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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Rhabarber und Farrenkräuter. Oder man spazierte selbander unter dein Regen¬
schirm auf den Mvsaiktrvttvirs des Gartens und fand immer neue Befrie¬
digung an der hier endlich bewiesenen Entbehrlichkeit aller Arten von Gummi¬
schuhen oder Galoschen. Pferde und Wagen hatte man noch nicht angeschafft.
Von Zeit zu Zeit wurde aber zwischen Kaspar Benedikt und Frau Anna das
Pferde- und Wagenthema in Gemächlichkeit durchgesprochen.

Im allgemeinen weiß oder beachtet man nur, daß unsre körperliche Ein¬
kleidung unter dem Gesetz der Mode steht. Die letztere beherrscht aber so ziem¬
lich alle Erzeugnisse des menschlichen Gewerbfleißes und ist die eigentliche
Lebensluft der Industrie. Selbst das Weinglas auf meinem Tische darf ja,
wenn ich ein moderner Mensch sein will, nicht diese oder jene Form, diesen
oder jenen Schliff, diesen oder jenen Farbenton aus einer überwundenen,
oft nur wenige Jahrzehnte oder ein paar Jahre zurückliegende" Geschmacks¬
periode haben, notabene, wenn ich ein moderner Mensch sein will, wozu mich
glücklicherweise niemand zwingen kann. Und gilt in gleichem oder gar in er¬
höhtem Maße nicht das nämliche von unzähligen Unentbehrlichsten des täg¬
lichen Bedarfs? Auch das Pferde- und Wagenthema erwies sich als ein dem
Diktum der Mode in geradezu staunenswerter Weise unterworfenes Gebiet, sodaß
selbst ein auf das Dauerhafte und Nützliche gerichteter Geschmack, wie der des
Hartigschen Ehepaares, Ursache hatte, nicht ohne reifliche Überlegung einen Ent¬
schluß zu fassen.

Alles dies war aber nicht dasjenige, was immer noch von neuem die
Antwort auf die Frage verzögerte: Werden wir uns hier einleben tonnen?
Was war es denn?

Ehe die Verwicklungen zur Sprache kommen können, die aus der endlich
gegebenen Antwort hervorgingen und die dann zwei junge Herzen fast zum
Zerbrechen brachten -- wer hätte das je in der ruhigen Atmosphäre des Hartig¬
schen Ehepaares für möglich gehalten? -- muß auch davon noch die Rede sein.




Zweites Aapitel.

Also um was handelte sichs?

Um das Verhängnisvollste, das sich denken läßt, um eine Fessel, die der
damit Belastete nur abstreifen kann, wenn er seine wiedererobcrte Freiheit mit
dem Fluche der Geschmacklosigkeit, ja der Barbarei bezahlen will.

Man wird mich vielleicht der Übertreibung bezichtigen, aber da ich eine
wahre Geschichte erzähle, muß für diesen Fall der Schein der Übertreibung auf
Rechnung der verhältnismäßigen Flüchtigkeit kommen, die ich dem Gegenstände
widmen darf; liegt es mir doch begreiflicherweise daran, bald von den jünger
gearteten Wünschen, Hoffnungen und Empfindungen zu berichten, die neben den
leichten Stimmnngstrübungen des alternden Hartigschen Ehepaares in den schönen


Auf der Leiter des Glücks.

Rhabarber und Farrenkräuter. Oder man spazierte selbander unter dein Regen¬
schirm auf den Mvsaiktrvttvirs des Gartens und fand immer neue Befrie¬
digung an der hier endlich bewiesenen Entbehrlichkeit aller Arten von Gummi¬
schuhen oder Galoschen. Pferde und Wagen hatte man noch nicht angeschafft.
Von Zeit zu Zeit wurde aber zwischen Kaspar Benedikt und Frau Anna das
Pferde- und Wagenthema in Gemächlichkeit durchgesprochen.

Im allgemeinen weiß oder beachtet man nur, daß unsre körperliche Ein¬
kleidung unter dem Gesetz der Mode steht. Die letztere beherrscht aber so ziem¬
lich alle Erzeugnisse des menschlichen Gewerbfleißes und ist die eigentliche
Lebensluft der Industrie. Selbst das Weinglas auf meinem Tische darf ja,
wenn ich ein moderner Mensch sein will, nicht diese oder jene Form, diesen
oder jenen Schliff, diesen oder jenen Farbenton aus einer überwundenen,
oft nur wenige Jahrzehnte oder ein paar Jahre zurückliegende» Geschmacks¬
periode haben, notabene, wenn ich ein moderner Mensch sein will, wozu mich
glücklicherweise niemand zwingen kann. Und gilt in gleichem oder gar in er¬
höhtem Maße nicht das nämliche von unzähligen Unentbehrlichsten des täg¬
lichen Bedarfs? Auch das Pferde- und Wagenthema erwies sich als ein dem
Diktum der Mode in geradezu staunenswerter Weise unterworfenes Gebiet, sodaß
selbst ein auf das Dauerhafte und Nützliche gerichteter Geschmack, wie der des
Hartigschen Ehepaares, Ursache hatte, nicht ohne reifliche Überlegung einen Ent¬
schluß zu fassen.

