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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die antisemitische Lxisode.

zu Klagen haben mögen, von neuem zu erbittern oder gar der Schreibwut des
süddeutschen Champions der Künstlerschaft neue Nahrung zu geben, sondern auf
den Faktor aufmerksam zu machen, der auch ein Wort, und zwar ein gewich¬
tiges, hineinzureden hat -- das Publikum. Nicht der einzelne Künstler, welcher
sich gekränkt fühlt, sondern das Publikum einer Zeitung oder Zeitschrift hat
sich mit den Mitarbeitern derselben abzufinden und zu ihnen eine wohlwollende
oder ablehnende Stellung einzunehmen. Als Emile Zola im Jahre 1866 die
Kunstberichte über den Pariser "Salon" für die Zeitung ^vvnemönt schrieb,
ließ er sich durch seine Überzeugung dazu verleiten, den Impressionisten Manet,
den alle Welt abscheulich fand, für einen bedeutenden Künstler zu erklären, welcher
allein richtig zu sehen verstünde. Darob erhob sich ein solcher Sturm der Ent¬
rüstung unter den Lesern des Blattes, daß sich der Besitzer der Zeitung ge¬
nötigt sah, dem kühnen Naturalisten einen minder einseitigen Kritiker an die
Seite zu stellen. Das ist eine Revolution, welche natürlich und begründet ist.
Aber die Künstler haben nicht das Recht, in eigner Sache zugleich Kläger und
Richter zu sein.

Es ist wahr, daß nicht die Kritik einen Künstler unsterblich machen kann,
sondern nur er sich selbst durch seine Werke. Aber der Weg zum Tempel der
Unsterblichkeit ist heutzutage mit so vielen sehnsüchtigen Pilgern vollgepfropft,
daß die meisten nicht von der Stelle kommen würden, wenn die wohlwollende
Kritik nicht diesem und jenem mit einem Schlage ein gut Stück vorwärts hälfe.


Adolf Rosenberg.


Die antisemitische Episode.

s ist ruhiger geworden in der Bewegung gegen die Juden, aber
man täusche sich nicht: es ist kein völliges Zerfließen der Frage
oder auch nur ein Stillstand in der Entwicklung derselben, denn
dazu ist sie historisch und politisch zu tief begründet. Bei ihrer
weiteren Verhandlung wird weniger die Leidenschaft als die
Wissenschaft das Wort haben, und so steht zu hoffen, daß man mit der Zeit
zu einer Verständigung und zu annähernder Lösung gelangen werde. Als ein
lesenswerter Beitrag zur Erreichung dieses Zweckes erscheint uns die mit ebenso¬
viel Sachkenntnis als Mäßigung geschriebene Schrift: Die antisemitische
Bewegung in Deutschland, besonders in Berlin, von Erich Lehnhardt
(Zürich, Verlagsmagazin, 1884, 102 S), welche Wesen, Berechtigung und


Die antisemitische Lxisode.

zu Klagen haben mögen, von neuem zu erbittern oder gar der Schreibwut des
süddeutschen Champions der Künstlerschaft neue Nahrung zu geben, sondern auf
den Faktor aufmerksam zu machen, der auch ein Wort, und zwar ein gewich¬
tiges, hineinzureden hat — das Publikum. Nicht der einzelne Künstler, welcher
sich gekränkt fühlt, sondern das Publikum einer Zeitung oder Zeitschrift hat
sich mit den Mitarbeitern derselben abzufinden und zu ihnen eine wohlwollende
oder ablehnende Stellung einzunehmen. Als Emile Zola im Jahre 1866 die
Kunstberichte über den Pariser „Salon" für die Zeitung ^vvnemönt schrieb,
ließ er sich durch seine Überzeugung dazu verleiten, den Impressionisten Manet,
den alle Welt abscheulich fand, für einen bedeutenden Künstler zu erklären, welcher
allein richtig zu sehen verstünde. Darob erhob sich ein solcher Sturm der Ent¬
rüstung unter den Lesern des Blattes, daß sich der Besitzer der Zeitung ge¬
nötigt sah, dem kühnen Naturalisten einen minder einseitigen Kritiker an die
Seite zu stellen. Das ist eine Revolution, welche natürlich und begründet ist.
Aber die Künstler haben nicht das Recht, in eigner Sache zugleich Kläger und
Richter zu sein.

