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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Zur Revision inanchesterlicher Lehren.

unbestimmten Gefühle folgen, daß die Grundlagen des wirtschaftlichen Zustandes
der Gesellschaft einer Änderung bedürftig und auch fähig seien. Das Wachsen
jener Partei möchte von einem höhern Standpunkte aus eher erfreulich als be¬
drohlich erscheinen. Noch ist das Gefüge unsers Staates stark und gesund
genug, um einem gewaltsamen Handstreiche erfolgreich zu widerstehe,,, auch
würden in dem Augenblicke, wo die Partei zur Gewalt schritte, alle diejenigen
von ihr abfallen, welche ihr jetzt nur zugehören, weil sie zwar Veränderung,
aber keineswegs Umsturz wollen, wobei auch sie vieles zu verlieren hätten.
Erfreulich aber kaun das Wachstum der Partei und namentlich auch ihrer
Vertretung in, Parlamente erscheinen, weil sie dadurch naturgemäß genötigt
wird, ihre bloß anarchistischen Elemente auszuscheiden und auf eine ernstliche
Erörterung der sozialen Lebensfragen einzugehen. Dies nebenbei zur Be¬
ruhigung ängstlicher Gemüter.

lind nun wollen auch wir einige kritische Blicke auf die Grundlagen und
Grundlehren des herrschenden wirtschaftlichen Systems werfen, und wenigstens
einiges davon unsrer Prüfung unterziehen.


2.

Was ist, worin besteht eine wirtschaftliche Produktion oder die Erzeugung
wirtschaftlicher Güter? Welches sind ihre Elemente?

Eine Gütcrproduktion besteht darin, daß ein Stoff, den die Natur giebt,
ein Stück Materie durch die menschliche Arbeit zum menschlichen Gebrauche her¬
gerichtet wird, sei es durch Formgebung oder durch Ortsveränderung. Also
Natur und Arbeit sind die nächsten Elemente der Produktion, sie müssen zu¬
sammen wirken. Jedes für sich allein ist wirtschaftlich wertlos. Der Stein,
der auf dem Berge, das Erz , das in der Grube liegt, der Baum, der im
Walde steht, sind (den Fall des Monopols ausgenommen, wovon nachher noch
die Rede sein wird) keine Güter; ebenso ist es keine Arbeit im wirtschaftlichen
Sinne, wenn ich laufe, dürre, tanze, singe oder ein musikalisches Instrument
zu meinem Vergnügen spiele, ich mag mich dabei noch so sehr ermüden. Frei¬
lich können auch solche Leistungen wirtschaftlich werden, wenn sie vom Clown,
vom Ballettänzer, vom Sänger und Virtuosen, wenn sie im Theater, im Kon¬
zert, im Unterricht geschehen, aber sie erzeugen keine wirtschaftlichen Güter und
bleiben daher bei unsrer Untersuchung außer Betracht.

Entsteht nun aber auch ein Gut aus Stoff und Arbeit, so muß doch noch
ein drittes hinzukommen, nämlich die wirtschaftliche Zweckbestimmung. Das
Kind, welches ein Hölzchen schnitzelt oder ein Gebäude im Sand aufführt, be¬
arbeitet zwar einen Stoff, erzeugt aber kein Gut, seine Arbeit ist wirtschaftlich
zwecklos. Es steht also auch bei der Gütererzeugung der Geist, die Persönlich¬
keit über der Materie und der bloßen Kraft; es ist das Gehirn des Menschen,
welches der Arbeit ihren Zweck am Stoffe anweist. In dieser wirtschaftlichen


Zur Revision inanchesterlicher Lehren.

unbestimmten Gefühle folgen, daß die Grundlagen des wirtschaftlichen Zustandes
der Gesellschaft einer Änderung bedürftig und auch fähig seien. Das Wachsen
jener Partei möchte von einem höhern Standpunkte aus eher erfreulich als be¬
drohlich erscheinen. Noch ist das Gefüge unsers Staates stark und gesund
genug, um einem gewaltsamen Handstreiche erfolgreich zu widerstehe,,, auch
würden in dem Augenblicke, wo die Partei zur Gewalt schritte, alle diejenigen
von ihr abfallen, welche ihr jetzt nur zugehören, weil sie zwar Veränderung,
aber keineswegs Umsturz wollen, wobei auch sie vieles zu verlieren hätten.
Erfreulich aber kaun das Wachstum der Partei und namentlich auch ihrer
Vertretung in, Parlamente erscheinen, weil sie dadurch naturgemäß genötigt
wird, ihre bloß anarchistischen Elemente auszuscheiden und auf eine ernstliche
Erörterung der sozialen Lebensfragen einzugehen. Dies nebenbei zur Be¬
ruhigung ängstlicher Gemüter.

lind nun wollen auch wir einige kritische Blicke auf die Grundlagen und
Grundlehren des herrschenden wirtschaftlichen Systems werfen, und wenigstens
einiges davon unsrer Prüfung unterziehen.


2.

Was ist, worin besteht eine wirtschaftliche Produktion oder die Erzeugung
wirtschaftlicher Güter? Welches sind ihre Elemente?

