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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Um eine perle.
Roman von Robert Waldmüller (Ld. Duboc).
Erstes Rcipitel.

u der Zeit, als in der festen und mächtigen Stadt Mantua die
Frage noch in der Schwebe war, ob man sich freiien oder be¬
klagen sollte, daß dem soeben aus dem Leben abgerufenen pracht¬
liebenden Herzoge Vincento dem Ersten el" Regent von ganz
entgegengesetzter Geschmacksrichtung, der sparsame Herzog Fran¬
cesco, gefolgt sei, also im Jahre des Heils 1612, hat sich im Zusammenhang
mit der langjährigen, heftigen Verfeiudung der Gvnzagas und der Buonacolsis
eine Geschichte begeben, welche gut verbürgten Berichten hier nacherzählt
werden soll.

Die Bnonaeolsis hatten Mantua im dreizehnten und vierzehnten Jahr¬
hundert beherrscht und waren dann dnrch die Gonzagas verdrängt worden;
ganz ausgestorben waren sie aber immer noch nicht, es gab zur Zeit der hier
i>l Rede stehenden Begebenheiten einen jungen Geistlichen dieses Namens im
Priesterseminar zu Rom, und in Mantua selbst bewohnte das Haupt des
uralten Geschlechtes, Marcello mit Namen, das stattliche Gebäude, welches der
Palazzo Passcrinv genannt wurde und in dem engen Gcißlein del Zodiaco
gelegen war, versteckt wie ein Plan, der das Licht scheut. Mit dem Spott¬
namen Passerino -- das Spätzlein -- hatte das Volk den letzten Regenten
aus dem Geschlechte der Buonacolsis betitelt, wie es scheint, wegen seines kleinen
Wuchses und seiner Gefräßigkeit. In ersterer Beziehung war er aber unter
den Bnonaeolsis eine Ausnahme von der Regel gewesen, wie nicht nur die im
Rittersaale hängenden Ahnenbilder dieses stolzen Geschlechts, sondern auch die
mächtigen Schwerter und Lanzen und die gigantischen Harnische bewiesen, welche
der Prunk der Waffenkammer des Passerinopalastes waren.

Schön und stolz und kraftvoll war denn auch bis uoch vor wenige"
Sommern das Aussehen jenes Marcello Buonacolsi gewesen, der als Haus¬
herr des alten Familiensitzes sich in Mantua behauptet hatte. Aber seit dem
Tode seiner Gattin schien seine Kraft gebrochen, und Mißtrauen gegen alle
Welt, selbst gegen seine Tochter Florida, einen Engel von Güte, fürchte ihm
die Stirn.

Dennoch wußten die Gonzagas recht wohl, daß immer noch einige Un¬
zufriedene Mantnas an dem Glauben festhielten, die Bnonaeolsis würden wieder


Um eine perle.
Roman von Robert Waldmüller (Ld. Duboc).
Erstes Rcipitel.

u der Zeit, als in der festen und mächtigen Stadt Mantua die
Frage noch in der Schwebe war, ob man sich freiien oder be¬
klagen sollte, daß dem soeben aus dem Leben abgerufenen pracht¬
liebenden Herzoge Vincento dem Ersten el» Regent von ganz
entgegengesetzter Geschmacksrichtung, der sparsame Herzog Fran¬
cesco, gefolgt sei, also im Jahre des Heils 1612, hat sich im Zusammenhang
mit der langjährigen, heftigen Verfeiudung der Gvnzagas und der Buonacolsis
eine Geschichte begeben, welche gut verbürgten Berichten hier nacherzählt
werden soll.

