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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Zur Reform der Einkommensteuer.
Ein Laiengesxräch.

^v.
cis hältst du von den neuen Stencrgesehentwürfen?

L. Da wendest du dich ein keine richtige Adresse, denn ich
verstehe wenig von Finanzwissenschaft, Freilich kommen bei Steuer-
fragcn noch andre Dinge in Betracht, Geschichte, Politik, soziale
Zustände, überhaupt die Macht der Thatsachen, auch Vorurteile,

L., Nun, eben deshalb mußt dn ja vielleicht besser imstande sein, ein ver¬
nünftiges Urteil zu fällen als mancher andre.

L. Vielleicht, vielleicht auch nicht.

^. Heraus mit der Sprache also! Was denkst du über Aufhebung der vier
untersten Stufen der Klassensteuer?

IZ. Ich billige sie durchaus, den" ich finde es weder gerecht noch klug, daß
von Leuten, die kaum des Lebens Notdurft befriedige" können, direkt die Heraus¬
gabe eines Teiles ihres absolut unentbehrlichen Einkommens verlangt wird. Dies
muß auf feiten der Pflichtigen Erbitterung erregen, uns feiten des Staats zu
massenhaften, kostspieligen und im ganzen fruchtlosen Exekutionen führen und bringt
schließlich nichts oder nnr wenig ein. Ob nun gerade 1200 Mark die richtige
Grenze bildet, ist kaum grundsätzlich zu entscheiden. Man wird sich darüber ver¬
ständigen müssen und wird dies ohne Zweifel auch können, denn nnr praktische
Rücksichten können in diesem Punkte entscheiden; der Wert des Geldes, d. h. die
Anzahl der Dinge, welche man für eine Mark kaufen kann, in Stadt und Land,
sowie in den einzelnen Provinzen des Reichs ist ja sehr verschieden.

^. Nun, in allen Fällen werden die Leute dieser Steuerklassen sehr zufrieden
sein können, wenn sie künftig ganz von Steuern befreit bleiben.

Z. Gewiß. Aber wir wollen nicht vergessen, daß diese selben Leute fortfahren
werde", alle indirekte:: Steuern zu bezahle". Auch weißt du ja, daß die Regierung
bestrebt ist, das System der indirekten Steuern noch weiter auszudehnen.

Ja freilich weiß ich das. Aber es ist doch ein wesentlicher Unterschied,
ob man dem Stenererheber baares Geld abliefern muß, oder ob man in kleinen,
unmerklichen Beträgen zum allgemeinen Säckel beiträgt, gewissermaßen ohne es
selbst zu wissen. Denn kein Mensch denkt ja an eine Steuer, wenn er Brot oder
Fleisch oder Cigarren oder sonst eine mit Accise belegte Ware kauft.

L. Leider ist es so! Daß man die Steuer auf diesen: Wege unbewußt zahlt,
wie du sagst, ist gewiß richtig. Aber das wesentliche ist doch, daß man in kleine",
unmerklichen Beträgen zahlt. Ein Mann, der 30 Mark monatlich verdient, ist
zu keiner Zeit imstande, 15 Mark auf einen: Brette zu zahlen. Aber es wird
ihn: gelingen, jeden Tag einen halben Pfennig zu zahlen.

^V. Das ist sehr wahr, und es wird diese Schlauheit ja auch in: Privat¬
verkehr täglich geübt, wenn man einem schwachen Schuldner Teilzählungen gewährt.

lZ. Dn sagst Schlauheit, dn könntest ebensogut, vielleicht besser sagen Mensch¬
lichkeit, wenn mau davou ausgeht, daß auch der arme Mann unter nlleu Umständen
zu den Staatsbedürfnissen beisteuern muß.


Zur Reform der Einkommensteuer.
Ein Laiengesxräch.

^v.
cis hältst du von den neuen Stencrgesehentwürfen?

L. Da wendest du dich ein keine richtige Adresse, denn ich
verstehe wenig von Finanzwissenschaft, Freilich kommen bei Steuer-
fragcn noch andre Dinge in Betracht, Geschichte, Politik, soziale
Zustände, überhaupt die Macht der Thatsachen, auch Vorurteile,

L., Nun, eben deshalb mußt dn ja vielleicht besser imstande sein, ein ver¬
nünftiges Urteil zu fällen als mancher andre.

L. Vielleicht, vielleicht auch nicht.

^. Heraus mit der Sprache also! Was denkst du über Aufhebung der vier
untersten Stufen der Klassensteuer?

IZ. Ich billige sie durchaus, den» ich finde es weder gerecht noch klug, daß
von Leuten, die kaum des Lebens Notdurft befriedige» können, direkt die Heraus¬
gabe eines Teiles ihres absolut unentbehrlichen Einkommens verlangt wird. Dies
muß auf feiten der Pflichtigen Erbitterung erregen, uns feiten des Staats zu
massenhaften, kostspieligen und im ganzen fruchtlosen Exekutionen führen und bringt
schließlich nichts oder nnr wenig ein. Ob nun gerade 1200 Mark die richtige
Grenze bildet, ist kaum grundsätzlich zu entscheiden. Man wird sich darüber ver¬
ständigen müssen und wird dies ohne Zweifel auch können, denn nnr praktische
Rücksichten können in diesem Punkte entscheiden; der Wert des Geldes, d. h. die
Anzahl der Dinge, welche man für eine Mark kaufen kann, in Stadt und Land,
sowie in den einzelnen Provinzen des Reichs ist ja sehr verschieden.

^. Nun, in allen Fällen werden die Leute dieser Steuerklassen sehr zufrieden
sein können, wenn sie künftig ganz von Steuern befreit bleiben.

Z. Gewiß. Aber wir wollen nicht vergessen, daß diese selben Leute fortfahren
werde», alle indirekte:: Steuern zu bezahle«. Auch weißt du ja, daß die Regierung
bestrebt ist, das System der indirekten Steuern noch weiter auszudehnen.

Ja freilich weiß ich das. Aber es ist doch ein wesentlicher Unterschied,
ob man dem Stenererheber baares Geld abliefern muß, oder ob man in kleinen,
unmerklichen Beträgen zum allgemeinen Säckel beiträgt, gewissermaßen ohne es
selbst zu wissen. Denn kein Mensch denkt ja an eine Steuer, wenn er Brot oder
Fleisch oder Cigarren oder sonst eine mit Accise belegte Ware kauft.

L. Leider ist es so! Daß man die Steuer auf diesen: Wege unbewußt zahlt,
wie du sagst, ist gewiß richtig. Aber das wesentliche ist doch, daß man in kleine»,
unmerklichen Beträgen zahlt. Ein Mann, der 30 Mark monatlich verdient, ist
zu keiner Zeit imstande, 15 Mark auf einen: Brette zu zahlen. Aber es wird
ihn: gelingen, jeden Tag einen halben Pfennig zu zahlen.

^V. Das ist sehr wahr, und es wird diese Schlauheit ja auch in: Privat¬
verkehr täglich geübt, wenn man einem schwachen Schuldner Teilzählungen gewährt.

lZ. Dn sagst Schlauheit, dn könntest ebensogut, vielleicht besser sagen Mensch¬
lichkeit, wenn mau davou ausgeht, daß auch der arme Mann unter nlleu Umständen
zu den Staatsbedürfnissen beisteuern muß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/516>, abgerufen am 27.06.2024.