Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Künstler und Kritiker, derung von zwei Millionen Mark zur Vermehrung der königlichen Kunstsamm¬ Die Welt ist kraus und bunt genug, als daß uns eine Thorheit mehr in Wenn man der Theorie oberflächlicher Politiker huldigte, daß kleine Ur¬ Künstler und Kritiker, derung von zwei Millionen Mark zur Vermehrung der königlichen Kunstsamm¬ Die Welt ist kraus und bunt genug, als daß uns eine Thorheit mehr in Wenn man der Theorie oberflächlicher Politiker huldigte, daß kleine Ur¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154925"/> <fw type="header" place="top"> Künstler und Kritiker,</fw><lb/> <p xml:id="ID_89" prev="#ID_88"> derung von zwei Millionen Mark zur Vermehrung der königlichen Kunstsamm¬<lb/> lungen im Museum heran. Jetzt wird auf der ganzen Front der Mißver¬<lb/> gnügten zum Angriff geblasen. Die alten Künstler sind tot, und nur die lebenden<lb/> haben Recht! Wir brauchen keine alten Bilder, wohl aber stecken unsre Ateliers<lb/> voll neuer, und der Staat hat die Verpflichtung, uns diese Bilder für die<lb/> Nationalgalerie und andre öffentliche Sammlungen abzukaufen, damit wir weiter<lb/> malen könne»! Was nützt uns die Bildergalerie? Wir gehen doch nicht hinein,<lb/> weil wir die alten Meister längst überholt haben!</p><lb/> <p xml:id="ID_90"> Die Welt ist kraus und bunt genug, als daß uns eine Thorheit mehr in<lb/> Erstaunen setzen könnte, und auch dieser Streit wird vorübergehen, ohne daß<lb/> an der bestehenden Ordnung der Dinge etwas geändert wird. Der Weise lacht<lb/> schon heute darüber, und nur der Menschenfreund empfindet eine leise Wehmut,<lb/> daß die Leidenschaften von Bosheit und Dummheit im Bunde angestachelt werden,<lb/> um Haß und Zwietracht auszustreuen.</p><lb/> <p xml:id="ID_91" next="#ID_92"> Wenn man der Theorie oberflächlicher Politiker huldigte, daß kleine Ur¬<lb/> sachen große Wirkungen hervorbringen, so könnte man auch hier eine solche<lb/> Ursache namhaft machen, welche den unmittelbaren Anlaß zu dem Sturme<lb/> gegeben hat, der augenblicklich in der Berliner Künstlerschaft tobt. Ein<lb/> Berliner Journalist hat unter dem Pseudonym „Quidam" eine Broschüre<lb/> herausgegeben, in welcher er die Urteile der Berliner Zeitungen über eine An¬<lb/> zahl von Bildern und Skulpturen der letzten Kunstausstellung einander gegen¬<lb/> übergestellt hat, in der Absicht, die Nichtigkeit und Wertlosigkeit der Zeitungs¬<lb/> kritik nachzuweisen, weil die meisten Urteile über dasselbe Bild einander<lb/> widersprechen und der eine ein Bild schlecht gemacht hat, welches der andre<lb/> in den Himmel gehoben. Nichts konnte den Künstlern bei ihrer Mißstimmung<lb/> erwünschter kommen als eine solche Bloßstellung der Kritik. Niemand fragt<lb/> darnach, woher der anonyme Herausgeber die Berechtigung zu einem solchen<lb/> Verfahren habe. Niemand kümmert sich darum, ob die Zusammenstellung eine<lb/> richtige sei. Niemand nimmt Anstoß daran, daß der Herausgeber nicht einmal<lb/> die Kourage besitzt, das Pasquill mit seinem Namen zu decken, sondern alles<lb/> klatscht jubelnd Bravo! und stimmt in das Kreuzige! Kreuzige! ein, mit welchem<lb/> der anonyme Stcgreifsritter seine Betrachtungen schließt. Wer ist Quidam?<lb/> Ein Berliner Journalist, dem dieselbe wohlwollende Kritik, die er heute mit<lb/> Schmutz bewirft, einen Ruf gemacht hat, welchen er erst verdienen soll. Sie<lb/> hat ihn einen „liebenswürdigen Humoristen" genannt, obwohl er sich in den<lb/> plattesten Formen des Berliner Witzes bewegt. Sie hat ihn wegen seiner<lb/> Gelehrsamkeit gerühmt, weil er die wissenschaftlichen Forschungen wirklicher<lb/> Gelehrten für ein breites Publikum in breite Bettelsuppen umkocht. Wer solche<lb/> Erfahrungen gemacht hat, der kann freilich vor der Kritik keine besondre Hoch¬<lb/> achtung haben. Aber er sollte doch aus Dankbarkeit schweigen und sich be¬<lb/> scheiden ducken. Denn dieselbe Kritik, welche heute aus kollcgialischem Auslands-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0042]