Die Bnonaeolsis hatten Mantua im dreizehnten und vierzehnten Jahr¬
hundert beherrscht und waren dann dnrch die Gonzagas verdrängt worden;
ganz ausgestorben waren sie aber immer noch nicht, es gab zur Zeit der hier
i>l Rede stehenden Begebenheiten einen jungen Geistlichen dieses Namens im
Priesterseminar zu Rom, und in Mantua selbst bewohnte das Haupt des
uralten Geschlechtes, Marcello mit Namen, das stattliche Gebäude, welches der
Palazzo Passcrinv genannt wurde und in dem engen Gcißlein del Zodiaco
gelegen war, versteckt wie ein Plan, der das Licht scheut. Mit dem Spott¬
namen Passerino — das Spätzlein — hatte das Volk den letzten Regenten
aus dem Geschlechte der Buonacolsis betitelt, wie es scheint, wegen seines kleinen
Wuchses und seiner Gefräßigkeit. In ersterer Beziehung war er aber unter
den Bnonaeolsis eine Ausnahme von der Regel gewesen, wie nicht nur die im
Rittersaale hängenden Ahnenbilder dieses stolzen Geschlechts, sondern auch die
mächtigen Schwerter und Lanzen und die gigantischen Harnische bewiesen, welche
der Prunk der Waffenkammer des Passerinopalastes waren.

Schön und stolz und kraftvoll war denn auch bis uoch vor wenige»
Sommern das Aussehen jenes Marcello Buonacolsi gewesen, der als Haus¬
herr des alten Familiensitzes sich in Mantua behauptet hatte. Aber seit dem
Tode seiner Gattin schien seine Kraft gebrochen, und Mißtrauen gegen alle
Welt, selbst gegen seine Tochter Florida, einen Engel von Güte, fürchte ihm
die Stirn.

Dennoch wußten die Gonzagas recht wohl, daß immer noch einige Un¬
zufriedene Mantnas an dem Glauben festhielten, die Bnonaeolsis würden wieder


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[0435] Um eine perle. Roman von Robert Waldmüller (Ld. Duboc). Erstes Rcipitel. u der Zeit, als in der festen und mächtigen Stadt Mantua die Frage noch in der Schwebe war, ob man sich freiien oder be¬ klagen sollte, daß dem soeben aus dem Leben abgerufenen pracht¬ liebenden Herzoge Vincento dem Ersten el» Regent von ganz entgegengesetzter Geschmacksrichtung, der sparsame Herzog Fran¬ cesco, gefolgt sei, also im Jahre des Heils 1612, hat sich im Zusammenhang mit der langjährigen, heftigen Verfeiudung der Gvnzagas und der Buonacolsis eine Geschichte begeben, welche gut verbürgten Berichten hier nacherzählt werden soll. Die Bnonaeolsis hatten Mantua im dreizehnten und vierzehnten Jahr¬ hundert beherrscht und waren dann dnrch die Gonzagas verdrängt worden; ganz ausgestorben waren sie aber immer noch nicht, es gab zur Zeit der hier i>l Rede stehenden Begebenheiten einen jungen Geistlichen dieses Namens im Priesterseminar zu Rom, und in Mantua selbst bewohnte das Haupt des uralten Geschlechtes, Marcello mit Namen, das stattliche Gebäude, welches der Palazzo Passcrinv genannt wurde und in dem engen Gcißlein del Zodiaco gelegen war, versteckt wie ein Plan, der das Licht scheut. Mit dem Spott¬ namen Passerino — das Spätzlein — hatte das Volk den letzten Regenten aus dem Geschlechte der Buonacolsis betitelt, wie es scheint, wegen seines kleinen Wuchses und seiner Gefräßigkeit. In ersterer Beziehung war er aber unter den Bnonaeolsis eine Ausnahme von der Regel gewesen, wie nicht nur die im Rittersaale hängenden Ahnenbilder dieses stolzen Geschlechts, sondern auch die mächtigen Schwerter und Lanzen und die gigantischen Harnische bewiesen, welche der Prunk der Waffenkammer des Passerinopalastes waren. Schön und stolz und kraftvoll war denn auch bis uoch vor wenige» Sommern das Aussehen jenes Marcello Buonacolsi gewesen, der als Haus¬ herr des alten Familiensitzes sich in Mantua behauptet hatte. Aber seit dem Tode seiner Gattin schien seine Kraft gebrochen, und Mißtrauen gegen alle Welt, selbst gegen seine Tochter Florida, einen Engel von Güte, fürchte ihm die Stirn. Dennoch wußten die Gonzagas recht wohl, daß immer noch einige Un¬ zufriedene Mantnas an dem Glauben festhielten, die Bnonaeolsis würden wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/435>, abgerufen am 12.11.2024.