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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Künstler und Kritiker.

anter als jemals zuvor schallt aus den Reihen der Künstler der
Ruf: "Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent!" und
am lautesten hört man ihn zur Zeit in Berlin, wo allerdings die
Künstler mehr als irgendwo Ursache haben, die mahnende Stimme
des schlechten Gewissens durch ein wildes Geschrei zu betäuben.
Wir sind human genug, diesen Grund als mildernden Umstand anzuerkennen
und die Wortführer und den Troß der Beifalljohleudeu zu entschuldigen.
Kann es härtere Schläge für die Einzelnen und für die Masse geben, als sie
das Jahr 1883 den Berliner Künstlern gebracht hat? Eine gänzlich verunglückte
Kunstausstellung in den eignen Mauern, doppelt verunglückt, weil sie dem Pu¬
blikum nichts bot und den Künstlern nichts brachte. Dann der unrühmliche
Kanvssagang nach München, wo die Arbeiten der Berliner Künstler nur dazu
diente", sür die Münchener eine Folie herzugeben. Zwar warf man ihnen das
Almosen einiger Medaillen hin; aber kein ernsthafter Mensch ist über den wahren
Charakter dieser Schmerzenspflastcr getäuscht worden. Der große "Maler der
europäischen Diplomatie und der zeitgenössischen Geschichte" wird wegen seines
Kongreßbildcs von den Künstlern ausgelacht und von den Kritikern wie ein An¬
fänger behandelt, Ist es bei solchem Mißgeschick nicht natürlich, daß dem Be¬
troffenen die Galle überläuft und daß er zur Feder greift, um seinen eignen
Ärger fortzuschreibcn und zugleich als Anwalt derer aufzutreten, welche die Feder
nicht so geschickt zu sichren wissen wie den Pinsel? Und soweit das Auge reicht,
keine Aussicht, die auf künstlerischem Felde erlittenen Niederlagen durch künst¬
lerische Thaten wettzumachen. Da wird auch der sanftmütige Domenichino,
welcher sonst vor den Kritikern den Hut so tief als möglich zieht, zu einem
wütenden Benvenuto Cellini, der mit dem Stilet um sich stößt, nur daß in
unserm zivilisirteu Jahrhundert aus dein Dolche die Feder geworden ist. Und
die bösen Kritiker müssen es i" erster Linie ausbaden, daß die Maler schlechte
Bilder gemalt haben, Sie werden mit dem Instrumente bestraft, durch welches
sie gesündigt haben, weil sie es nicht über ihr Herz bringen konnten, die letzte
Berliner Kunstausstellung für lobwürdig in allen Punkten zu halten. Manche
haben es aus angeborner Gutmütigkeit gleichwohl gethan. Aber das giebt ihnen
keine Absolution. Hier heißt es: Mitgefauge", angehangen! und alle müssen
erbarmungslos über die Klinge der erbitterten Tintorettis springen. Und um
das Maß des Ingrimms noch voll zu machen, tritt gerade in dem Augenblick, wo
die Verstimmung unter den tonangebenden Künstlern auf das höchste gestiegen
ist, das Kultusministerium an den Landtag mit einer außerordentlichen For-


Künstler und Kritiker.

