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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Musikalische phrastrung.

in Kupferstichen, entfaltet hatte. Auch diese tragen mit Ausnahme einer kleinen,
bereits von der italienischen Manier beeinflußten Gruppe ein entschieden realistisches
Gepräge, und besonders fällt auch auf ihnen die Vorliebe und das feine Gefühl
für landschaftliche Reize ans. Wir finden aber bei dem Zeitgenossen PatinirS>
der rin dem ersten Landschaftsmaler der Schule sogar um 1521 zusammen in
Antwerpen lebte, dessen Glanz auch den holländischen Meister angelockt hatte,
keine Neigung zu phantastischen Bildungen, sondern eine treue Beobachtung der
wirklichen Natur, wie wir sie bei den ältern Meistern der Schule gesehen haben.
Auch unter den Kupferstichen sind einige, welche Genreszenen behandeln. Es ist
wohl nicht zufällig, daß dieselben sich ihrem Inhalte "ach in der Richtung des
Hieronymus Bosch bewegen. Da ist zunächst el" Quacksalber, welcher einem
Bauern einen Zahn ausreißt. Eine Frau benutzt diese Gelegenheit, um einen
Griff in die Geldtasche des Bauern zu thun. Auf einem zweiten Blatte ist
gleichfalls eine chirurgische Operation dargestellt, die an einem auf der Erde
kauernden Manne vorgenommen wird. Es sind die ersten Schritte ans dein
Wege, den ein Jahrhundert später Adriaen Brouwer und David Teniers der
Jüngere mit größtem Erfolge betraten. An ein Lieblingsgebiet des Hieronymus
Bosch erinnert auch ein Hauptblatt unter den Kupferstichen des Lukas, die
uuter dem Namen der "Eulenspiegel" bekannte wandernde Bettlcrfamilie, deren
Haupt die Sackpfeife bläst, während der älteste Sprößling mit einer Enle auis
der Schulter deu Zug eröffnet. Aber nur in den Stoffe" erinnert Lukas an
Bosch. In der Charakteristik der Figuren und in der Formengebung hält er
sich vou jeder grotesken Übertreibung fern. Er giebt die Natur mit voll¬
kommener Unbefangenheit und mit jener Naivetät wieder, welche das Kenn¬
zeichen des echten Realismus ist.




Musikalische phrasirung.

as musikalische Publikum hat sich allmählich gewöhnt, die An¬
zeigen neuer Klassilcransgaben mit gelindem Gleichmut hinzu-
nehmen. Wir möchten im vorliegende" Fall um eine freundliche
Ansnahme bitten, da eS sich um ein Werk handelt, welches die
musikalisch Fertigen sehr interessiren wird, "ud aus welchem die,
welche das erst noch werden wollen, ungemein viel lernen können. VielleW
knüpft sich an die eben erschienene "PhrasirnngsanSgabe" der Mozartschen So¬
nate"*) eine neue Phase in der Geschichte des Klavierspiels.



*) Hugo Riemcinus Phrasimugscmsgabe. Erster Band. Mozarts Sonaten, Berlin,
Simrock.
Musikalische phrastrung.

in Kupferstichen, entfaltet hatte. Auch diese tragen mit Ausnahme einer kleinen,
bereits von der italienischen Manier beeinflußten Gruppe ein entschieden realistisches
Gepräge, und besonders fällt auch auf ihnen die Vorliebe und das feine Gefühl
für landschaftliche Reize ans. Wir finden aber bei dem Zeitgenossen PatinirS>
der rin dem ersten Landschaftsmaler der Schule sogar um 1521 zusammen in
Antwerpen lebte, dessen Glanz auch den holländischen Meister angelockt hatte,
keine Neigung zu phantastischen Bildungen, sondern eine treue Beobachtung der
wirklichen Natur, wie wir sie bei den ältern Meistern der Schule gesehen haben.
Auch unter den Kupferstichen sind einige, welche Genreszenen behandeln. Es ist
wohl nicht zufällig, daß dieselben sich ihrem Inhalte »ach in der Richtung des
Hieronymus Bosch bewegen. Da ist zunächst el» Quacksalber, welcher einem
Bauern einen Zahn ausreißt. Eine Frau benutzt diese Gelegenheit, um einen
Griff in die Geldtasche des Bauern zu thun. Auf einem zweiten Blatte ist
gleichfalls eine chirurgische Operation dargestellt, die an einem auf der Erde
kauernden Manne vorgenommen wird. Es sind die ersten Schritte ans dein
Wege, den ein Jahrhundert später Adriaen Brouwer und David Teniers der
Jüngere mit größtem Erfolge betraten. An ein Lieblingsgebiet des Hieronymus
Bosch erinnert auch ein Hauptblatt unter den Kupferstichen des Lukas, die
uuter dem Namen der „Eulenspiegel" bekannte wandernde Bettlcrfamilie, deren
Haupt die Sackpfeife bläst, während der älteste Sprößling mit einer Enle auis
der Schulter deu Zug eröffnet. Aber nur in den Stoffe» erinnert Lukas an
Bosch. In der Charakteristik der Figuren und in der Formengebung hält er
sich vou jeder grotesken Übertreibung fern. Er giebt die Natur mit voll¬
kommener Unbefangenheit und mit jener Naivetät wieder, welche das Kenn¬
zeichen des echten Realismus ist.




