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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Mode und Patriotismus.

le ausgesuchte Pöbelhaftigkeit, zu welcher sich die französische
Höflichkeit neuerdings wieder gegen Deutschland und ganz be¬
sonders gegen die deutschen Frauen aufgeschwungen hat, ist
mehrfach zum Anlaß genommen worden, den Frauen über ihre
freiwillige Unterwerfung unter die französische Mode Vorhal¬
tungen zu machen. Mit Beziehung hierauf setzt nun in eiuer Berliner Zeitung
jemand im Anschluß an einen Aufsatz von Friedrich List auseinander, daß
das Abschütteln der Herrschaft der französischen Mode kein so einfaches Ding
sei, daß es der Zukunft überlassen werden müsse, ob diese Befreiung überhaupt
und in welcher Weise sie vvrsichgehcn werde, "in der Gegenwart aber Verstand
und Ritterlichkeit gleichermaßen gebieten, die deutsche Frau nicht mit unver¬
dienten Vorwürfen zu kränken."

Der Artikel enthält unverkennbar viel wahres, aber auch wir erlauben
uns dem Verfasser zu entgegnen: so einfach ist die Sache nicht abgethan.
Wen" der in den vierziger Jahren von einem deutschen Schriftsteller unter¬
nommene Versuch, die Deutschen für eine deutsche Mode zu gewinnen, mißglückt
ist, so haben wir in viel späterer Zeit mit angesehen, wie andre Nationen sich
wirklich von der Kleidermode emanzipirt haben. In dem einen Falle täuschte
sich der Erfinder der neuen Tracht über den Einfluß seiner Person und seines
Blattes, aber auch über die Stimmung seiner Nation: irren wir nicht, so fiel
jene Episode in das Jahr 1844, eine Zeit schönster Blüte des Kosmopolitismus.
In dem andern Falle, bei Polen, Magyaren u. s. w., war die Agitation gegen
alles Fremde, mithin auch die fremde Kleidung, zugleich Ausfluß der nationalen
Bewegung und Mittel zu deren Ausbreitung. Diese Völker griffen zurück zu
einer Nationaltracht, deren Echtheit nicht außer allem Zweifel steht (wenigstens
behaupten die Kroaten, die sogenannte ungarische Nationaltracht sei eigentlich
ihr Eigentum), die jedoch für längere Zeit ihren Dienst leistete. Sogar für
überraschend lange Zeit. Denn daß man eine fertige, in allen Einzelheiten
ausgebildete Tracht zur Verfügung hatte, erleichterte zwar ungemein die Ver¬
drängung der französischen (oder, wie man sich einredete, deutschen) Tracht,
sicherte aber auch dieser die baldige Wiedereinführung. Die Tonangeber hatten
übersehen oder absichtlich ignorirt, daß die Mode nur durch die Mode dauernd
überwunden werden kann, die Industrie und die Frauen verlangten Abwechslung,
die aber eine solche wieder ausgegrabene Nationaltracht nicht zuläßt. Und da
außerdem nach einer Reihe von Jahren es nicht mehr notwendig war, den
"engeren" Patriotismus durch derartige Mittel zu schüren und zu stärken,


Mode und Patriotismus.

le ausgesuchte Pöbelhaftigkeit, zu welcher sich die französische
Höflichkeit neuerdings wieder gegen Deutschland und ganz be¬
sonders gegen die deutschen Frauen aufgeschwungen hat, ist
mehrfach zum Anlaß genommen worden, den Frauen über ihre
freiwillige Unterwerfung unter die französische Mode Vorhal¬
tungen zu machen. Mit Beziehung hierauf setzt nun in eiuer Berliner Zeitung
jemand im Anschluß an einen Aufsatz von Friedrich List auseinander, daß
das Abschütteln der Herrschaft der französischen Mode kein so einfaches Ding
sei, daß es der Zukunft überlassen werden müsse, ob diese Befreiung überhaupt
und in welcher Weise sie vvrsichgehcn werde, „in der Gegenwart aber Verstand
und Ritterlichkeit gleichermaßen gebieten, die deutsche Frau nicht mit unver¬
dienten Vorwürfen zu kränken."