Es ist wahr, daß nicht die Kritik einen Künstler unsterblich machen kann,
sondern nur er sich selbst durch seine Werke. Aber der Weg zum Tempel der
Unsterblichkeit ist heutzutage mit so vielen sehnsüchtigen Pilgern vollgepfropft,
daß die meisten nicht von der Stelle kommen würden, wenn die wohlwollende
Kritik nicht diesem und jenem mit einem Schlage ein gut Stück vorwärts hälfe.


Adolf Rosenberg.


Die antisemitische Episode.

s ist ruhiger geworden in der Bewegung gegen die Juden, aber
man täusche sich nicht: es ist kein völliges Zerfließen der Frage
oder auch nur ein Stillstand in der Entwicklung derselben, denn
dazu ist sie historisch und politisch zu tief begründet. Bei ihrer
weiteren Verhandlung wird weniger die Leidenschaft als die
Wissenschaft das Wort haben, und so steht zu hoffen, daß man mit der Zeit
zu einer Verständigung und zu annähernder Lösung gelangen werde. Als ein
lesenswerter Beitrag zur Erreichung dieses Zweckes erscheint uns die mit ebenso¬
viel Sachkenntnis als Mäßigung geschriebene Schrift: Die antisemitische
Bewegung in Deutschland, besonders in Berlin, von Erich Lehnhardt
(Zürich, Verlagsmagazin, 1884, 102 S), welche Wesen, Berechtigung und


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[0048] Die antisemitische Lxisode. zu Klagen haben mögen, von neuem zu erbittern oder gar der Schreibwut des süddeutschen Champions der Künstlerschaft neue Nahrung zu geben, sondern auf den Faktor aufmerksam zu machen, der auch ein Wort, und zwar ein gewich¬ tiges, hineinzureden hat — das Publikum. Nicht der einzelne Künstler, welcher sich gekränkt fühlt, sondern das Publikum einer Zeitung oder Zeitschrift hat sich mit den Mitarbeitern derselben abzufinden und zu ihnen eine wohlwollende oder ablehnende Stellung einzunehmen. Als Emile Zola im Jahre 1866 die Kunstberichte über den Pariser „Salon" für die Zeitung ^vvnemönt schrieb, ließ er sich durch seine Überzeugung dazu verleiten, den Impressionisten Manet, den alle Welt abscheulich fand, für einen bedeutenden Künstler zu erklären, welcher allein richtig zu sehen verstünde. Darob erhob sich ein solcher Sturm der Ent¬ rüstung unter den Lesern des Blattes, daß sich der Besitzer der Zeitung ge¬ nötigt sah, dem kühnen Naturalisten einen minder einseitigen Kritiker an die Seite zu stellen. Das ist eine Revolution, welche natürlich und begründet ist. Aber die Künstler haben nicht das Recht, in eigner Sache zugleich Kläger und Richter zu sein. Es ist wahr, daß nicht die Kritik einen Künstler unsterblich machen kann, sondern nur er sich selbst durch seine Werke. Aber der Weg zum Tempel der Unsterblichkeit ist heutzutage mit so vielen sehnsüchtigen Pilgern vollgepfropft, daß die meisten nicht von der Stelle kommen würden, wenn die wohlwollende Kritik nicht diesem und jenem mit einem Schlage ein gut Stück vorwärts hälfe. Adolf Rosenberg. Die antisemitische Episode. s ist ruhiger geworden in der Bewegung gegen die Juden, aber man täusche sich nicht: es ist kein völliges Zerfließen der Frage oder auch nur ein Stillstand in der Entwicklung derselben, denn dazu ist sie historisch und politisch zu tief begründet. Bei ihrer weiteren Verhandlung wird weniger die Leidenschaft als die Wissenschaft das Wort haben, und so steht zu hoffen, daß man mit der Zeit zu einer Verständigung und zu annähernder Lösung gelangen werde. Als ein lesenswerter Beitrag zur Erreichung dieses Zweckes erscheint uns die mit ebenso¬ viel Sachkenntnis als Mäßigung geschriebene Schrift: Die antisemitische Bewegung in Deutschland, besonders in Berlin, von Erich Lehnhardt (Zürich, Verlagsmagazin, 1884, 102 S), welche Wesen, Berechtigung und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/48>, abgerufen am 27.06.2024.