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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die Reden des Fürsten Bismarck.

le "Kollektion Spemann" hat es unternommen, unter dem Titel
"Fürst Bismarck als Redner" dem deutschen Volke eine voll¬
ständige Sammlung der parlamentarischen Reden unsers Reichs¬
kanzlers zu liefern. Die Sammlung (geordnet von Wilhelm Böhm)
erläutert durch einige Vorbemerkungen den Zusammenhang einer
jeden Rede und giebt auf diese Weise ein ziemlich übersichtliches Bild der Ver¬
handlungen, bei denen Fürst Bismarck sich beteiligt hat. Das erste Bändchen,
welches zum siebzigsten Geburtstage des Reichskanzlers erschien, umfaßte die
Reden der Jahre 1847 bis 1852. Jetzt ist auch das zweite Bändchen mit den
Reden der Jahre 1862 bis 1866 erschienen. Dieser Zeitraum, die schwere Zeit
des preußischen Verfassungskonfliktes, ist ja vielen -- so auch dem Schreiber
dieser Zeilen -- noch in lebendiger Erinnerung. Und dennoch rufen diese
Reden, deren Einzelheiten Wohl den meisten entfallen sein werden, beim Durch¬
lesen wieder einen mächtigen Eindruck hervor. Ein gewaltiger geistiger Kampf
zieht vor unsern Augen vorüber. Auch wird manches geklärt, was im Laufe
der Zeit sich einigermaßen verdunkelt hat. Man macht sich gewöhnlich von dem
sogenannten Verfassungskonflikte eine unrichtige Vorstellung. Man glaubt, das
Abgeordnetenhaus habe den klaren Wortlaut der Verfassung für sich gehabt,
und die Regierung habe sich über diesen Wortlaut hinweggesetzt. So lag die
Sache in Wahrheit nicht. Es war durch die Komplikation des Falles eine
Lage geschaffen, bei welcher die Regierung deu Wortlaut der Verfassung aller¬
dings nicht für sich, aber auch nicht gegen sich hatte. Es ist ja unzweifelhaft,
daß das aus der altlandständischen (ursprünglich völlig freiwilligen) Steuer-
bewilligung hervorgegangene Budgetrecht der Volksvertretungen eine der wich¬
tigsten Garantien des konstitutionellen Staatsrechts bildet. In der preußischen Ver¬
fassung hat aber dieses Budgetrecht nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden.
Die Bewilligung der "Einnahmen" ist schon dadurch beschränkt, daß alle durch
Gesetz angeordneten Steuern ohne weiteres erhoben werden dürfen. Überdies
ist die Bewilligung von "Ausgaben und Einnahmen" an die Form des Staats¬
haushaltsetats geknüpft, welcher "jährlich dnrch Gesetz festgestellt wird." Bei
diesem Gesetz hat nun auch das Herrenhaus mitzuwirken, darf jedoch den Etat
nur im ganzen annehmen oder -- "ablehnen." So sagt ausdrücklich Artikel 62
der Verfassung. Nun kam im Jahre 1862 die Opposition des Abgeordneten¬
hauses auf deu unglücklichen Gedanken, die im Etat angesetzten Kosten für die


Gronzboten III. 133S. 14
Die Reden des Fürsten Bismarck.