Der Artikel enthält unverkennbar viel wahres, aber auch wir erlauben
uns dem Verfasser zu entgegnen: so einfach ist die Sache nicht abgethan.
Wen» der in den vierziger Jahren von einem deutschen Schriftsteller unter¬
nommene Versuch, die Deutschen für eine deutsche Mode zu gewinnen, mißglückt
ist, so haben wir in viel späterer Zeit mit angesehen, wie andre Nationen sich
wirklich von der Kleidermode emanzipirt haben. In dem einen Falle täuschte
sich der Erfinder der neuen Tracht über den Einfluß seiner Person und seines
Blattes, aber auch über die Stimmung seiner Nation: irren wir nicht, so fiel
jene Episode in das Jahr 1844, eine Zeit schönster Blüte des Kosmopolitismus.
In dem andern Falle, bei Polen, Magyaren u. s. w., war die Agitation gegen
alles Fremde, mithin auch die fremde Kleidung, zugleich Ausfluß der nationalen
Bewegung und Mittel zu deren Ausbreitung. Diese Völker griffen zurück zu
einer Nationaltracht, deren Echtheit nicht außer allem Zweifel steht (wenigstens
behaupten die Kroaten, die sogenannte ungarische Nationaltracht sei eigentlich
ihr Eigentum), die jedoch für längere Zeit ihren Dienst leistete. Sogar für
überraschend lange Zeit. Denn daß man eine fertige, in allen Einzelheiten
ausgebildete Tracht zur Verfügung hatte, erleichterte zwar ungemein die Ver¬
drängung der französischen (oder, wie man sich einredete, deutschen) Tracht,
sicherte aber auch dieser die baldige Wiedereinführung. Die Tonangeber hatten
übersehen oder absichtlich ignorirt, daß die Mode nur durch die Mode dauernd
überwunden werden kann, die Industrie und die Frauen verlangten Abwechslung,
die aber eine solche wieder ausgegrabene Nationaltracht nicht zuläßt. Und da
außerdem nach einer Reihe von Jahren es nicht mehr notwendig war, den
„engeren" Patriotismus durch derartige Mittel zu schüren und zu stärken,


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[0359] Mode und Patriotismus. le ausgesuchte Pöbelhaftigkeit, zu welcher sich die französische Höflichkeit neuerdings wieder gegen Deutschland und ganz be¬ sonders gegen die deutschen Frauen aufgeschwungen hat, ist mehrfach zum Anlaß genommen worden, den Frauen über ihre freiwillige Unterwerfung unter die französische Mode Vorhal¬ tungen zu machen. Mit Beziehung hierauf setzt nun in eiuer Berliner Zeitung jemand im Anschluß an einen Aufsatz von Friedrich List auseinander, daß das Abschütteln der Herrschaft der französischen Mode kein so einfaches Ding sei, daß es der Zukunft überlassen werden müsse, ob diese Befreiung überhaupt und in welcher Weise sie vvrsichgehcn werde, „in der Gegenwart aber Verstand und Ritterlichkeit gleichermaßen gebieten, die deutsche Frau nicht mit unver¬ dienten Vorwürfen zu kränken." Der Artikel enthält unverkennbar viel wahres, aber auch wir erlauben uns dem Verfasser zu entgegnen: so einfach ist die Sache nicht abgethan. Wen» der in den vierziger Jahren von einem deutschen Schriftsteller unter¬ nommene Versuch, die Deutschen für eine deutsche Mode zu gewinnen, mißglückt ist, so haben wir in viel späterer Zeit mit angesehen, wie andre Nationen sich wirklich von der Kleidermode emanzipirt haben. In dem einen Falle täuschte sich der Erfinder der neuen Tracht über den Einfluß seiner Person und seines Blattes, aber auch über die Stimmung seiner Nation: irren wir nicht, so fiel jene Episode in das Jahr 1844, eine Zeit schönster Blüte des Kosmopolitismus. In dem andern Falle, bei Polen, Magyaren u. s. w., war die Agitation gegen alles Fremde, mithin auch die fremde Kleidung, zugleich Ausfluß der nationalen Bewegung und Mittel zu deren Ausbreitung. Diese Völker griffen zurück zu einer Nationaltracht, deren Echtheit nicht außer allem Zweifel steht (wenigstens behaupten die Kroaten, die sogenannte ungarische Nationaltracht sei eigentlich ihr Eigentum), die jedoch für längere Zeit ihren Dienst leistete. Sogar für überraschend lange Zeit. Denn daß man eine fertige, in allen Einzelheiten ausgebildete Tracht zur Verfügung hatte, erleichterte zwar ungemein die Ver¬ drängung der französischen (oder, wie man sich einredete, deutschen) Tracht, sicherte aber auch dieser die baldige Wiedereinführung. Die Tonangeber hatten übersehen oder absichtlich ignorirt, daß die Mode nur durch die Mode dauernd überwunden werden kann, die Industrie und die Frauen verlangten Abwechslung, die aber eine solche wieder ausgegrabene Nationaltracht nicht zuläßt. Und da außerdem nach einer Reihe von Jahren es nicht mehr notwendig war, den „engeren" Patriotismus durch derartige Mittel zu schüren und zu stärken,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/359>, abgerufen am 27.06.2024.