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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Humanität im Strafrecht.

Vielleicht noch hinwegzukommen, aber wenn dann auch diejenige sxseiös ßsneris
IwmMi mitflüchten sollte, die jetzt das Kapital ungefähr allein in den Händen
hat, dann wäre es aus mit Deutschland. Von einem solchen Verluste würden
wir uns allerdings nie wieder erholen.


Leopold H. Müller.


Humanität im Strafrecht.

s ist bezeichnend für die heute über den Begriff "Strafe" herr¬
schenden Anschauungen, daß ein Verfechter der Ansicht, daß un¬
verbesserliche Verbrecher und überhaupt solche Delinquenten, welche
der Gesellschaft zur Plage werden, lebenslang einzusperren und
angemessen zu beschäftigen seien, diese seine Ansicht mit den Worten
begleitet, er sei sich "vollkommen bewußt, daß ihn von gewissen Seiten der
Tadel der Grausamkeit oder wenigstens der Inhumanität treffen" werde. (Vgl.
Ur. 43 des Jahrgangs 1883 dieser Zeitschrift.)

Diese "gewissen Seiten" sind leider nicht nur eine geringe Zahl besonders
empfindsam angelegter Laien, sondern auch eine nicht unbeträchtliche Zahl Sach¬
verständiger. Insbesondre begegnet jedes Wort, womit eine Lanze sür schärfere
Handhabung derjenigen Mittel gebrochen wird, welche dem Staate zur Aufrecht¬
erhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gegeben sind, in den Kreisen,
die sich um die Banner der liberalen Presse scharen, teils heftiger Opposition,
teils mitleidigem oder höhnischem Lächeln. Diese Thatsache, von deren Vor¬
handensein sich jeder leicht überzeugen kann, der in größerem Kreise obige An¬
sicht versieht, muß umsomehr auffallen, als man unsrer Zeit, in der die Sonder-
intcressen so rückhaltlos einander bekämpfen und der Einzelne seine Ziele oft in
so brutaler Weise verfolgt, nicht gerade das Zeugnis ausstellen kann, sie trage
den Stempel der christlichen Liebe. Wird einmal ein Wort laut, welches uur
einen annähernd inhumanen Beigeschmack hat, so brennt's an allen Ecken, und
in dem Lager, wo die wahre Humanität nie gekannt ist, am allermeisten.

Der Begriff "Humanität" ist in unsrer Zeit zu einem wahren Übel ge¬
worden. In den meisten Fällen wird er von Leuten im Munde geführt, die,
ohne sich über den Begriff im klaren zu sein, darthun wollen, daß sie jeder
Härte und Grausamkeit der guten alten Zeit abhold sind und den Übelthäter
nur durch Belehrung und Güte auf den Pfad der Tugend zurückführen wollen --
sofern er nur ihnen selbst nichts zu Leide gethan hat; denn das ist der wunde


Humanität im Strafrecht.

Vielleicht noch hinwegzukommen, aber wenn dann auch diejenige sxseiös ßsneris
IwmMi mitflüchten sollte, die jetzt das Kapital ungefähr allein in den Händen
hat, dann wäre es aus mit Deutschland. Von einem solchen Verluste würden
wir uns allerdings nie wieder erholen.


Leopold H. Müller.


Humanität im Strafrecht.

s ist bezeichnend für die heute über den Begriff „Strafe" herr¬
schenden Anschauungen, daß ein Verfechter der Ansicht, daß un¬
verbesserliche Verbrecher und überhaupt solche Delinquenten, welche
der Gesellschaft zur Plage werden, lebenslang einzusperren und
angemessen zu beschäftigen seien, diese seine Ansicht mit den Worten
begleitet, er sei sich „vollkommen bewußt, daß ihn von gewissen Seiten der
Tadel der Grausamkeit oder wenigstens der Inhumanität treffen" werde. (Vgl.
Ur. 43 des Jahrgangs 1883 dieser Zeitschrift.)