Künstler und Kritiker,
derung von zwei Millionen Mark zur Vermehrung der königlichen Kunstsamm¬
lungen im Museum heran. Jetzt wird auf der ganzen Front der Mißver¬
gnügten zum Angriff geblasen. Die alten Künstler sind tot, und nur die lebenden
haben Recht! Wir brauchen keine alten Bilder, wohl aber stecken unsre Ateliers
voll neuer, und der Staat hat die Verpflichtung, uns diese Bilder für die
Nationalgalerie und andre öffentliche Sammlungen abzukaufen, damit wir weiter
malen könne»! Was nützt uns die Bildergalerie? Wir gehen doch nicht hinein,
weil wir die alten Meister längst überholt haben!
Die Welt ist kraus und bunt genug, als daß uns eine Thorheit mehr in
Erstaunen setzen könnte, und auch dieser Streit wird vorübergehen, ohne daß
an der bestehenden Ordnung der Dinge etwas geändert wird. Der Weise lacht
schon heute darüber, und nur der Menschenfreund empfindet eine leise Wehmut,
daß die Leidenschaften von Bosheit und Dummheit im Bunde angestachelt werden,
um Haß und Zwietracht auszustreuen.
Wenn man der Theorie oberflächlicher Politiker huldigte, daß kleine Ur¬
sachen große Wirkungen hervorbringen, so könnte man auch hier eine solche
Ursache namhaft machen, welche den unmittelbaren Anlaß zu dem Sturme
gegeben hat, der augenblicklich in der Berliner Künstlerschaft tobt. Ein
Berliner Journalist hat unter dem Pseudonym „Quidam" eine Broschüre
herausgegeben, in welcher er die Urteile der Berliner Zeitungen über eine An¬
zahl von Bildern und Skulpturen der letzten Kunstausstellung einander gegen¬
übergestellt hat, in der Absicht, die Nichtigkeit und Wertlosigkeit der Zeitungs¬
kritik nachzuweisen, weil die meisten Urteile über dasselbe Bild einander
widersprechen und der eine ein Bild schlecht gemacht hat, welches der andre
in den Himmel gehoben. Nichts konnte den Künstlern bei ihrer Mißstimmung
erwünschter kommen als eine solche Bloßstellung der Kritik. Niemand fragt
darnach, woher der anonyme Herausgeber die Berechtigung zu einem solchen
Verfahren habe. Niemand kümmert sich darum, ob die Zusammenstellung eine
richtige sei. Niemand nimmt Anstoß daran, daß der Herausgeber nicht einmal
die Kourage besitzt, das Pasquill mit seinem Namen zu decken, sondern alles
klatscht jubelnd Bravo! und stimmt in das Kreuzige! Kreuzige! ein, mit welchem
der anonyme Stcgreifsritter seine Betrachtungen schließt. Wer ist Quidam?
Ein Berliner Journalist, dem dieselbe wohlwollende Kritik, die er heute mit
Schmutz bewirft, einen Ruf gemacht hat, welchen er erst verdienen soll. Sie
hat ihn einen „liebenswürdigen Humoristen" genannt, obwohl er sich in den
plattesten Formen des Berliner Witzes bewegt. Sie hat ihn wegen seiner
Gelehrsamkeit gerühmt, weil er die wissenschaftlichen Forschungen wirklicher
Gelehrten für ein breites Publikum in breite Bettelsuppen umkocht. Wer solche
Erfahrungen gemacht hat, der kann freilich vor der Kritik keine besondre Hoch¬
achtung haben. Aber er sollte doch aus Dankbarkeit schweigen und sich be¬
scheiden ducken. Denn dieselbe Kritik, welche heute aus kollcgialischem Auslands-
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