le „Kollektion Spemann" hat es unternommen, unter dem Titel
„Fürst Bismarck als Redner" dem deutschen Volke eine voll¬
ständige Sammlung der parlamentarischen Reden unsers Reichs¬
kanzlers zu liefern. Die Sammlung (geordnet von Wilhelm Böhm)
erläutert durch einige Vorbemerkungen den Zusammenhang einer
jeden Rede und giebt auf diese Weise ein ziemlich übersichtliches Bild der Ver¬
handlungen, bei denen Fürst Bismarck sich beteiligt hat. Das erste Bändchen,
welches zum siebzigsten Geburtstage des Reichskanzlers erschien, umfaßte die
Reden der Jahre 1847 bis 1852. Jetzt ist auch das zweite Bändchen mit den
Reden der Jahre 1862 bis 1866 erschienen. Dieser Zeitraum, die schwere Zeit
des preußischen Verfassungskonfliktes, ist ja vielen — so auch dem Schreiber
dieser Zeilen — noch in lebendiger Erinnerung. Und dennoch rufen diese
Reden, deren Einzelheiten Wohl den meisten entfallen sein werden, beim Durch¬
lesen wieder einen mächtigen Eindruck hervor. Ein gewaltiger geistiger Kampf
zieht vor unsern Augen vorüber. Auch wird manches geklärt, was im Laufe
der Zeit sich einigermaßen verdunkelt hat. Man macht sich gewöhnlich von dem
sogenannten Verfassungskonflikte eine unrichtige Vorstellung. Man glaubt, das
Abgeordnetenhaus habe den klaren Wortlaut der Verfassung für sich gehabt,
und die Regierung habe sich über diesen Wortlaut hinweggesetzt. So lag die
Sache in Wahrheit nicht. Es war durch die Komplikation des Falles eine
Lage geschaffen, bei welcher die Regierung deu Wortlaut der Verfassung aller¬
dings nicht für sich, aber auch nicht gegen sich hatte. Es ist ja unzweifelhaft,
daß das aus der altlandständischen (ursprünglich völlig freiwilligen) Steuer-
bewilligung hervorgegangene Budgetrecht der Volksvertretungen eine der wich¬
tigsten Garantien des konstitutionellen Staatsrechts bildet. In der preußischen Ver¬
fassung hat aber dieses Budgetrecht nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden.
Die Bewilligung der „Einnahmen" ist schon dadurch beschränkt, daß alle durch
Gesetz angeordneten Steuern ohne weiteres erhoben werden dürfen. Überdies
ist die Bewilligung von „Ausgaben und Einnahmen" an die Form des Staats¬
haushaltsetats geknüpft, welcher „jährlich dnrch Gesetz festgestellt wird." Bei
diesem Gesetz hat nun auch das Herrenhaus mitzuwirken, darf jedoch den Etat
nur im ganzen annehmen oder — „ablehnen." So sagt ausdrücklich Artikel 62
der Verfassung. Nun kam im Jahre 1862 die Opposition des Abgeordneten¬
hauses auf deu unglücklichen Gedanken, die im Etat angesetzten Kosten für die


Gronzboten III. 133S. 14
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[0113] Die Reden des Fürsten Bismarck. le „Kollektion Spemann" hat es unternommen, unter dem Titel „Fürst Bismarck als Redner" dem deutschen Volke eine voll¬ ständige Sammlung der parlamentarischen Reden unsers Reichs¬ kanzlers zu liefern. Die Sammlung (geordnet von Wilhelm Böhm) erläutert durch einige Vorbemerkungen den Zusammenhang einer jeden Rede und giebt auf diese Weise ein ziemlich übersichtliches Bild der Ver¬ handlungen, bei denen Fürst Bismarck sich beteiligt hat. Das erste Bändchen, welches zum siebzigsten Geburtstage des Reichskanzlers erschien, umfaßte die Reden der Jahre 1847 bis 1852. Jetzt ist auch das zweite Bändchen mit den Reden der Jahre 1862 bis 1866 erschienen. Dieser Zeitraum, die schwere Zeit des preußischen Verfassungskonfliktes, ist ja vielen — so auch dem Schreiber dieser Zeilen — noch in lebendiger Erinnerung. Und dennoch rufen diese Reden, deren Einzelheiten Wohl den meisten entfallen sein werden, beim Durch¬ lesen wieder einen mächtigen Eindruck hervor. Ein gewaltiger geistiger Kampf zieht vor unsern Augen vorüber. Auch wird manches geklärt, was im Laufe der Zeit sich einigermaßen verdunkelt hat. Man macht sich gewöhnlich von dem sogenannten Verfassungskonflikte eine unrichtige Vorstellung. Man glaubt, das Abgeordnetenhaus habe den klaren Wortlaut der Verfassung für sich gehabt, und die Regierung habe sich über diesen Wortlaut hinweggesetzt. So lag die Sache in Wahrheit nicht. Es war durch die Komplikation des Falles eine Lage geschaffen, bei welcher die Regierung deu Wortlaut der Verfassung aller¬ dings nicht für sich, aber auch nicht gegen sich hatte. Es ist ja unzweifelhaft, daß das aus der altlandständischen (ursprünglich völlig freiwilligen) Steuer- bewilligung hervorgegangene Budgetrecht der Volksvertretungen eine der wich¬ tigsten Garantien des konstitutionellen Staatsrechts bildet. In der preußischen Ver¬ fassung hat aber dieses Budgetrecht nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden. Die Bewilligung der „Einnahmen" ist schon dadurch beschränkt, daß alle durch Gesetz angeordneten Steuern ohne weiteres erhoben werden dürfen. Überdies ist die Bewilligung von „Ausgaben und Einnahmen" an die Form des Staats¬ haushaltsetats geknüpft, welcher „jährlich dnrch Gesetz festgestellt wird." Bei diesem Gesetz hat nun auch das Herrenhaus mitzuwirken, darf jedoch den Etat nur im ganzen annehmen oder — „ablehnen." So sagt ausdrücklich Artikel 62 der Verfassung. Nun kam im Jahre 1862 die Opposition des Abgeordneten¬ hauses auf deu unglücklichen Gedanken, die im Etat angesetzten Kosten für die Gronzboten III. 133S. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/113>, abgerufen am 24.11.2024.