anter als jemals zuvor schallt aus den Reihen der Künstler der
Ruf: „Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent!" und
am lautesten hört man ihn zur Zeit in Berlin, wo allerdings die
Künstler mehr als irgendwo Ursache haben, die mahnende Stimme
des schlechten Gewissens durch ein wildes Geschrei zu betäuben.
Wir sind human genug, diesen Grund als mildernden Umstand anzuerkennen
und die Wortführer und den Troß der Beifalljohleudeu zu entschuldigen.
Kann es härtere Schläge für die Einzelnen und für die Masse geben, als sie
das Jahr 1883 den Berliner Künstlern gebracht hat? Eine gänzlich verunglückte
Kunstausstellung in den eignen Mauern, doppelt verunglückt, weil sie dem Pu¬
blikum nichts bot und den Künstlern nichts brachte. Dann der unrühmliche
Kanvssagang nach München, wo die Arbeiten der Berliner Künstler nur dazu
diente», sür die Münchener eine Folie herzugeben. Zwar warf man ihnen das
Almosen einiger Medaillen hin; aber kein ernsthafter Mensch ist über den wahren
Charakter dieser Schmerzenspflastcr getäuscht worden. Der große „Maler der
europäischen Diplomatie und der zeitgenössischen Geschichte" wird wegen seines
Kongreßbildcs von den Künstlern ausgelacht und von den Kritikern wie ein An¬
fänger behandelt, Ist es bei solchem Mißgeschick nicht natürlich, daß dem Be¬
troffenen die Galle überläuft und daß er zur Feder greift, um seinen eignen
Ärger fortzuschreibcn und zugleich als Anwalt derer aufzutreten, welche die Feder
nicht so geschickt zu sichren wissen wie den Pinsel? Und soweit das Auge reicht,
keine Aussicht, die auf künstlerischem Felde erlittenen Niederlagen durch künst¬
lerische Thaten wettzumachen. Da wird auch der sanftmütige Domenichino,
welcher sonst vor den Kritikern den Hut so tief als möglich zieht, zu einem
wütenden Benvenuto Cellini, der mit dem Stilet um sich stößt, nur daß in
unserm zivilisirteu Jahrhundert aus dein Dolche die Feder geworden ist. Und
die bösen Kritiker müssen es i» erster Linie ausbaden, daß die Maler schlechte
Bilder gemalt haben, Sie werden mit dem Instrumente bestraft, durch welches
sie gesündigt haben, weil sie es nicht über ihr Herz bringen konnten, die letzte
Berliner Kunstausstellung für lobwürdig in allen Punkten zu halten. Manche
haben es aus angeborner Gutmütigkeit gleichwohl gethan. Aber das giebt ihnen
keine Absolution. Hier heißt es: Mitgefauge», angehangen! und alle müssen
erbarmungslos über die Klinge der erbitterten Tintorettis springen. Und um
das Maß des Ingrimms noch voll zu machen, tritt gerade in dem Augenblick, wo
die Verstimmung unter den tonangebenden Künstlern auf das höchste gestiegen
ist, das Kultusministerium an den Landtag mit einer außerordentlichen For-


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[0041] Künstler und Kritiker. anter als jemals zuvor schallt aus den Reihen der Künstler der Ruf: „Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent!" und am lautesten hört man ihn zur Zeit in Berlin, wo allerdings die Künstler mehr als irgendwo Ursache haben, die mahnende Stimme des schlechten Gewissens durch ein wildes Geschrei zu betäuben. Wir sind human genug, diesen Grund als mildernden Umstand anzuerkennen und die Wortführer und den Troß der Beifalljohleudeu zu entschuldigen. Kann es härtere Schläge für die Einzelnen und für die Masse geben, als sie das Jahr 1883 den Berliner Künstlern gebracht hat? Eine gänzlich verunglückte Kunstausstellung in den eignen Mauern, doppelt verunglückt, weil sie dem Pu¬ blikum nichts bot und den Künstlern nichts brachte. Dann der unrühmliche Kanvssagang nach München, wo die Arbeiten der Berliner Künstler nur dazu diente», sür die Münchener eine Folie herzugeben. Zwar warf man ihnen das Almosen einiger Medaillen hin; aber kein ernsthafter Mensch ist über den wahren Charakter dieser Schmerzenspflastcr getäuscht worden. Der große „Maler der europäischen Diplomatie und der zeitgenössischen Geschichte" wird wegen seines Kongreßbildcs von den Künstlern ausgelacht und von den Kritikern wie ein An¬ fänger behandelt, Ist es bei solchem Mißgeschick nicht natürlich, daß dem Be¬ troffenen die Galle überläuft und daß er zur Feder greift, um seinen eignen Ärger fortzuschreibcn und zugleich als Anwalt derer aufzutreten, welche die Feder nicht so geschickt zu sichren wissen wie den Pinsel? Und soweit das Auge reicht, keine Aussicht, die auf künstlerischem Felde erlittenen Niederlagen durch künst¬ lerische Thaten wettzumachen. Da wird auch der sanftmütige Domenichino, welcher sonst vor den Kritikern den Hut so tief als möglich zieht, zu einem wütenden Benvenuto Cellini, der mit dem Stilet um sich stößt, nur daß in unserm zivilisirteu Jahrhundert aus dein Dolche die Feder geworden ist. Und die bösen Kritiker müssen es i» erster Linie ausbaden, daß die Maler schlechte Bilder gemalt haben, Sie werden mit dem Instrumente bestraft, durch welches sie gesündigt haben, weil sie es nicht über ihr Herz bringen konnten, die letzte Berliner Kunstausstellung für lobwürdig in allen Punkten zu halten. Manche haben es aus angeborner Gutmütigkeit gleichwohl gethan. Aber das giebt ihnen keine Absolution. Hier heißt es: Mitgefauge», angehangen! und alle müssen erbarmungslos über die Klinge der erbitterten Tintorettis springen. Und um das Maß des Ingrimms noch voll zu machen, tritt gerade in dem Augenblick, wo die Verstimmung unter den tonangebenden Künstlern auf das höchste gestiegen ist, das Kultusministerium an den Landtag mit einer außerordentlichen For-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/41>, abgerufen am 24.08.2024.