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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Hermann Hettners Kleine Schriften.

äst zwei Jahre sind seit dem Tode Hermann Hettners verstrichen,
ehe die angekündigte Sammlung der Kleinen Schriften aus
seinem Nachlasse erschienen ist (Braunschweig, Friedrich Vieweg
lind Sohn). In einem stattlichen Bande hat die Pietät der
Witwe des hochverdienten Literar- und Kunsthistorikers eine um¬
fassende Auswahl, nicht (wie das am Schlüsse stehende sorgfältige Verzeichnis
der sämtlichen Schriften Hettners bezeugt) eine vollständige Sammlung der ästhe¬
tischen, historischen und kritischen Aufsätze, sowie der Gelegenheitsredcn ihres
verstorbenen Gatten veranstaltet. Es haben vermutlich einige kleine Abhand¬
lungen und Rezensionen mehr Aufnahme gefunden, als Hettner, der mild gegen
andre und streng gegen sich selbst war, einer von ihm selbst veranstalteten
Sammlung seiner in weit auseinanderliegenden Zeiten und an sehr verschiednen
Orten gedruckten kleinen Schriften einverleibt haben würde, aber man darf nicht
sagen, daß hier nach dem falschen Prinzip der Vollständigkeit um jeden Preis
verfahren worden sei. Die älteste der in den "Kleinen Schriften" vereinigten
Abhandlungen reicht in das Jahr 1844 zurück und ist in Wigcmds Viertel-
jahrsschrift, einem der vielen Nachfolgevcrsuchc der unterdrückten Hallischen,
bez. Deutschen Jahrbücher, die letzte, "Die Franziskaner in der Kunstgeschichte"
(die, nebenbei gesagt, wohl einer neuen Auflage von Hettners "Italienischen
Studien" einzuverleiben sein wird), Ende 1881 in der Monatsschrift "Nord
und Süd" veröffentlicht worden. Der Band gewährt also einen Überblick über
die Gesamtentwicklung Hettners und die allmähliche Ausbildung jener Eigenart,
welche sich am eindringlichsten in den großen Werken des Ästhetikers, der "Li¬
teraturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts" und den "Italienischen Studien"
geltend macht, aber auch aus den besten der hier vereinigten Aufsätze und Reden
lebendig hervortritt. Für die Einflüsse, welche die gerade herrschende Zeit-
strömung auch auf eine so geistvoll selbständige Natur wie Hettner immerhin
hat, sind diese über ein Menschenalter hinwegrcichcnden Aufsätze gleichfalls sehr
lehrreich. Während in den Arbeiten der vierziger Jahre die Nachwirkungen
des Junghegelianismus und die Einwirkungen der politisch-religiösen Gährung
deutlich erkennbar sind und der jugendliche Kunst- und Literarhistoriker dar¬
nach ringt, seine eignen sachlichen Einsichten und die tendenziösen Neigungen des
Tages miteinander zu versöhnen, läßt sich in den Arbeiten der letzten Zeit der
geheime Zwang, den die inzwischen herrschend gewordene Methode der Detail¬
forschung und Detaildarstellung auch auf einen Gegner wie Hettner ausübte,
leicht nachweisen,


Grenzboten I. 1834, 82
Hermann Hettners Kleine Schriften.

