser Wirtschaftsform verlängernde und qualvoller machende Grausamkeit er¬ blicken.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/403
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/403>, abgerufen am 21.11.2024.