Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Roben des Fürsten Bismarck.

Neuorganisation des Heeres zu streichen. Bereits zweimal waren diese Kosten,
allerdings nur "provisorisch," bewilligt, und es war die Neuorganisation ans
Grund dieser Bewilligungen ins Leben gerufen worden. Der jetzt erfolgende
Abstrich bedeutete also nichts geringeres als das Verlangen, die Neuorgani¬
sation rückgängig zu machen. Da machte nun das Herrenhaus -- ohne Zweifel
den Wünschen der Regierung entsprechend -- von der Befugnis des Artikels 62
Gebrauch und lehnte den vom Abgeordnetenhause beschlossenen Etat ab. Es
konnte also ein Etat-"Gesetz" nicht erlassen werden, ein Fall, welcher völlig
außerhalb der Bestimmungen der Verfassung lag. Und nun erachtete sich die
Regierung für ermächtigt, da das Staatsleben nicht stillstehen könne, die not¬
wendigen Ausgaben, einschließlich der für die Armeeorganisation, deren Rück¬
gängigmachung als eine politische Unmöglichkeit bezeichnet wurde, auch ohne
Etatgesetz zu bestreiten. Es ist ja nicht zu leugnen, daß mit Durchführung
dieser Ansicht der Beweis geführt wurde, daß das preußische Verfassungsrecht
in einem wesentlichen Punkte nur ein prekäres Dasein hat, und daraus erklärt
sich die Leidenschaftlichkeit, mit welcher die große Mehrzahl des Abgeordneten¬
hauses das Verfahren der Negierung als ein "verfassungswidriges" angriff.
Dieser Flut von Angriffen stellte sich der Ministerpräsident von Bismarck mit
einem Mute ohne gleichen entgegen. Er wies darauf hin, daß alles Verfassnngs-
leben nur auf Kompromissen beruhe; daß, wenn jede der beteiligten Gewalten
ihre Ansichten mit absolutem Doktrinarismus durchsetzen wolle, an die Stelle
der Kompromisse Konflikte träten; diese Konflikte aber, da das Staatsleben nicht
stillstehen könne, zu Machtfragen würden, bei denen der, welcher die Macht in
den Händen habe, in seinem Sinne vorgehe. Auf Grund dieser Ausführung
wurde ihm dann vorwurfsvoll der Ausspruch in den Mund gelegt: "Macht
geht vor Recht," ein Ausspruch, den Fürst Bismarck in Wahrheit niemals ge¬
than hat.

Auch auf das Gebiet der äußern Politik spielte sich der Kampf hinüber.
Im Januar 1863 brach die polnische Revolution ans. Die Negierung ließ die
Grenzen stärker besetzen und schloß mit der russischen Regierung eine auf die
Unterdrückung des Aufstandes bezügliche Übereinkunft ab. Den Inhalt dieser
Übereinkunft verlangte man im Abgeordnetenhause zu erfahren. Der Minister¬
präsident lehnte es ab, darüber Auskunft zu geben. Darob großer Zorn der
Abgeordneten, die mit unverkennbarer Sympathie sich dem Aufstande Umwandler.
Herr von Bismarck wies diese Sympathien zurück mit dem Bemerken, daß ein
propagandistisches Polen die größte Gefahr für Preußen sei, und deshalb die
preußischen Interessen unmöglich in dem Lager der Insurgenten gesucht werden
könnten.

Im November 1863 starb König Friedrich von Dänemark. Der National¬
verein verlangte die sofortige Anerkennung des Erbprinzen von Augustenburg
als Herzog von Schleswig-Holstein, und ihm folgte das preußische Abgeord-


Die Roben des Fürsten Bismarck.

Neuorganisation des Heeres zu streichen. Bereits zweimal waren diese Kosten,
allerdings nur „provisorisch," bewilligt, und es war die Neuorganisation ans
Grund dieser Bewilligungen ins Leben gerufen worden. Der jetzt erfolgende
Abstrich bedeutete also nichts geringeres als das Verlangen, die Neuorgani¬
sation rückgängig zu machen. Da machte nun das Herrenhaus — ohne Zweifel
den Wünschen der Regierung entsprechend — von der Befugnis des Artikels 62
Gebrauch und lehnte den vom Abgeordnetenhause beschlossenen Etat ab. Es
konnte also ein Etat-„Gesetz" nicht erlassen werden, ein Fall, welcher völlig
außerhalb der Bestimmungen der Verfassung lag. Und nun erachtete sich die
Regierung für ermächtigt, da das Staatsleben nicht stillstehen könne, die not¬
wendigen Ausgaben, einschließlich der für die Armeeorganisation, deren Rück¬
gängigmachung als eine politische Unmöglichkeit bezeichnet wurde, auch ohne
Etatgesetz zu bestreiten. Es ist ja nicht zu leugnen, daß mit Durchführung
dieser Ansicht der Beweis geführt wurde, daß das preußische Verfassungsrecht
in einem wesentlichen Punkte nur ein prekäres Dasein hat, und daraus erklärt
sich die Leidenschaftlichkeit, mit welcher die große Mehrzahl des Abgeordneten¬
hauses das Verfahren der Negierung als ein „verfassungswidriges" angriff.
Dieser Flut von Angriffen stellte sich der Ministerpräsident von Bismarck mit
einem Mute ohne gleichen entgegen. Er wies darauf hin, daß alles Verfassnngs-
leben nur auf Kompromissen beruhe; daß, wenn jede der beteiligten Gewalten
ihre Ansichten mit absolutem Doktrinarismus durchsetzen wolle, an die Stelle
der Kompromisse Konflikte träten; diese Konflikte aber, da das Staatsleben nicht
stillstehen könne, zu Machtfragen würden, bei denen der, welcher die Macht in
den Händen habe, in seinem Sinne vorgehe. Auf Grund dieser Ausführung
wurde ihm dann vorwurfsvoll der Ausspruch in den Mund gelegt: „Macht
geht vor Recht," ein Ausspruch, den Fürst Bismarck in Wahrheit niemals ge¬
than hat.

