Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Ministerkrisis in England,

n England hat die Mißbilligung, welche die ägyptische Politik
Gladstones beim Publikum erfährt, in der letzten Woche einen
Grad erreicht, der vielen die längere Existenz des gegenwärtigen
Ministeriums ernstlich gefährdet erscheinen läßt. Die Sache hat
zunächst für die Engländer Interesse, indem es sich in erster
Reihe um ein klareres und kräftigeres Auftreten in auswärtige" Fragen und
sodann um die von Glcidstone den Liberalen versprochene Erweiterung des
Wahlrechts handelt -- eine sehr bedenkliche Maßregel beiläufig, die über kurz
oder lang den Demokraten, den Radikalen, den Republikanern im Unterhause
die Mehrheit verschaffen wird. Das letztere aber geht mittelbar auch uns Deutsche
an, da es das Gewicht der demokratisch eingerichteten Staaten Europas steigern
muß, und wir deshalb nicht wünschen können, daß diese "Reform" sich
vollziehe; und da außerdem bekannt ist, daß Gladstone und seine Kollegen uns
und unserm Verbündeten an der Donau im stillen nicht wohlwollen, so liegt
um Sturz des liberalen Kcibinets und die Rückkehr der uns mehr geneigten
Gegenpartei ans Ruder in unserm Interesse.

Dürfen wir aber hoffen, was wir wünschen müssen? Die Antwort ist
nicht leicht. Die Entrüstung über das Verhalten, welches das Kabinet der
Königin Viktoria bisher in Ägypten beobachtet hat, ist in alle Kreise des eng¬
lischen Volkes gedrungen, alle Parteien klagen, alle schämen sich. Volks¬
versammlungen bekunden dies fast einstimmig und fordern Umkehr und Abhilfe.
Das Haus der Lords hat mit der großen Stimmenmehrheit von 181 gegen
81 sein Tadelsvotum über die schwächliche und widerspruchsvolle Politik der
Regierung ausgesprochen, und die Debatte, die über denselben Gegenstand im
Hause der Gemeinen begonnen hat, könnte denselben Ausgang nehmen. Gewiß


Grmzbvwl I. 1884. 54


Die Ministerkrisis in England,

n England hat die Mißbilligung, welche die ägyptische Politik
Gladstones beim Publikum erfährt, in der letzten Woche einen
Grad erreicht, der vielen die längere Existenz des gegenwärtigen
Ministeriums ernstlich gefährdet erscheinen läßt. Die Sache hat
zunächst für die Engländer Interesse, indem es sich in erster
Reihe um ein klareres und kräftigeres Auftreten in auswärtige» Fragen und
sodann um die von Glcidstone den Liberalen versprochene Erweiterung des
Wahlrechts handelt — eine sehr bedenkliche Maßregel beiläufig, die über kurz
oder lang den Demokraten, den Radikalen, den Republikanern im Unterhause
die Mehrheit verschaffen wird. Das letztere aber geht mittelbar auch uns Deutsche
an, da es das Gewicht der demokratisch eingerichteten Staaten Europas steigern
muß, und wir deshalb nicht wünschen können, daß diese „Reform" sich
vollziehe; und da außerdem bekannt ist, daß Gladstone und seine Kollegen uns
und unserm Verbündeten an der Donau im stillen nicht wohlwollen, so liegt
um Sturz des liberalen Kcibinets und die Rückkehr der uns mehr geneigten
Gegenpartei ans Ruder in unserm Interesse.

Dürfen wir aber hoffen, was wir wünschen müssen? Die Antwort ist
nicht leicht. Die Entrüstung über das Verhalten, welches das Kabinet der
Königin Viktoria bisher in Ägypten beobachtet hat, ist in alle Kreise des eng¬
lischen Volkes gedrungen, alle Parteien klagen, alle schämen sich. Volks¬
versammlungen bekunden dies fast einstimmig und fordern Umkehr und Abhilfe.
Das Haus der Lords hat mit der großen Stimmenmehrheit von 181 gegen
81 sein Tadelsvotum über die schwächliche und widerspruchsvolle Politik der
Regierung ausgesprochen, und die Debatte, die über denselben Gegenstand im
Hause der Gemeinen begonnen hat, könnte denselben Ausgang nehmen. Gewiß


