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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
10. Die Historia von der ewigen Schulbank.

MA^röter Zeitraum. Natürlich war es Stadtrats Ernst gewesen, und
der kleine Supprian hatte darum nachsitzen müssen, was den alten
Herrn Supprian mit gerechter Entrüstung erfüllte. Natürlich war
die Sache in der Nektorklassc passirt, und das Ende vom Liede
waren Klagen und Eingaben. Es ist ja richtig, daß der Herr Rektor
ein sehr tüchtiger Lehrer ist, der seine Schule im Zuge hat, wie auch
neulich der Herr Superintendent anerkennen mußte, es ist auch richtig, daß der Herr
Rektor Schmalz, welcher eine angesehene Bürgerstochter zur Frau hat, eine geachtete
Stellung in der Stadt einnimmt. Aber er ist doch zu heftig und rücksichtslos.
Nein, alles was Recht ist. Aber Bierfässer! In der Schule Bierfässer! Das muß
ja den Charakter der Schüler moralisch untergraben.

Was war denn geschehen? Stadtrats Ernst und "dem Bürgermeister seiner"
und noch ein Paar andre hatten die alten morschen Bänke solange malträtirt, bis
eine von ihnen zusammengebrochen war. Wie gewöhnlich, war es wieder niemand
gewesen; nur über den kleinen Supprian brach das Verhängnis herein, weil dieser
sein Vergnügen an dem Vorgange nicht hatte bemeistern können.

Nach dem Unterrichte eilte der Herr Rektor pflichtmäßig zum Herrn Superinten¬
denten. Der Herr Superintendent, ein in der Stadt sehr beliebter Mann, hatte
viel zu thun, wickelte sich aber aus seinen Akten heraus und begrüßte seineu lieben
Rektor mit seiner in der Stadt so geschätzten und ihm selbst so geläufigen Herz¬
lichkeit. Der Herr Rektor trug seine Sache vor. Die Bänke seien schon seit zehn
Jahren schlecht, er habe so oft darauf hingewiesen, jetzt sei eine derselben zusammen¬
gebrochen. Was er nun thun solle? Der Herr Superintendent, dem gerade eine
schwierige Ablösungssache im Kopfe saß, machte einige allgemeine Bemerkungen
über Schulbänke und schloß mit den: Ausdrucke der Hoffnung, daß sein lieber Rektor
gewiß das Rechte treffen werde.

Da stand nun mein Herr Rektor Schmalz wieder auf der Straße und war
keineswegs gewiß, daß er das Rechte treffen werde. Wenn er noch den Herrn
Bürgermeister getroffen hätte, aber der war zu irgendeinem Städtetage gereist.

Was also thun? Für den Nachmittagsunterricht mußten die Trümmer beseitigt
werden, was der Schuldiener besorgte. Dann wurden etliche Klassenstühle, Kisten
und Küchenmöbel herbeigeschafft und in eine Reihe gestellt. Das gab in der
Rektorklasse ein gewaltiges Gaudium; in den Zwischenstunden wurden meisterhafte
Barrikaden gebaut und "Bebel" gespielt, das Ende vom Liede waren Ohrfeigen,
Reklamationen und zerrissene Hosen. Zur Strafe ließ der Herr Rektor nun alle
Sitzgelegenheiten beseitigen und die Missethäter während des Unterrichtes an der
Wand stehen."

Tags darauf brachte das freisinnige "Korrespoudenzblatt für Stadt und Land
eine Notiz etwa folgenden Inhalts- "In unsern Schulen scheint es ja recht munter


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
10. Die Historia von der ewigen Schulbank.

MA^röter Zeitraum. Natürlich war es Stadtrats Ernst gewesen, und
der kleine Supprian hatte darum nachsitzen müssen, was den alten
Herrn Supprian mit gerechter Entrüstung erfüllte. Natürlich war
die Sache in der Nektorklassc passirt, und das Ende vom Liede
waren Klagen und Eingaben. Es ist ja richtig, daß der Herr Rektor
ein sehr tüchtiger Lehrer ist, der seine Schule im Zuge hat, wie auch
neulich der Herr Superintendent anerkennen mußte, es ist auch richtig, daß der Herr
Rektor Schmalz, welcher eine angesehene Bürgerstochter zur Frau hat, eine geachtete
Stellung in der Stadt einnimmt. Aber er ist doch zu heftig und rücksichtslos.
Nein, alles was Recht ist. Aber Bierfässer! In der Schule Bierfässer! Das muß
ja den Charakter der Schüler moralisch untergraben.

Was war denn geschehen? Stadtrats Ernst und „dem Bürgermeister seiner"
und noch ein Paar andre hatten die alten morschen Bänke solange malträtirt, bis
eine von ihnen zusammengebrochen war. Wie gewöhnlich, war es wieder niemand
gewesen; nur über den kleinen Supprian brach das Verhängnis herein, weil dieser
sein Vergnügen an dem Vorgange nicht hatte bemeistern können.