Musikalische phrasirung.

as musikalische Publikum hat sich allmählich gewöhnt, die An¬
zeigen neuer Klassilcransgaben mit gelindem Gleichmut hinzu-
nehmen. Wir möchten im vorliegende» Fall um eine freundliche
Ansnahme bitten, da eS sich um ein Werk handelt, welches die
musikalisch Fertigen sehr interessiren wird, »ud aus welchem die,
welche das erst noch werden wollen, ungemein viel lernen können. VielleW
knüpft sich an die eben erschienene „PhrasirnngsanSgabe" der Mozartschen So¬
nate»*) eine neue Phase in der Geschichte des Klavierspiels.



*) Hugo Riemcinus Phrasimugscmsgabe. Erster Band. Mozarts Sonaten, Berlin,
Simrock.
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[0418] Musikalische phrastrung. in Kupferstichen, entfaltet hatte. Auch diese tragen mit Ausnahme einer kleinen, bereits von der italienischen Manier beeinflußten Gruppe ein entschieden realistisches Gepräge, und besonders fällt auch auf ihnen die Vorliebe und das feine Gefühl für landschaftliche Reize ans. Wir finden aber bei dem Zeitgenossen PatinirS> der rin dem ersten Landschaftsmaler der Schule sogar um 1521 zusammen in Antwerpen lebte, dessen Glanz auch den holländischen Meister angelockt hatte, keine Neigung zu phantastischen Bildungen, sondern eine treue Beobachtung der wirklichen Natur, wie wir sie bei den ältern Meistern der Schule gesehen haben. Auch unter den Kupferstichen sind einige, welche Genreszenen behandeln. Es ist wohl nicht zufällig, daß dieselben sich ihrem Inhalte »ach in der Richtung des Hieronymus Bosch bewegen. Da ist zunächst el» Quacksalber, welcher einem Bauern einen Zahn ausreißt. Eine Frau benutzt diese Gelegenheit, um einen Griff in die Geldtasche des Bauern zu thun. Auf einem zweiten Blatte ist gleichfalls eine chirurgische Operation dargestellt, die an einem auf der Erde kauernden Manne vorgenommen wird. Es sind die ersten Schritte ans dein Wege, den ein Jahrhundert später Adriaen Brouwer und David Teniers der Jüngere mit größtem Erfolge betraten. An ein Lieblingsgebiet des Hieronymus Bosch erinnert auch ein Hauptblatt unter den Kupferstichen des Lukas, die uuter dem Namen der „Eulenspiegel" bekannte wandernde Bettlcrfamilie, deren Haupt die Sackpfeife bläst, während der älteste Sprößling mit einer Enle auis der Schulter deu Zug eröffnet. Aber nur in den Stoffe» erinnert Lukas an Bosch. In der Charakteristik der Figuren und in der Formengebung hält er sich vou jeder grotesken Übertreibung fern. Er giebt die Natur mit voll¬ kommener Unbefangenheit und mit jener Naivetät wieder, welche das Kenn¬ zeichen des echten Realismus ist. Musikalische phrasirung. as musikalische Publikum hat sich allmählich gewöhnt, die An¬ zeigen neuer Klassilcransgaben mit gelindem Gleichmut hinzu- nehmen. Wir möchten im vorliegende» Fall um eine freundliche Ansnahme bitten, da eS sich um ein Werk handelt, welches die musikalisch Fertigen sehr interessiren wird, »ud aus welchem die, welche das erst noch werden wollen, ungemein viel lernen können. VielleW knüpft sich an die eben erschienene „PhrasirnngsanSgabe" der Mozartschen So¬ nate»*) eine neue Phase in der Geschichte des Klavierspiels. *) Hugo Riemcinus Phrasimugscmsgabe. Erster Band. Mozarts Sonaten, Berlin, Simrock.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/418>, abgerufen am 27.06.2024.