Alles dies war aber nicht dasjenige, was immer noch von neuem die
Antwort auf die Frage verzögerte: Werden wir uns hier einleben tonnen?
Was war es denn?

Ehe die Verwicklungen zur Sprache kommen können, die aus der endlich
gegebenen Antwort hervorgingen und die dann zwei junge Herzen fast zum
Zerbrechen brachten — wer hätte das je in der ruhigen Atmosphäre des Hartig¬
schen Ehepaares für möglich gehalten? — muß auch davon noch die Rede sein.




Zweites Aapitel.

Also um was handelte sichs?

Um das Verhängnisvollste, das sich denken läßt, um eine Fessel, die der
damit Belastete nur abstreifen kann, wenn er seine wiedererobcrte Freiheit mit
dem Fluche der Geschmacklosigkeit, ja der Barbarei bezahlen will.

Man wird mich vielleicht der Übertreibung bezichtigen, aber da ich eine
wahre Geschichte erzähle, muß für diesen Fall der Schein der Übertreibung auf
Rechnung der verhältnismäßigen Flüchtigkeit kommen, die ich dem Gegenstände
widmen darf; liegt es mir doch begreiflicherweise daran, bald von den jünger
gearteten Wünschen, Hoffnungen und Empfindungen zu berichten, die neben den
leichten Stimmnngstrübungen des alternden Hartigschen Ehepaares in den schönen


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[0056] Auf der Leiter des Glücks. Rhabarber und Farrenkräuter. Oder man spazierte selbander unter dein Regen¬ schirm auf den Mvsaiktrvttvirs des Gartens und fand immer neue Befrie¬ digung an der hier endlich bewiesenen Entbehrlichkeit aller Arten von Gummi¬ schuhen oder Galoschen. Pferde und Wagen hatte man noch nicht angeschafft. Von Zeit zu Zeit wurde aber zwischen Kaspar Benedikt und Frau Anna das Pferde- und Wagenthema in Gemächlichkeit durchgesprochen. Im allgemeinen weiß oder beachtet man nur, daß unsre körperliche Ein¬ kleidung unter dem Gesetz der Mode steht. Die letztere beherrscht aber so ziem¬ lich alle Erzeugnisse des menschlichen Gewerbfleißes und ist die eigentliche Lebensluft der Industrie. Selbst das Weinglas auf meinem Tische darf ja, wenn ich ein moderner Mensch sein will, nicht diese oder jene Form, diesen oder jenen Schliff, diesen oder jenen Farbenton aus einer überwundenen, oft nur wenige Jahrzehnte oder ein paar Jahre zurückliegende» Geschmacks¬ periode haben, notabene, wenn ich ein moderner Mensch sein will, wozu mich glücklicherweise niemand zwingen kann. Und gilt in gleichem oder gar in er¬ höhtem Maße nicht das nämliche von unzähligen Unentbehrlichsten des täg¬ lichen Bedarfs? Auch das Pferde- und Wagenthema erwies sich als ein dem Diktum der Mode in geradezu staunenswerter Weise unterworfenes Gebiet, sodaß selbst ein auf das Dauerhafte und Nützliche gerichteter Geschmack, wie der des Hartigschen Ehepaares, Ursache hatte, nicht ohne reifliche Überlegung einen Ent¬ schluß zu fassen. Alles dies war aber nicht dasjenige, was immer noch von neuem die Antwort auf die Frage verzögerte: Werden wir uns hier einleben tonnen? Was war es denn? Ehe die Verwicklungen zur Sprache kommen können, die aus der endlich gegebenen Antwort hervorgingen und die dann zwei junge Herzen fast zum Zerbrechen brachten — wer hätte das je in der ruhigen Atmosphäre des Hartig¬ schen Ehepaares für möglich gehalten? — muß auch davon noch die Rede sein. Zweites Aapitel. Also um was handelte sichs? Um das Verhängnisvollste, das sich denken läßt, um eine Fessel, die der damit Belastete nur abstreifen kann, wenn er seine wiedererobcrte Freiheit mit dem Fluche der Geschmacklosigkeit, ja der Barbarei bezahlen will. Man wird mich vielleicht der Übertreibung bezichtigen, aber da ich eine wahre Geschichte erzähle, muß für diesen Fall der Schein der Übertreibung auf Rechnung der verhältnismäßigen Flüchtigkeit kommen, die ich dem Gegenstände widmen darf; liegt es mir doch begreiflicherweise daran, bald von den jünger gearteten Wünschen, Hoffnungen und Empfindungen zu berichten, die neben den leichten Stimmnngstrübungen des alternden Hartigschen Ehepaares in den schönen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/56>, abgerufen am 27.06.2024.