Grmzbvwl I. 1884. 54
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155318"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341839_158199/figures/grenzboten_341839_158199_155318_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Ministerkrisis in England,</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1783"> n England hat die Mißbilligung, welche die ägyptische Politik<lb/>
Gladstones beim Publikum erfährt, in der letzten Woche einen<lb/>
Grad erreicht, der vielen die längere Existenz des gegenwärtigen<lb/>
Ministeriums ernstlich gefährdet erscheinen läßt. Die Sache hat<lb/>
zunächst für die Engländer Interesse, indem es sich in erster<lb/>
Reihe um ein klareres und kräftigeres Auftreten in auswärtige» Fragen und<lb/>
sodann um die von Glcidstone den Liberalen versprochene Erweiterung des<lb/>
Wahlrechts handelt &#x2014; eine sehr bedenkliche Maßregel beiläufig, die über kurz<lb/>
oder lang den Demokraten, den Radikalen, den Republikanern im Unterhause<lb/>
die Mehrheit verschaffen wird. Das letztere aber geht mittelbar auch uns Deutsche<lb/>
an, da es das Gewicht der demokratisch eingerichteten Staaten Europas steigern<lb/>
muß, und wir deshalb nicht wünschen können, daß diese &#x201E;Reform" sich<lb/>
vollziehe; und da außerdem bekannt ist, daß Gladstone und seine Kollegen uns<lb/>
und unserm Verbündeten an der Donau im stillen nicht wohlwollen, so liegt<lb/>
um Sturz des liberalen Kcibinets und die Rückkehr der uns mehr geneigten<lb/>
Gegenpartei ans Ruder in unserm Interesse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1784" next="#ID_1785"> Dürfen wir aber hoffen, was wir wünschen müssen? Die Antwort ist<lb/>
nicht leicht. Die Entrüstung über das Verhalten, welches das Kabinet der<lb/>
Königin Viktoria bisher in Ägypten beobachtet hat, ist in alle Kreise des eng¬<lb/>
lischen Volkes gedrungen, alle Parteien klagen, alle schämen sich. Volks¬<lb/>
versammlungen bekunden dies fast einstimmig und fordern Umkehr und Abhilfe.<lb/>
Das Haus der Lords hat mit der großen Stimmenmehrheit von 181 gegen<lb/>
81 sein Tadelsvotum über die schwächliche und widerspruchsvolle Politik der<lb/>
Regierung ausgesprochen, und die Debatte, die über denselben Gegenstand im<lb/>
Hause der Gemeinen begonnen hat, könnte denselben Ausgang nehmen. Gewiß</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbvwl I. 1884. 54</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0435] [Abbildung] Die Ministerkrisis in England, n England hat die Mißbilligung, welche die ägyptische Politik Gladstones beim Publikum erfährt, in der letzten Woche einen Grad erreicht, der vielen die längere Existenz des gegenwärtigen Ministeriums ernstlich gefährdet erscheinen läßt. Die Sache hat zunächst für die Engländer Interesse, indem es sich in erster Reihe um ein klareres und kräftigeres Auftreten in auswärtige» Fragen und sodann um die von Glcidstone den Liberalen versprochene Erweiterung des Wahlrechts handelt — eine sehr bedenkliche Maßregel beiläufig, die über kurz oder lang den Demokraten, den Radikalen, den Republikanern im Unterhause die Mehrheit verschaffen wird. Das letztere aber geht mittelbar auch uns Deutsche an, da es das Gewicht der demokratisch eingerichteten Staaten Europas steigern muß, und wir deshalb nicht wünschen können, daß diese „Reform" sich vollziehe; und da außerdem bekannt ist, daß Gladstone und seine Kollegen uns und unserm Verbündeten an der Donau im stillen nicht wohlwollen, so liegt um Sturz des liberalen Kcibinets und die Rückkehr der uns mehr geneigten Gegenpartei ans Ruder in unserm Interesse. Dürfen wir aber hoffen, was wir wünschen müssen? Die Antwort ist nicht leicht. Die Entrüstung über das Verhalten, welches das Kabinet der Königin Viktoria bisher in Ägypten beobachtet hat, ist in alle Kreise des eng¬ lischen Volkes gedrungen, alle Parteien klagen, alle schämen sich. Volks¬ versammlungen bekunden dies fast einstimmig und fordern Umkehr und Abhilfe. Das Haus der Lords hat mit der großen Stimmenmehrheit von 181 gegen 81 sein Tadelsvotum über die schwächliche und widerspruchsvolle Politik der Regierung ausgesprochen, und die Debatte, die über denselben Gegenstand im Hause der Gemeinen begonnen hat, könnte denselben Ausgang nehmen. Gewiß Grmzbvwl I. 1884. 54

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/435
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/435>, abgerufen am 27.06.2024.