Eine Gütcrproduktion besteht darin, daß ein Stoff, den die Natur giebt,
ein Stück Materie durch die menschliche Arbeit zum menschlichen Gebrauche her¬
gerichtet wird, sei es durch Formgebung oder durch Ortsveränderung. Also
Natur und Arbeit sind die nächsten Elemente der Produktion, sie müssen zu¬
sammen wirken. Jedes für sich allein ist wirtschaftlich wertlos. Der Stein,
der auf dem Berge, das Erz , das in der Grube liegt, der Baum, der im
Walde steht, sind (den Fall des Monopols ausgenommen, wovon nachher noch
die Rede sein wird) keine Güter; ebenso ist es keine Arbeit im wirtschaftlichen
Sinne, wenn ich laufe, dürre, tanze, singe oder ein musikalisches Instrument
zu meinem Vergnügen spiele, ich mag mich dabei noch so sehr ermüden. Frei¬
lich können auch solche Leistungen wirtschaftlich werden, wenn sie vom Clown,
vom Ballettänzer, vom Sänger und Virtuosen, wenn sie im Theater, im Kon¬
zert, im Unterricht geschehen, aber sie erzeugen keine wirtschaftlichen Güter und
bleiben daher bei unsrer Untersuchung außer Betracht.

Entsteht nun aber auch ein Gut aus Stoff und Arbeit, so muß doch noch
ein drittes hinzukommen, nämlich die wirtschaftliche Zweckbestimmung. Das
Kind, welches ein Hölzchen schnitzelt oder ein Gebäude im Sand aufführt, be¬
arbeitet zwar einen Stoff, erzeugt aber kein Gut, seine Arbeit ist wirtschaftlich
zwecklos. Es steht also auch bei der Gütererzeugung der Geist, die Persönlich¬
keit über der Materie und der bloßen Kraft; es ist das Gehirn des Menschen,
welches der Arbeit ihren Zweck am Stoffe anweist. In dieser wirtschaftlichen


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[0393] Zur Revision inanchesterlicher Lehren. unbestimmten Gefühle folgen, daß die Grundlagen des wirtschaftlichen Zustandes der Gesellschaft einer Änderung bedürftig und auch fähig seien. Das Wachsen jener Partei möchte von einem höhern Standpunkte aus eher erfreulich als be¬ drohlich erscheinen. Noch ist das Gefüge unsers Staates stark und gesund genug, um einem gewaltsamen Handstreiche erfolgreich zu widerstehe,,, auch würden in dem Augenblicke, wo die Partei zur Gewalt schritte, alle diejenigen von ihr abfallen, welche ihr jetzt nur zugehören, weil sie zwar Veränderung, aber keineswegs Umsturz wollen, wobei auch sie vieles zu verlieren hätten. Erfreulich aber kaun das Wachstum der Partei und namentlich auch ihrer Vertretung in, Parlamente erscheinen, weil sie dadurch naturgemäß genötigt wird, ihre bloß anarchistischen Elemente auszuscheiden und auf eine ernstliche Erörterung der sozialen Lebensfragen einzugehen. Dies nebenbei zur Be¬ ruhigung ängstlicher Gemüter. lind nun wollen auch wir einige kritische Blicke auf die Grundlagen und Grundlehren des herrschenden wirtschaftlichen Systems werfen, und wenigstens einiges davon unsrer Prüfung unterziehen. 2. Was ist, worin besteht eine wirtschaftliche Produktion oder die Erzeugung wirtschaftlicher Güter? Welches sind ihre Elemente? Eine Gütcrproduktion besteht darin, daß ein Stoff, den die Natur giebt, ein Stück Materie durch die menschliche Arbeit zum menschlichen Gebrauche her¬ gerichtet wird, sei es durch Formgebung oder durch Ortsveränderung. Also Natur und Arbeit sind die nächsten Elemente der Produktion, sie müssen zu¬ sammen wirken. Jedes für sich allein ist wirtschaftlich wertlos. Der Stein, der auf dem Berge, das Erz , das in der Grube liegt, der Baum, der im Walde steht, sind (den Fall des Monopols ausgenommen, wovon nachher noch die Rede sein wird) keine Güter; ebenso ist es keine Arbeit im wirtschaftlichen Sinne, wenn ich laufe, dürre, tanze, singe oder ein musikalisches Instrument zu meinem Vergnügen spiele, ich mag mich dabei noch so sehr ermüden. Frei¬ lich können auch solche Leistungen wirtschaftlich werden, wenn sie vom Clown, vom Ballettänzer, vom Sänger und Virtuosen, wenn sie im Theater, im Kon¬ zert, im Unterricht geschehen, aber sie erzeugen keine wirtschaftlichen Güter und bleiben daher bei unsrer Untersuchung außer Betracht. Entsteht nun aber auch ein Gut aus Stoff und Arbeit, so muß doch noch ein drittes hinzukommen, nämlich die wirtschaftliche Zweckbestimmung. Das Kind, welches ein Hölzchen schnitzelt oder ein Gebäude im Sand aufführt, be¬ arbeitet zwar einen Stoff, erzeugt aber kein Gut, seine Arbeit ist wirtschaftlich zwecklos. Es steht also auch bei der Gütererzeugung der Geist, die Persönlich¬ keit über der Materie und der bloßen Kraft; es ist das Gehirn des Menschen, welches der Arbeit ihren Zweck am Stoffe anweist. In dieser wirtschaftlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/393>, abgerufen am 12.11.2024.