Diese „gewissen Seiten" sind leider nicht nur eine geringe Zahl besonders
empfindsam angelegter Laien, sondern auch eine nicht unbeträchtliche Zahl Sach¬
verständiger. Insbesondre begegnet jedes Wort, womit eine Lanze sür schärfere
Handhabung derjenigen Mittel gebrochen wird, welche dem Staate zur Aufrecht¬
erhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gegeben sind, in den Kreisen,
die sich um die Banner der liberalen Presse scharen, teils heftiger Opposition,
teils mitleidigem oder höhnischem Lächeln. Diese Thatsache, von deren Vor¬
handensein sich jeder leicht überzeugen kann, der in größerem Kreise obige An¬
sicht versieht, muß umsomehr auffallen, als man unsrer Zeit, in der die Sonder-
intcressen so rückhaltlos einander bekämpfen und der Einzelne seine Ziele oft in
so brutaler Weise verfolgt, nicht gerade das Zeugnis ausstellen kann, sie trage
den Stempel der christlichen Liebe. Wird einmal ein Wort laut, welches uur
einen annähernd inhumanen Beigeschmack hat, so brennt's an allen Ecken, und
in dem Lager, wo die wahre Humanität nie gekannt ist, am allermeisten.

Der Begriff „Humanität" ist in unsrer Zeit zu einem wahren Übel ge¬
worden. In den meisten Fällen wird er von Leuten im Munde geführt, die,
ohne sich über den Begriff im klaren zu sein, darthun wollen, daß sie jeder
Härte und Grausamkeit der guten alten Zeit abhold sind und den Übelthäter
nur durch Belehrung und Güte auf den Pfad der Tugend zurückführen wollen —
sofern er nur ihnen selbst nichts zu Leide gethan hat; denn das ist der wunde


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[0609] Humanität im Strafrecht. Vielleicht noch hinwegzukommen, aber wenn dann auch diejenige sxseiös ßsneris IwmMi mitflüchten sollte, die jetzt das Kapital ungefähr allein in den Händen hat, dann wäre es aus mit Deutschland. Von einem solchen Verluste würden wir uns allerdings nie wieder erholen. Leopold H. Müller. Humanität im Strafrecht. s ist bezeichnend für die heute über den Begriff „Strafe" herr¬ schenden Anschauungen, daß ein Verfechter der Ansicht, daß un¬ verbesserliche Verbrecher und überhaupt solche Delinquenten, welche der Gesellschaft zur Plage werden, lebenslang einzusperren und angemessen zu beschäftigen seien, diese seine Ansicht mit den Worten begleitet, er sei sich „vollkommen bewußt, daß ihn von gewissen Seiten der Tadel der Grausamkeit oder wenigstens der Inhumanität treffen" werde. (Vgl. Ur. 43 des Jahrgangs 1883 dieser Zeitschrift.) Diese „gewissen Seiten" sind leider nicht nur eine geringe Zahl besonders empfindsam angelegter Laien, sondern auch eine nicht unbeträchtliche Zahl Sach¬ verständiger. Insbesondre begegnet jedes Wort, womit eine Lanze sür schärfere Handhabung derjenigen Mittel gebrochen wird, welche dem Staate zur Aufrecht¬ erhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gegeben sind, in den Kreisen, die sich um die Banner der liberalen Presse scharen, teils heftiger Opposition, teils mitleidigem oder höhnischem Lächeln. Diese Thatsache, von deren Vor¬ handensein sich jeder leicht überzeugen kann, der in größerem Kreise obige An¬ sicht versieht, muß umsomehr auffallen, als man unsrer Zeit, in der die Sonder- intcressen so rückhaltlos einander bekämpfen und der Einzelne seine Ziele oft in so brutaler Weise verfolgt, nicht gerade das Zeugnis ausstellen kann, sie trage den Stempel der christlichen Liebe. Wird einmal ein Wort laut, welches uur einen annähernd inhumanen Beigeschmack hat, so brennt's an allen Ecken, und in dem Lager, wo die wahre Humanität nie gekannt ist, am allermeisten. Der Begriff „Humanität" ist in unsrer Zeit zu einem wahren Übel ge¬ worden. In den meisten Fällen wird er von Leuten im Munde geführt, die, ohne sich über den Begriff im klaren zu sein, darthun wollen, daß sie jeder Härte und Grausamkeit der guten alten Zeit abhold sind und den Übelthäter nur durch Belehrung und Güte auf den Pfad der Tugend zurückführen wollen — sofern er nur ihnen selbst nichts zu Leide gethan hat; denn das ist der wunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/609>, abgerufen am 27.06.2024.