Auch auf das Gebiet der äußern Politik spielte sich der Kampf hinüber.
Im Januar 1863 brach die polnische Revolution ans. Die Negierung ließ die
Grenzen stärker besetzen und schloß mit der russischen Regierung eine auf die
Unterdrückung des Aufstandes bezügliche Übereinkunft ab. Den Inhalt dieser
Übereinkunft verlangte man im Abgeordnetenhause zu erfahren. Der Minister¬
präsident lehnte es ab, darüber Auskunft zu geben. Darob großer Zorn der
Abgeordneten, die mit unverkennbarer Sympathie sich dem Aufstande Umwandler.
Herr von Bismarck wies diese Sympathien zurück mit dem Bemerken, daß ein
propagandistisches Polen die größte Gefahr für Preußen sei, und deshalb die
preußischen Interessen unmöglich in dem Lager der Insurgenten gesucht werden
könnten.

Im November 1863 starb König Friedrich von Dänemark. Der National¬
verein verlangte die sofortige Anerkennung des Erbprinzen von Augustenburg
als Herzog von Schleswig-Holstein, und ihm folgte das preußische Abgeord-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196214"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Roben des Fürsten Bismarck.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_395" prev="#ID_394"> Neuorganisation des Heeres zu streichen. Bereits zweimal waren diese Kosten,<lb/>
allerdings nur &#x201E;provisorisch," bewilligt, und es war die Neuorganisation ans<lb/>
Grund dieser Bewilligungen ins Leben gerufen worden. Der jetzt erfolgende<lb/>
Abstrich bedeutete also nichts geringeres als das Verlangen, die Neuorgani¬<lb/>
sation rückgängig zu machen. Da machte nun das Herrenhaus &#x2014; ohne Zweifel<lb/>
den Wünschen der Regierung entsprechend &#x2014; von der Befugnis des Artikels 62<lb/>
Gebrauch und lehnte den vom Abgeordnetenhause beschlossenen Etat ab. Es<lb/>
konnte also ein Etat-&#x201E;Gesetz" nicht erlassen werden, ein Fall, welcher völlig<lb/>
außerhalb der Bestimmungen der Verfassung lag. Und nun erachtete sich die<lb/>
Regierung für ermächtigt, da das Staatsleben nicht stillstehen könne, die not¬<lb/>
wendigen Ausgaben, einschließlich der für die Armeeorganisation, deren Rück¬<lb/>
gängigmachung als eine politische Unmöglichkeit bezeichnet wurde, auch ohne<lb/>
Etatgesetz zu bestreiten. Es ist ja nicht zu leugnen, daß mit Durchführung<lb/>
dieser Ansicht der Beweis geführt wurde, daß das preußische Verfassungsrecht<lb/>
in einem wesentlichen Punkte nur ein prekäres Dasein hat, und daraus erklärt<lb/>
sich die Leidenschaftlichkeit, mit welcher die große Mehrzahl des Abgeordneten¬<lb/>
hauses das Verfahren der Negierung als ein &#x201E;verfassungswidriges" angriff.<lb/>
Dieser Flut von Angriffen stellte sich der Ministerpräsident von Bismarck mit<lb/>
einem Mute ohne gleichen entgegen. Er wies darauf hin, daß alles Verfassnngs-<lb/>
leben nur auf Kompromissen beruhe; daß, wenn jede der beteiligten Gewalten<lb/>
ihre Ansichten mit absolutem Doktrinarismus durchsetzen wolle, an die Stelle<lb/>
der Kompromisse Konflikte träten; diese Konflikte aber, da das Staatsleben nicht<lb/>
stillstehen könne, zu Machtfragen würden, bei denen der, welcher die Macht in<lb/>
den Händen habe, in seinem Sinne vorgehe. Auf Grund dieser Ausführung<lb/>
wurde ihm dann vorwurfsvoll der Ausspruch in den Mund gelegt: &#x201E;Macht<lb/>
geht vor Recht," ein Ausspruch, den Fürst Bismarck in Wahrheit niemals ge¬<lb/>
than hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_396"> Auch auf das Gebiet der äußern Politik spielte sich der Kampf hinüber.<lb/>
Im Januar 1863 brach die polnische Revolution ans. Die Negierung ließ die<lb/>
Grenzen stärker besetzen und schloß mit der russischen Regierung eine auf die<lb/>
Unterdrückung des Aufstandes bezügliche Übereinkunft ab. Den Inhalt dieser<lb/>
Übereinkunft verlangte man im Abgeordnetenhause zu erfahren. Der Minister¬<lb/>
präsident lehnte es ab, darüber Auskunft zu geben. Darob großer Zorn der<lb/>
