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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Gegen den Staatssozialismus.
Broschüre in drei Abhandlungen von Barth, Bamberger und Broemel.

Parire den!
Warum denn nicht?

s bedarf keines Fechtmeisters von erstem Range, wie Mephisto-
pheles es ist, um diese Broschüre abzuwehren. Der jüngste Fuchs
reicht dazu vollständig aus. Der Leser möge Nachsicht haben,
wenn besagter Fuchs noch etwas "flachmeiert." Es kommt wirk¬
lich nicht darauf an, bei einem Gegner, der selber keinen scharfen
Hieb zu schlagen versteht.

Übrigens ist es gut, daß sie endlich da ist, die Broschüre. Sechs Wochen
vorher mindestens hat man gewußt, daß Drillingscier gelegt werden sollten.
Was sonst in der Natur Eier legt, begnügt sich mit ebensoviel Minuten, um
das große Werk geräuschvoll zu cmnoneiren. Sechs Wochen vorher war grau¬
samer Weise dem Staatssozialismus die Publikation seines Todesurteils in
sichere Aussicht gestellt. Nun kam der große Tag. Zagend macht man sich an
die Lektüre und -- genießt am Schlüsse das angenehme Gefühl: Gottlob, das
lief noch gut ab. Also drei Abhandlungen auf einmal für eine deutsche Reichs¬
mark! Vielleicht eine Trilogie? Nicht ganz: sie packen denselben Gegenstand
von verschiedenen Seiten. Wenn man sie auch nacheinander liest, sollen sie doch
gleichzeitig wirken. Richard Wagner würde gesagt haben: es ist ein polyphoner
Satz, in dem jede Einzelstimme ihren individuell bestimmten Anteil am Gefühls¬
ausdrucke hat. Der Meister duldet polyphone Sätze bekanntlich nur da, wo
sich das Drama zum lyrischen Erguß zusammendrängt. Und lyrisch ist denn
auch der Charakter unsrer Broschüre. Sie betrifft die bösen, bösen Zeiten -- oder
eigentlich auch nicht die bösen Zeiten. Die könnten ja wundernett sein, wenn
nur nicht diese bösen Störenfriede da wären und aus der Welt einen feurigen
Ofen machten. Damit soll durchaus nicht gesagt sein, daß ich die Herren Ver¬
fasser mit den drei Männern im feurigen Ofen vergleichen will. Diese sangen
in ihrer brenzlichten Situation doch wenigstens ein neues Lied, aber was wir
in der Broschüre finden, das ist nichts als "die alte Weise wieder, die, fürcht'
ich, weder stimmt noch tönt." Eher könnte man, wenigstens von der die Me¬
lodie führenden Oberstimme, sagen: Jeremias läßt auf den Trümmern Jerusalems


der einzige Cromwell übriggeblieben sei. "Er rang wie ein Riese von Angesicht zu Angesicht,
Brust gegen Brust, mit der nackten Wahrheit der Dinge!" Die Anwendung ergiebt sich
von selbst.
Grenzboten I. 1884. 75
Gegen den Staatssozialismus.
Broschüre in drei Abhandlungen von Barth, Bamberger und Broemel.

Parire den!
Warum denn nicht?

s bedarf keines Fechtmeisters von erstem Range, wie Mephisto-
pheles es ist, um diese Broschüre abzuwehren. Der jüngste Fuchs
reicht dazu vollständig aus. Der Leser möge Nachsicht haben,
wenn besagter Fuchs noch etwas „flachmeiert." Es kommt wirk¬
lich nicht darauf an, bei einem Gegner, der selber keinen scharfen
Hieb zu schlagen versteht.