äst zwei Jahre sind seit dem Tode Hermann Hettners verstrichen,
ehe die angekündigte Sammlung der Kleinen Schriften aus
seinem Nachlasse erschienen ist (Braunschweig, Friedrich Vieweg
lind Sohn). In einem stattlichen Bande hat die Pietät der
Witwe des hochverdienten Literar- und Kunsthistorikers eine um¬
fassende Auswahl, nicht (wie das am Schlüsse stehende sorgfältige Verzeichnis
der sämtlichen Schriften Hettners bezeugt) eine vollständige Sammlung der ästhe¬
tischen, historischen und kritischen Aufsätze, sowie der Gelegenheitsredcn ihres
verstorbenen Gatten veranstaltet. Es haben vermutlich einige kleine Abhand¬
lungen und Rezensionen mehr Aufnahme gefunden, als Hettner, der mild gegen
andre und streng gegen sich selbst war, einer von ihm selbst veranstalteten
Sammlung seiner in weit auseinanderliegenden Zeiten und an sehr verschiednen
Orten gedruckten kleinen Schriften einverleibt haben würde, aber man darf nicht
sagen, daß hier nach dem falschen Prinzip der Vollständigkeit um jeden Preis
verfahren worden sei. Die älteste der in den „Kleinen Schriften" vereinigten
Abhandlungen reicht in das Jahr 1844 zurück und ist in Wigcmds Viertel-
jahrsschrift, einem der vielen Nachfolgevcrsuchc der unterdrückten Hallischen,
bez. Deutschen Jahrbücher, die letzte, „Die Franziskaner in der Kunstgeschichte"
(die, nebenbei gesagt, wohl einer neuen Auflage von Hettners „Italienischen
Studien" einzuverleiben sein wird), Ende 1881 in der Monatsschrift „Nord
und Süd" veröffentlicht worden. Der Band gewährt also einen Überblick über
die Gesamtentwicklung Hettners und die allmähliche Ausbildung jener Eigenart,
welche sich am eindringlichsten in den großen Werken des Ästhetikers, der „Li¬
teraturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts" und den „Italienischen Studien"
geltend macht, aber auch aus den besten der hier vereinigten Aufsätze und Reden
lebendig hervortritt. Für die Einflüsse, welche die gerade herrschende Zeit-
strömung auch auf eine so geistvoll selbständige Natur wie Hettner immerhin
hat, sind diese über ein Menschenalter hinwegrcichcnden Aufsätze gleichfalls sehr
lehrreich. Während in den Arbeiten der vierziger Jahre die Nachwirkungen
des Junghegelianismus und die Einwirkungen der politisch-religiösen Gährung
deutlich erkennbar sind und der jugendliche Kunst- und Literarhistoriker dar¬
nach ringt, seine eignen sachlichen Einsichten und die tendenziösen Neigungen des
Tages miteinander zu versöhnen, läßt sich in den Arbeiten der letzten Zeit der
geheime Zwang, den die inzwischen herrschend gewordene Methode der Detail¬
forschung und Detaildarstellung auch auf einen Gegner wie Hettner ausübte,
leicht nachweisen,


Grenzboten I. 1834, 82
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[0659] Hermann Hettners Kleine Schriften. äst zwei Jahre sind seit dem Tode Hermann Hettners verstrichen, ehe die angekündigte Sammlung der Kleinen Schriften aus seinem Nachlasse erschienen ist (Braunschweig, Friedrich Vieweg lind Sohn). In einem stattlichen Bande hat die Pietät der Witwe des hochverdienten Literar- und Kunsthistorikers eine um¬ fassende Auswahl, nicht (wie das am Schlüsse stehende sorgfältige Verzeichnis der sämtlichen Schriften Hettners bezeugt) eine vollständige Sammlung der ästhe¬ tischen, historischen und kritischen Aufsätze, sowie der Gelegenheitsredcn ihres verstorbenen Gatten veranstaltet. Es haben vermutlich einige kleine Abhand¬ lungen und Rezensionen mehr Aufnahme gefunden, als Hettner, der mild gegen andre und streng gegen sich selbst war, einer von ihm selbst veranstalteten Sammlung seiner in weit auseinanderliegenden Zeiten und an sehr verschiednen Orten gedruckten kleinen Schriften einverleibt haben würde, aber man darf nicht sagen, daß hier nach dem falschen Prinzip der Vollständigkeit um jeden Preis verfahren worden sei. Die älteste der in den „Kleinen Schriften" vereinigten Abhandlungen reicht in das Jahr 1844 zurück und ist in Wigcmds Viertel- jahrsschrift, einem der vielen Nachfolgevcrsuchc der unterdrückten Hallischen, bez. Deutschen Jahrbücher, die letzte, „Die Franziskaner in der Kunstgeschichte" (die, nebenbei gesagt, wohl einer neuen Auflage von Hettners „Italienischen Studien" einzuverleiben sein wird), Ende 1881 in der Monatsschrift „Nord und Süd" veröffentlicht worden. Der Band gewährt also einen Überblick über die Gesamtentwicklung Hettners und die allmähliche Ausbildung jener Eigenart, welche sich am eindringlichsten in den großen Werken des Ästhetikers, der „Li¬ teraturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts" und den „Italienischen Studien" geltend macht, aber auch aus den besten der hier vereinigten Aufsätze und Reden lebendig hervortritt. Für die Einflüsse, welche die gerade herrschende Zeit- strömung auch auf eine so geistvoll selbständige Natur wie Hettner immerhin hat, sind diese über ein Menschenalter hinwegrcichcnden Aufsätze gleichfalls sehr lehrreich. Während in den Arbeiten der vierziger Jahre die Nachwirkungen des Junghegelianismus und die Einwirkungen der politisch-religiösen Gährung deutlich erkennbar sind und der jugendliche Kunst- und Literarhistoriker dar¬ nach ringt, seine eignen sachlichen Einsichten und die tendenziösen Neigungen des Tages miteinander zu versöhnen, läßt sich in den Arbeiten der letzten Zeit der geheime Zwang, den die inzwischen herrschend gewordene Methode der Detail¬ forschung und Detaildarstellung auch auf einen Gegner wie Hettner ausübte, leicht nachweisen, Grenzboten I. 1834, 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/659>, abgerufen am 27.06.2024.