Abgeordneten, die mit unverkennbarer Sympathie sich dem Aufstande Umwandler.<lb/>
Herr von Bismarck wies diese Sympathien zurück mit dem Bemerken, daß ein<lb/>
propagandistisches Polen die größte Gefahr für Preußen sei, und deshalb die<lb/>
preußischen Interessen unmöglich in dem Lager der Insurgenten gesucht werden<lb/>
könnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_397" next="#ID_398"> Im November 1863 starb König Friedrich von Dänemark. Der National¬<lb/>
verein verlangte die sofortige Anerkennung des Erbprinzen von Augustenburg<lb/>
als Herzog von Schleswig-Holstein, und ihm folgte das preußische Abgeord-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0114] Die Roben des Fürsten Bismarck. Neuorganisation des Heeres zu streichen. Bereits zweimal waren diese Kosten, allerdings nur „provisorisch," bewilligt, und es war die Neuorganisation ans Grund dieser Bewilligungen ins Leben gerufen worden. Der jetzt erfolgende Abstrich bedeutete also nichts geringeres als das Verlangen, die Neuorgani¬ sation rückgängig zu machen. Da machte nun das Herrenhaus — ohne Zweifel den Wünschen der Regierung entsprechend — von der Befugnis des Artikels 62 Gebrauch und lehnte den vom Abgeordnetenhause beschlossenen Etat ab. Es konnte also ein Etat-„Gesetz" nicht erlassen werden, ein Fall, welcher völlig außerhalb der Bestimmungen der Verfassung lag. Und nun erachtete sich die Regierung für ermächtigt, da das Staatsleben nicht stillstehen könne, die not¬ wendigen Ausgaben, einschließlich der für die Armeeorganisation, deren Rück¬ gängigmachung als eine politische Unmöglichkeit bezeichnet wurde, auch ohne Etatgesetz zu bestreiten. Es ist ja nicht zu leugnen, daß mit Durchführung dieser Ansicht der Beweis geführt wurde, daß das preußische Verfassungsrecht in einem wesentlichen Punkte nur ein prekäres Dasein hat, und daraus erklärt sich die Leidenschaftlichkeit, mit welcher die große Mehrzahl des Abgeordneten¬ hauses das Verfahren der Negierung als ein „verfassungswidriges" angriff. Dieser Flut von Angriffen stellte sich der Ministerpräsident von Bismarck mit einem Mute ohne gleichen entgegen. Er wies darauf hin, daß alles Verfassnngs- leben nur auf Kompromissen beruhe; daß, wenn jede der beteiligten Gewalten ihre Ansichten mit absolutem Doktrinarismus durchsetzen wolle, an die Stelle der Kompromisse Konflikte träten; diese Konflikte aber, da das Staatsleben nicht stillstehen könne, zu Machtfragen würden, bei denen der, welcher die Macht in den Händen habe, in seinem Sinne vorgehe. Auf Grund dieser Ausführung wurde ihm dann vorwurfsvoll der Ausspruch in den Mund gelegt: „Macht geht vor Recht," ein Ausspruch, den Fürst Bismarck in Wahrheit niemals ge¬ than hat. Auch auf das Gebiet der äußern Politik spielte sich der Kampf hinüber. Im Januar 1863 brach die polnische Revolution ans. Die Negierung ließ die Grenzen stärker besetzen und schloß mit der russischen Regierung eine auf die Unterdrückung des Aufstandes bezügliche Übereinkunft ab. Den Inhalt dieser Übereinkunft verlangte man im Abgeordnetenhause zu erfahren. Der Minister¬ präsident lehnte es ab, darüber Auskunft zu geben. Darob großer Zorn der Abgeordneten, die mit unverkennbarer Sympathie sich dem Aufstande Umwandler. Herr von Bismarck wies diese Sympathien zurück mit dem Bemerken, daß ein propagandistisches Polen die größte Gefahr für Preußen sei, und deshalb die preußischen Interessen unmöglich in dem Lager der Insurgenten gesucht werden könnten. Im November 1863 starb König Friedrich von Dänemark. Der National¬ verein verlangte die sofortige Anerkennung des Erbprinzen von Augustenburg als Herzog von Schleswig-Holstein, und ihm folgte das preußische Abgeord-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/114
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/114>, abgerufen am 01.09.2024.