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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei,

aus Mailand, 24, Mai 1788): dennoch aber ist die "Italienische Reise" reich an
Blicken auch auf die Landschaft und deren wechselnde Gestalt; wir begangen
uns eine Stelle herzusetzen, die in allgemeinen Zügen zusammenfaßt, wie sie ihm
erschienen (Rom, 24. November 1787): "Es ist ein Glanz und zugleich eine
Harmonie, eine Abstufung im ganzen, wovon man nordwärts gar keinen Begriff
hat: bei euch ist alles entweder hart oder trüb, bunt oder eintönig." Und doch
mochte er, der fleißige Zeichner, der mit seiner Mappe soviel Aussichtspunkte
gesucht, der Geolog und Mineralog, der mit seinem Hammer soviel Klüfte durch¬
klettert, der Jahre laug i" Wäldern und Bergen, auf Wanderungen und in seinem
Garten, in den öden Flächen des nordwestlichen Deutschlands wie in der Schweiz
und am Rhein und Main, mit Himmel und Erde gelebt hatte -- er mochte
wohl wissen, was er sagte, und sich ohne Überhebung ein vergleichendes Urteil
erlauben. Von Jugend ans war ihm ja, um seine eignen Worte zu brauchen,
"die Natur in ihrer Herrlichkeit erschienen" und "er gehörte ihr an, wie sie ihm,"
und seine Abhängigkeit vom Wetter, vom Boden, von der Jahreszeit, sein An¬
schluß an das Leben der allgemeinen Natur war nnr, wie Adolf scholl so schön
sagt, "die physische Seite seiner Genialität."




Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.
von Adolf Rosenberg. 2.

Sie ersten Landschaftsmaler, -- (ZZmntin Massijs, Bosch n"d Lukas von Leyden.

cum Wir die Entwicklung der niederländischen Malerei nach dem
Tode Jans van Esel von rein technischen Gesichtspunkten be¬
trachten, können wir "us der Wahrnehmung nicht verschließen, daß
diese Entwicklung mehr abwärts als aufwärts führt. Die Thätig¬
keit der Maler, welche in Tonrnah, Brüssel, Löwen und Brügge
wirkten, konzentrirt sich mehr ans die Darstellung des Seelenlebens, auf deu Aus¬
druck der Gemütsaffekte. Wir begegnen also der ganz natürlichen Erscheinung,
daß die ideale Auffassung gegen die realistische reagirt, ohne dieselbe jedoch ganz
aufheben zu wollen. Roger van der Westen, das Haupt dieser Richtung, liebte
Kleiderpracht und prunkenden Apparat ebenso sehr wie Jan van Esel. Aber
über dem Bestreben, seine Gestalten zu Trägern von erregten, aus der Tiefe
des Gemüts emporquellenden Stimmungen zu machen, vernachlässigte er das
Körperliche. Seine Figuren sind ohne Rücksicht auf ebenmüßige Verhältnisse


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei,

aus Mailand, 24, Mai 1788): dennoch aber ist die „Italienische Reise" reich an
Blicken auch auf die Landschaft und deren wechselnde Gestalt; wir begangen
uns eine Stelle herzusetzen, die in allgemeinen Zügen zusammenfaßt, wie sie ihm
erschienen (Rom, 24. November 1787): „Es ist ein Glanz und zugleich eine
Harmonie, eine Abstufung im ganzen, wovon man nordwärts gar keinen Begriff
hat: bei euch ist alles entweder hart oder trüb, bunt oder eintönig." Und doch
mochte er, der fleißige Zeichner, der mit seiner Mappe soviel Aussichtspunkte
gesucht, der Geolog und Mineralog, der mit seinem Hammer soviel Klüfte durch¬
klettert, der Jahre laug i» Wäldern und Bergen, auf Wanderungen und in seinem
Garten, in den öden Flächen des nordwestlichen Deutschlands wie in der Schweiz
und am Rhein und Main, mit Himmel und Erde gelebt hatte — er mochte
wohl wissen, was er sagte, und sich ohne Überhebung ein vergleichendes Urteil
erlauben. Von Jugend ans war ihm ja, um seine eignen Worte zu brauchen,
„die Natur in ihrer Herrlichkeit erschienen" und „er gehörte ihr an, wie sie ihm,"
und seine Abhängigkeit vom Wetter, vom Boden, von der Jahreszeit, sein An¬
schluß an das Leben der allgemeinen Natur war nnr, wie Adolf scholl so schön
sagt, „die physische Seite seiner Genialität."




Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.
von Adolf Rosenberg. 2.

Sie ersten Landschaftsmaler, — (ZZmntin Massijs, Bosch n»d Lukas von Leyden.

cum Wir die Entwicklung der niederländischen Malerei nach dem
Tode Jans van Esel von rein technischen Gesichtspunkten be¬
trachten, können wir »us der Wahrnehmung nicht verschließen, daß
diese Entwicklung mehr abwärts als aufwärts führt. Die Thätig¬
keit der Maler, welche in Tonrnah, Brüssel, Löwen und Brügge
wirkten, konzentrirt sich mehr ans die Darstellung des Seelenlebens, auf deu Aus¬
druck der Gemütsaffekte. Wir begegnen also der ganz natürlichen Erscheinung,
daß die ideale Auffassung gegen die realistische reagirt, ohne dieselbe jedoch ganz
aufheben zu wollen. Roger van der Westen, das Haupt dieser Richtung, liebte
Kleiderpracht und prunkenden Apparat ebenso sehr wie Jan van Esel. Aber
über dem Bestreben, seine Gestalten zu Trägern von erregten, aus der Tiefe
des Gemüts emporquellenden Stimmungen zu machen, vernachlässigte er das
Körperliche. Seine Figuren sind ohne Rücksicht auf ebenmüßige Verhältnisse


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[0406] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei, aus Mailand, 24, Mai 1788): dennoch aber ist die „Italienische Reise" reich an Blicken auch auf die Landschaft und deren wechselnde Gestalt; wir begangen uns eine Stelle herzusetzen, die in allgemeinen Zügen zusammenfaßt, wie sie ihm erschienen (Rom, 24. November 1787): „Es ist ein Glanz und zugleich eine Harmonie, eine Abstufung im ganzen, wovon man nordwärts gar keinen Begriff hat: bei euch ist alles entweder hart oder trüb, bunt oder eintönig." Und doch mochte er, der fleißige Zeichner, der mit seiner Mappe soviel Aussichtspunkte gesucht, der Geolog und Mineralog, der mit seinem Hammer soviel Klüfte durch¬ klettert, der Jahre laug i» Wäldern und Bergen, auf Wanderungen und in seinem Garten, in den öden Flächen des nordwestlichen Deutschlands wie in der Schweiz und am Rhein und Main, mit Himmel und Erde gelebt hatte — er mochte wohl wissen, was er sagte, und sich ohne Überhebung ein vergleichendes Urteil erlauben. Von Jugend ans war ihm ja, um seine eignen Worte zu brauchen, „die Natur in ihrer Herrlichkeit erschienen" und „er gehörte ihr an, wie sie ihm," und seine Abhängigkeit vom Wetter, vom Boden, von der Jahreszeit, sein An¬ schluß an das Leben der allgemeinen Natur war nnr, wie Adolf scholl so schön sagt, „die physische Seite seiner Genialität." Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. von Adolf Rosenberg. 2. Sie ersten Landschaftsmaler, — (ZZmntin Massijs, Bosch n»d Lukas von Leyden. cum Wir die Entwicklung der niederländischen Malerei nach dem Tode Jans van Esel von rein technischen Gesichtspunkten be¬ trachten, können wir »us der Wahrnehmung nicht verschließen, daß diese Entwicklung mehr abwärts als aufwärts führt. Die Thätig¬ keit der Maler, welche in Tonrnah, Brüssel, Löwen und Brügge wirkten, konzentrirt sich mehr ans die Darstellung des Seelenlebens, auf deu Aus¬ druck der Gemütsaffekte. Wir begegnen also der ganz natürlichen Erscheinung, daß die ideale Auffassung gegen die realistische reagirt, ohne dieselbe jedoch ganz aufheben zu wollen. Roger van der Westen, das Haupt dieser Richtung, liebte Kleiderpracht und prunkenden Apparat ebenso sehr wie Jan van Esel. Aber über dem Bestreben, seine Gestalten zu Trägern von erregten, aus der Tiefe des Gemüts emporquellenden Stimmungen zu machen, vernachlässigte er das Körperliche. Seine Figuren sind ohne Rücksicht auf ebenmüßige Verhältnisse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/406>, abgerufen am 27.06.2024.