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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der weiter des Glücks.

Und du meinst?

Ich habe von vornherein sein verändertes Benehmen gegen dich für ein
nicht unbedenkliches Symptom angesehen, versetzte Fran von Mockritz, Daß es
dir die Möglichkeit bot, dich in Ehren zurückzuziehen, ehe sich das Schlimmste
ereignet, darin sah ich eine Fürsorge des Himmels, für die wir, sagte ich mir,
nicht dankbar genug sein konnten. Aber andrerseits hat mich dein gestriges
Eintreten für ihn beschämt, so sehr beschämt, daß ich an jene schreckliche Mög¬
lichkeit nicht einmal zu erinnern wagte. Denn du liebst Berthold in Wirklichkeit,
und die Liebe muß schließlich alles überwinden. Vielleicht hat meine Sorge um
deine Zukunft mich gestern schon engherziger gemacht, als eine Christin sein darf.
Warten wir also in Ruhe ab, was seine nächsten Schritte gegen dich sein werden.

Hermione gab lange Zeit keine Antwort. Zuletzt, als sie aufgestanden war
und nach Lore rufen wollte, sagte sie: Ich kann mich noch garnicht fassen, Mama;
hast du das Brouillon noch bei der Hand? Die Sache ist ja entsetzlich! Der
Arme! Aber du weißt, Mama, wenn ich von Wasserscheu nur reden höre, da
perlt mir schon der Angstschweiß auf der Stirn. O der arme Berthold! Was
bleibt mir da übrig, als zurückzutreten! Denn angenommen sogar, wir wären
falsch berichtet, daß er selbst diesen Schritt vorhabe, angenommen auch, es habe
vor der Hand mit den Folgen des Bisses noch keine Gefahr, kann ich bei
meiner Furcht vor Tollwut und dergleichen je in seine Nähe kommen, ohne
ihn durch meine Hasenherzigkeit an die Gefahr, die ihn bedroht, zu erinnern!
Und das ist ja, was er vor allem meiden muß! Mama, ich sehe ein, du hast
Recht gehabt. Ich will den Brief schreiben.

Auf diese Weise kamen die beiden Absagebriefe zustande, welche Frau von
Mockritz für den Besuch ihres lieben Nachbars aus der merkwürdigen Villa in
Bereitschaft halten wollte, und welche sie dann auch, wie schon berichtet, mit Glück
und Geschick in seine Hände legte.

Was Frau von Mockritz sonst aufs Tapet gebracht hatte, wurde einst¬
weilen als nicht gesprochen betrachtet. Hermione, dnrch die Stürme, die sie
zu bestehen gehabt hatte, tiefer aufgeregt, als sie selbst ihrer leichtblütigen Natur
zugetraut hatte, bedürfte eiuer Luftveränderung, für welche durch eine ihrer
gutsituirten Schwestern unter Anleitung der Mama Rat geschafft wurde. Die
Photographien des kleinen Husaren und des Grafen mit der Perrücke wanderten
in die Schublade, welche bereits öfter sich ähnliche Einquartierung hatte ge¬
fallen lassen müssen, und für die nächsten zwölf Monate waren die Läden und
die Sonnenbrecher der Villa jenseits der Moorwiesen geschlossen.




Sechzehntes Rapitel.

Ein finnisches Volkslied klagt:


Solches Pferd wird nicht gefunden,
Welches zöge meine Sorgen!

Auf der weiter des Glücks.

Und du meinst?

Ich habe von vornherein sein verändertes Benehmen gegen dich für ein
nicht unbedenkliches Symptom angesehen, versetzte Fran von Mockritz, Daß es
dir die Möglichkeit bot, dich in Ehren zurückzuziehen, ehe sich das Schlimmste
ereignet, darin sah ich eine Fürsorge des Himmels, für die wir, sagte ich mir,
nicht dankbar genug sein konnten. Aber andrerseits hat mich dein gestriges
Eintreten für ihn beschämt, so sehr beschämt, daß ich an jene schreckliche Mög¬
lichkeit nicht einmal zu erinnern wagte. Denn du liebst Berthold in Wirklichkeit,
und die Liebe muß schließlich alles überwinden. Vielleicht hat meine Sorge um
deine Zukunft mich gestern schon engherziger gemacht, als eine Christin sein darf.
Warten wir also in Ruhe ab, was seine nächsten Schritte gegen dich sein werden.

Hermione gab lange Zeit keine Antwort. Zuletzt, als sie aufgestanden war
und nach Lore rufen wollte, sagte sie: Ich kann mich noch garnicht fassen, Mama;
hast du das Brouillon noch bei der Hand? Die Sache ist ja entsetzlich! Der
Arme! Aber du weißt, Mama, wenn ich von Wasserscheu nur reden höre, da
perlt mir schon der Angstschweiß auf der Stirn. O der arme Berthold! Was
bleibt mir da übrig, als zurückzutreten! Denn angenommen sogar, wir wären
falsch berichtet, daß er selbst diesen Schritt vorhabe, angenommen auch, es habe
vor der Hand mit den Folgen des Bisses noch keine Gefahr, kann ich bei
meiner Furcht vor Tollwut und dergleichen je in seine Nähe kommen, ohne
ihn durch meine Hasenherzigkeit an die Gefahr, die ihn bedroht, zu erinnern!
Und das ist ja, was er vor allem meiden muß! Mama, ich sehe ein, du hast
Recht gehabt. Ich will den Brief schreiben.

Auf diese Weise kamen die beiden Absagebriefe zustande, welche Frau von
Mockritz für den Besuch ihres lieben Nachbars aus der merkwürdigen Villa in
Bereitschaft halten wollte, und welche sie dann auch, wie schon berichtet, mit Glück
und Geschick in seine Hände legte.

Was Frau von Mockritz sonst aufs Tapet gebracht hatte, wurde einst¬
weilen als nicht gesprochen betrachtet. Hermione, dnrch die Stürme, die sie
zu bestehen gehabt hatte, tiefer aufgeregt, als sie selbst ihrer leichtblütigen Natur
zugetraut hatte, bedürfte eiuer Luftveränderung, für welche durch eine ihrer
gutsituirten Schwestern unter Anleitung der Mama Rat geschafft wurde. Die
Photographien des kleinen Husaren und des Grafen mit der Perrücke wanderten
in die Schublade, welche bereits öfter sich ähnliche Einquartierung hatte ge¬
fallen lassen müssen, und für die nächsten zwölf Monate waren die Läden und
die Sonnenbrecher der Villa jenseits der Moorwiesen geschlossen.




Sechzehntes Rapitel.

Ein finnisches Volkslied klagt:


Solches Pferd wird nicht gefunden,
Welches zöge meine Sorgen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/478>, abgerufen am 27.06.2024.