Nach dem Unterrichte eilte der Herr Rektor pflichtmäßig zum Herrn Superinten¬
denten. Der Herr Superintendent, ein in der Stadt sehr beliebter Mann, hatte
viel zu thun, wickelte sich aber aus seinen Akten heraus und begrüßte seineu lieben
Rektor mit seiner in der Stadt so geschätzten und ihm selbst so geläufigen Herz¬
lichkeit. Der Herr Rektor trug seine Sache vor. Die Bänke seien schon seit zehn
Jahren schlecht, er habe so oft darauf hingewiesen, jetzt sei eine derselben zusammen¬
gebrochen. Was er nun thun solle? Der Herr Superintendent, dem gerade eine
schwierige Ablösungssache im Kopfe saß, machte einige allgemeine Bemerkungen
über Schulbänke und schloß mit den: Ausdrucke der Hoffnung, daß sein lieber Rektor
gewiß das Rechte treffen werde.

Da stand nun mein Herr Rektor Schmalz wieder auf der Straße und war
keineswegs gewiß, daß er das Rechte treffen werde. Wenn er noch den Herrn
Bürgermeister getroffen hätte, aber der war zu irgendeinem Städtetage gereist.

Was also thun? Für den Nachmittagsunterricht mußten die Trümmer beseitigt
werden, was der Schuldiener besorgte. Dann wurden etliche Klassenstühle, Kisten
und Küchenmöbel herbeigeschafft und in eine Reihe gestellt. Das gab in der
Rektorklasse ein gewaltiges Gaudium; in den Zwischenstunden wurden meisterhafte
Barrikaden gebaut und „Bebel" gespielt, das Ende vom Liede waren Ohrfeigen,
Reklamationen und zerrissene Hosen. Zur Strafe ließ der Herr Rektor nun alle
Sitzgelegenheiten beseitigen und die Missethäter während des Unterrichtes an der
Wand stehen."

Tags darauf brachte das freisinnige „Korrespoudenzblatt für Stadt und Land
eine Notiz etwa folgenden Inhalts- „In unsern Schulen scheint es ja recht munter


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[0252] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben. 10. Die Historia von der ewigen Schulbank. MA^röter Zeitraum. Natürlich war es Stadtrats Ernst gewesen, und der kleine Supprian hatte darum nachsitzen müssen, was den alten Herrn Supprian mit gerechter Entrüstung erfüllte. Natürlich war die Sache in der Nektorklassc passirt, und das Ende vom Liede waren Klagen und Eingaben. Es ist ja richtig, daß der Herr Rektor ein sehr tüchtiger Lehrer ist, der seine Schule im Zuge hat, wie auch neulich der Herr Superintendent anerkennen mußte, es ist auch richtig, daß der Herr Rektor Schmalz, welcher eine angesehene Bürgerstochter zur Frau hat, eine geachtete Stellung in der Stadt einnimmt. Aber er ist doch zu heftig und rücksichtslos. Nein, alles was Recht ist. Aber Bierfässer! In der Schule Bierfässer! Das muß ja den Charakter der Schüler moralisch untergraben. Was war denn geschehen? Stadtrats Ernst und „dem Bürgermeister seiner" und noch ein Paar andre hatten die alten morschen Bänke solange malträtirt, bis eine von ihnen zusammengebrochen war. Wie gewöhnlich, war es wieder niemand gewesen; nur über den kleinen Supprian brach das Verhängnis herein, weil dieser sein Vergnügen an dem Vorgange nicht hatte bemeistern können. Nach dem Unterrichte eilte der Herr Rektor pflichtmäßig zum Herrn Superinten¬ denten. Der Herr Superintendent, ein in der Stadt sehr beliebter Mann, hatte viel zu thun, wickelte sich aber aus seinen Akten heraus und begrüßte seineu lieben Rektor mit seiner in der Stadt so geschätzten und ihm selbst so geläufigen Herz¬ lichkeit. Der Herr Rektor trug seine Sache vor. Die Bänke seien schon seit zehn Jahren schlecht, er habe so oft darauf hingewiesen, jetzt sei eine derselben zusammen¬ gebrochen. Was er nun thun solle? Der Herr Superintendent, dem gerade eine schwierige Ablösungssache im Kopfe saß, machte einige allgemeine Bemerkungen über Schulbänke und schloß mit den: Ausdrucke der Hoffnung, daß sein lieber Rektor gewiß das Rechte treffen werde. Da stand nun mein Herr Rektor Schmalz wieder auf der Straße und war keineswegs gewiß, daß er das Rechte treffen werde. Wenn er noch den Herrn Bürgermeister getroffen hätte, aber der war zu irgendeinem Städtetage gereist. Was also thun? Für den Nachmittagsunterricht mußten die Trümmer beseitigt werden, was der Schuldiener besorgte. Dann wurden etliche Klassenstühle, Kisten und Küchenmöbel herbeigeschafft und in eine Reihe gestellt. Das gab in der Rektorklasse ein gewaltiges Gaudium; in den Zwischenstunden wurden meisterhafte Barrikaden gebaut und „Bebel" gespielt, das Ende vom Liede waren Ohrfeigen, Reklamationen und zerrissene Hosen. Zur Strafe ließ der Herr Rektor nun alle Sitzgelegenheiten beseitigen und die Missethäter während des Unterrichtes an der Wand stehen." Tags darauf brachte das freisinnige „Korrespoudenzblatt für Stadt und Land eine Notiz etwa folgenden Inhalts- „In unsern Schulen scheint es ja recht munter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/252>, abgerufen am 12.11.2024.