Übrigens ist es gut, daß sie endlich da ist, die Broschüre. Sechs Wochen
vorher mindestens hat man gewußt, daß Drillingscier gelegt werden sollten.
Was sonst in der Natur Eier legt, begnügt sich mit ebensoviel Minuten, um
das große Werk geräuschvoll zu cmnoneiren. Sechs Wochen vorher war grau¬
samer Weise dem Staatssozialismus die Publikation seines Todesurteils in
sichere Aussicht gestellt. Nun kam der große Tag. Zagend macht man sich an
die Lektüre und — genießt am Schlüsse das angenehme Gefühl: Gottlob, das
lief noch gut ab. Also drei Abhandlungen auf einmal für eine deutsche Reichs¬
mark! Vielleicht eine Trilogie? Nicht ganz: sie packen denselben Gegenstand
von verschiedenen Seiten. Wenn man sie auch nacheinander liest, sollen sie doch
gleichzeitig wirken. Richard Wagner würde gesagt haben: es ist ein polyphoner
Satz, in dem jede Einzelstimme ihren individuell bestimmten Anteil am Gefühls¬
ausdrucke hat. Der Meister duldet polyphone Sätze bekanntlich nur da, wo
sich das Drama zum lyrischen Erguß zusammendrängt. Und lyrisch ist denn
auch der Charakter unsrer Broschüre. Sie betrifft die bösen, bösen Zeiten — oder
eigentlich auch nicht die bösen Zeiten. Die könnten ja wundernett sein, wenn
nur nicht diese bösen Störenfriede da wären und aus der Welt einen feurigen
Ofen machten. Damit soll durchaus nicht gesagt sein, daß ich die Herren Ver¬
fasser mit den drei Männern im feurigen Ofen vergleichen will. Diese sangen
in ihrer brenzlichten Situation doch wenigstens ein neues Lied, aber was wir
in der Broschüre finden, das ist nichts als „die alte Weise wieder, die, fürcht'
ich, weder stimmt noch tönt." Eher könnte man, wenigstens von der die Me¬
lodie führenden Oberstimme, sagen: Jeremias läßt auf den Trümmern Jerusalems


der einzige Cromwell übriggeblieben sei. „Er rang wie ein Riese von Angesicht zu Angesicht,
Brust gegen Brust, mit der nackten Wahrheit der Dinge!" Die Anwendung ergiebt sich
von selbst.
Grenzboten I. 1884. 75
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[0603] Gegen den Staatssozialismus. Broschüre in drei Abhandlungen von Barth, Bamberger und Broemel. Parire den! Warum denn nicht? s bedarf keines Fechtmeisters von erstem Range, wie Mephisto- pheles es ist, um diese Broschüre abzuwehren. Der jüngste Fuchs reicht dazu vollständig aus. Der Leser möge Nachsicht haben, wenn besagter Fuchs noch etwas „flachmeiert." Es kommt wirk¬ lich nicht darauf an, bei einem Gegner, der selber keinen scharfen Hieb zu schlagen versteht. Übrigens ist es gut, daß sie endlich da ist, die Broschüre. Sechs Wochen vorher mindestens hat man gewußt, daß Drillingscier gelegt werden sollten. Was sonst in der Natur Eier legt, begnügt sich mit ebensoviel Minuten, um das große Werk geräuschvoll zu cmnoneiren. Sechs Wochen vorher war grau¬ samer Weise dem Staatssozialismus die Publikation seines Todesurteils in sichere Aussicht gestellt. Nun kam der große Tag. Zagend macht man sich an die Lektüre und — genießt am Schlüsse das angenehme Gefühl: Gottlob, das lief noch gut ab. Also drei Abhandlungen auf einmal für eine deutsche Reichs¬ mark! Vielleicht eine Trilogie? Nicht ganz: sie packen denselben Gegenstand von verschiedenen Seiten. Wenn man sie auch nacheinander liest, sollen sie doch gleichzeitig wirken. Richard Wagner würde gesagt haben: es ist ein polyphoner Satz, in dem jede Einzelstimme ihren individuell bestimmten Anteil am Gefühls¬ ausdrucke hat. Der Meister duldet polyphone Sätze bekanntlich nur da, wo sich das Drama zum lyrischen Erguß zusammendrängt. Und lyrisch ist denn auch der Charakter unsrer Broschüre. Sie betrifft die bösen, bösen Zeiten — oder eigentlich auch nicht die bösen Zeiten. Die könnten ja wundernett sein, wenn nur nicht diese bösen Störenfriede da wären und aus der Welt einen feurigen Ofen machten. Damit soll durchaus nicht gesagt sein, daß ich die Herren Ver¬ fasser mit den drei Männern im feurigen Ofen vergleichen will. Diese sangen in ihrer brenzlichten Situation doch wenigstens ein neues Lied, aber was wir in der Broschüre finden, das ist nichts als „die alte Weise wieder, die, fürcht' ich, weder stimmt noch tönt." Eher könnte man, wenigstens von der die Me¬ lodie führenden Oberstimme, sagen: Jeremias läßt auf den Trümmern Jerusalems der einzige Cromwell übriggeblieben sei. „Er rang wie ein Riese von Angesicht zu Angesicht, Brust gegen Brust, mit der nackten Wahrheit der Dinge!" Die Anwendung ergiebt sich von selbst. Grenzboten I. 1884. 75

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/603>, abgerufen am 27.06.2024.