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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

für den Mittagstisch noch ausrichten zu müssen, und wenn sie deshalb Hermine
mit dem Amerikaner, dessen Lippen immer schon wie zu einer Liebeserklärung
geöffnet waren, an der Feigenwand allein ließ, gerade angesichts der bekritzelten
und punktirten Zierkürbisse, da war es fast unmöglich, daß die Hieroglyphen¬
schrift auf letztern nicht zu einem Frage- und Antwortspiel führte.

Und so kam es denn auch, und unversehens geriet man weiter, nämlich
weiblicherseits bis zum Stottern und Erröten und männlicherseits bis zum
kühnen Ergreifen einer widerstrebenden Hand und zum noch kühnerem festen
Umschlingen des lieben Mädchens, dem Bertholds volles Herz in diesem Augen¬
blicke mit der ganzen Glut einer überströmenden Empfindung entgcgenschlug.

Und so fand das alte Ehepaar denn beide Hand in Hand, Hermine zwar
in Thränen gebadet, aber nur umso reizender, Berthold strahlend vor Sieger-
bewußtsein und Wonne, wenn auch Übergossen von jenem bittersüßen Verlegen¬
heitsausdruck, der sich jedes mit trocknen Augen dastehenden Mannes bemächtigt,
an dessen Seite ein geliebtes Wesen sich in Thränen Luft macht.

An diesem Tage öffnete Kaspar Benedikt zwei Flaschen Johannisberger
und zwei Flaschen Lafitte, mit denen er, als dem besten, was sein reicher Wein¬
keller enthielt, lange geliebäugelt hatte, und vorbehaltlich der Zustimmung der
-- wie Kaspar Benedikts Trinkspruch es ausdrückte -- "schanmentstiegenen Mama
Mockritz" wurde auf die Verlobten so lange angestoßen, bis Papa Hartigs
Augen ganz gläsern aussahen und Mama Hartigs Haube auf dem linken
Ohre saß.

Als man sich vom Tische erhob, mußte Berthold seine Braut noch überdies an
den Flügel führen, damit sie das Lieblingsstück der Mama Hartig, den Hochzeits¬
marsch aus dem "Sommernachtstraum/' als Nachtisch zum besten gebe, und während
der letzten Takte nickten die beiden Alten in ihren Renaissance-Sorgenstühlen ein,
worauf Hermine ihren Bräutigam in das orangenblütenduftige Oktogon zog und
dort in sehr ausgelassener Stimmung -- denn Botho von Falkenberg und Prinz
Ottokar tanzten ihr wild vor den Augen -- mit ihm eine Beichtsitzung vor¬
nahm, in der alle die schönen Mädchen, die ihm je gefährlich geworden seien,
wie sie verlangte. Revue passiren sollten.




Giftes Aapitel.

Der berühmte Verfasser des Pantagruel sagt einmal etwa folgendes -- wört¬
lich ist er nicht immer zu zitiren --: Pannrge hatte die Schäferdirnen mit
fliegendem Haar und einem beim Sitzen auf freiem Wiesenboden ihnen angeflo¬
genen Quendelduft lieber als die bisamriechenden Damen. Kurzum: sein Pa¬
nnrge liebte das Natürliche.

Es passirt zuweilen, daß dies Natürliche um seiner Natürlichkeit willen
noch nicht das Gute und einem reinen Gemüte sympathische ist.


Auf der Leiter des Glücks.

für den Mittagstisch noch ausrichten zu müssen, und wenn sie deshalb Hermine
mit dem Amerikaner, dessen Lippen immer schon wie zu einer Liebeserklärung
geöffnet waren, an der Feigenwand allein ließ, gerade angesichts der bekritzelten
und punktirten Zierkürbisse, da war es fast unmöglich, daß die Hieroglyphen¬
schrift auf letztern nicht zu einem Frage- und Antwortspiel führte.

Und so kam es denn auch, und unversehens geriet man weiter, nämlich
weiblicherseits bis zum Stottern und Erröten und männlicherseits bis zum
kühnen Ergreifen einer widerstrebenden Hand und zum noch kühnerem festen
Umschlingen des lieben Mädchens, dem Bertholds volles Herz in diesem Augen¬
blicke mit der ganzen Glut einer überströmenden Empfindung entgcgenschlug.

Und so fand das alte Ehepaar denn beide Hand in Hand, Hermine zwar
in Thränen gebadet, aber nur umso reizender, Berthold strahlend vor Sieger-
bewußtsein und Wonne, wenn auch Übergossen von jenem bittersüßen Verlegen¬
heitsausdruck, der sich jedes mit trocknen Augen dastehenden Mannes bemächtigt,
an dessen Seite ein geliebtes Wesen sich in Thränen Luft macht.

An diesem Tage öffnete Kaspar Benedikt zwei Flaschen Johannisberger
und zwei Flaschen Lafitte, mit denen er, als dem besten, was sein reicher Wein¬
keller enthielt, lange geliebäugelt hatte, und vorbehaltlich der Zustimmung der
— wie Kaspar Benedikts Trinkspruch es ausdrückte — „schanmentstiegenen Mama
Mockritz" wurde auf die Verlobten so lange angestoßen, bis Papa Hartigs
Augen ganz gläsern aussahen und Mama Hartigs Haube auf dem linken
Ohre saß.

Als man sich vom Tische erhob, mußte Berthold seine Braut noch überdies an
den Flügel führen, damit sie das Lieblingsstück der Mama Hartig, den Hochzeits¬
marsch aus dem „Sommernachtstraum/' als Nachtisch zum besten gebe, und während
der letzten Takte nickten die beiden Alten in ihren Renaissance-Sorgenstühlen ein,
worauf Hermine ihren Bräutigam in das orangenblütenduftige Oktogon zog und
dort in sehr ausgelassener Stimmung — denn Botho von Falkenberg und Prinz
Ottokar tanzten ihr wild vor den Augen — mit ihm eine Beichtsitzung vor¬
nahm, in der alle die schönen Mädchen, die ihm je gefährlich geworden seien,
wie sie verlangte. Revue passiren sollten.




Giftes Aapitel.

Der berühmte Verfasser des Pantagruel sagt einmal etwa folgendes — wört¬
lich ist er nicht immer zu zitiren —: Pannrge hatte die Schäferdirnen mit
fliegendem Haar und einem beim Sitzen auf freiem Wiesenboden ihnen angeflo¬
genen Quendelduft lieber als die bisamriechenden Damen. Kurzum: sein Pa¬
nnrge liebte das Natürliche.

Es passirt zuweilen, daß dies Natürliche um seiner Natürlichkeit willen
noch nicht das Gute und einem reinen Gemüte sympathische ist.


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[0277] Auf der Leiter des Glücks. für den Mittagstisch noch ausrichten zu müssen, und wenn sie deshalb Hermine mit dem Amerikaner, dessen Lippen immer schon wie zu einer Liebeserklärung geöffnet waren, an der Feigenwand allein ließ, gerade angesichts der bekritzelten und punktirten Zierkürbisse, da war es fast unmöglich, daß die Hieroglyphen¬ schrift auf letztern nicht zu einem Frage- und Antwortspiel führte. Und so kam es denn auch, und unversehens geriet man weiter, nämlich weiblicherseits bis zum Stottern und Erröten und männlicherseits bis zum kühnen Ergreifen einer widerstrebenden Hand und zum noch kühnerem festen Umschlingen des lieben Mädchens, dem Bertholds volles Herz in diesem Augen¬ blicke mit der ganzen Glut einer überströmenden Empfindung entgcgenschlug. Und so fand das alte Ehepaar denn beide Hand in Hand, Hermine zwar in Thränen gebadet, aber nur umso reizender, Berthold strahlend vor Sieger- bewußtsein und Wonne, wenn auch Übergossen von jenem bittersüßen Verlegen¬ heitsausdruck, der sich jedes mit trocknen Augen dastehenden Mannes bemächtigt, an dessen Seite ein geliebtes Wesen sich in Thränen Luft macht. An diesem Tage öffnete Kaspar Benedikt zwei Flaschen Johannisberger und zwei Flaschen Lafitte, mit denen er, als dem besten, was sein reicher Wein¬ keller enthielt, lange geliebäugelt hatte, und vorbehaltlich der Zustimmung der — wie Kaspar Benedikts Trinkspruch es ausdrückte — „schanmentstiegenen Mama Mockritz" wurde auf die Verlobten so lange angestoßen, bis Papa Hartigs Augen ganz gläsern aussahen und Mama Hartigs Haube auf dem linken Ohre saß. Als man sich vom Tische erhob, mußte Berthold seine Braut noch überdies an den Flügel führen, damit sie das Lieblingsstück der Mama Hartig, den Hochzeits¬ marsch aus dem „Sommernachtstraum/' als Nachtisch zum besten gebe, und während der letzten Takte nickten die beiden Alten in ihren Renaissance-Sorgenstühlen ein, worauf Hermine ihren Bräutigam in das orangenblütenduftige Oktogon zog und dort in sehr ausgelassener Stimmung — denn Botho von Falkenberg und Prinz Ottokar tanzten ihr wild vor den Augen — mit ihm eine Beichtsitzung vor¬ nahm, in der alle die schönen Mädchen, die ihm je gefährlich geworden seien, wie sie verlangte. Revue passiren sollten. Giftes Aapitel. Der berühmte Verfasser des Pantagruel sagt einmal etwa folgendes — wört¬ lich ist er nicht immer zu zitiren —: Pannrge hatte die Schäferdirnen mit fliegendem Haar und einem beim Sitzen auf freiem Wiesenboden ihnen angeflo¬ genen Quendelduft lieber als die bisamriechenden Damen. Kurzum: sein Pa¬ nnrge liebte das Natürliche. Es passirt zuweilen, daß dies Natürliche um seiner Natürlichkeit willen noch nicht das Gute und einem reinen Gemüte sympathische ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/277>, abgerufen am 27.06.2024.