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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

In der That wurde mit Lore abends von Villa Mvckritz nach Villa Anna
übergesiedelt. Lore hießen in jener Gegend so ziemlich alle Kammerjungfern
und Papageien, und Fräulein von Mockritz hatte im Umläufen der jungen
Person umsoweniger von der Regel abweichen wollen, als der eigentliche Name
Lores, nämlich Elise, auch der Name der Verstorbenen gewesen war. Über ihr
Äußeres ließ sich wenig sagen. Lore war neben Fräulein von Mockritz für den
oberflächlichen Beobachter etwa wie der Mond neben der Sonne, und zwar das
verblaßte letzte Viertel, nach welchem man nicht aufschaut. Aber dieser Eindruck
wurde vorwiegend durch Nebensächliches hervorgebracht, durch ihre fast hcrrn-
hutische Kleidung, durch ihre schlichte, enganschließende Haube und durch Verab¬
säumung alles schmückenden Beiwerks. Sie trug weder Ringe an den Ohren
noch am Finger, noch eine Brosche oder eine Schleife am Busen, sodaß Fräu¬
lein von Mockritz ihr schon vorgeworfen hatte, sie gehe noch schmuckloser als
es für eine Dienende nötig sei, und Frau von Mockritz werde bei ihrem An¬
blick vielleicht hypochondrischer Laune verfallen. Für ein herzlicher teilnahm¬
volles Auge hätten die Blässe Lores und die Art, wie sie bemüht war, nie¬
mandes Aufmerksamkeit zu erregen, wohl die Vermutung erregen können, sie sei
durch die Schule schwerer Heimsuchungen gegangen, habe einst, wie ihre Sprache,
ihre Haltung und ihre Bewegungen auch verrieten, bessere Tage gekannt, und
sei, obschon noch jung, mit ihren eigentlichen Lcbensansprüchen schon zum Ab¬
schluß gekommen. Der Denkweise Herminens lag es näher, an etwas wie einen
eaux Ms zu denken, für welchen die junge Person Buße thun zu müssen glaube.
Sie hoffte, im Laufe der Zeit sie heiterer werden zu sehen und ließ sich, aus
der guten Absicht, die allzu rigorosem Grillen der armen Person zu zerstreuen,
zuweilen im Gespräch mit ihr mehr gehen, als im Grunde ihr selbst recht schien;
doch war Lore noch nie auf den solcherart von ihrer Herrin angeschlagenen
leichtlebigen Ton eingegangen, wie sie auch nur ausweichend antwortete, wenn
Hermine fragte, wie lange Lore mit der Verstorbenen bekannt gewesen, und auf
welche Veranlassung -- ob etwa ans eine konfessionelle Sitte? -- das freund¬
schaftliche Du zwischen beiden zurückzuführen gewesen sei?

So war die Pflegerin Lore beschaffen. Sie wäre, wenn Fräulein von
Mockritz ihr erlaubt hätte, Trauer zu tragen, eine geradezu nonnenhcifte Er¬
scheinung gewesen. Aber aus Rücksichten auf Frau von Mockritz, die gern helle
Farben liebte, hatte Hermine selbst nur für wenige Wochen schwarze Kleider
angelegt, und Lore trauern zu lassen, hatte daher, nach Herminens Meinung,
keinen Sinn.




Siebentes Aapitel.

In den beiden nun folgenden Kapiteln werden, wie ich voraussehe, zwei
junge Frauenzimmer geküßt werden. Ich teile das schon hier mit, damit die


Auf der Leiter des Glücks.

In der That wurde mit Lore abends von Villa Mvckritz nach Villa Anna
übergesiedelt. Lore hießen in jener Gegend so ziemlich alle Kammerjungfern
und Papageien, und Fräulein von Mockritz hatte im Umläufen der jungen
Person umsoweniger von der Regel abweichen wollen, als der eigentliche Name
Lores, nämlich Elise, auch der Name der Verstorbenen gewesen war. Über ihr
Äußeres ließ sich wenig sagen. Lore war neben Fräulein von Mockritz für den
oberflächlichen Beobachter etwa wie der Mond neben der Sonne, und zwar das
verblaßte letzte Viertel, nach welchem man nicht aufschaut. Aber dieser Eindruck
wurde vorwiegend durch Nebensächliches hervorgebracht, durch ihre fast hcrrn-
hutische Kleidung, durch ihre schlichte, enganschließende Haube und durch Verab¬
säumung alles schmückenden Beiwerks. Sie trug weder Ringe an den Ohren
noch am Finger, noch eine Brosche oder eine Schleife am Busen, sodaß Fräu¬
lein von Mockritz ihr schon vorgeworfen hatte, sie gehe noch schmuckloser als
es für eine Dienende nötig sei, und Frau von Mockritz werde bei ihrem An¬
blick vielleicht hypochondrischer Laune verfallen. Für ein herzlicher teilnahm¬
volles Auge hätten die Blässe Lores und die Art, wie sie bemüht war, nie¬
mandes Aufmerksamkeit zu erregen, wohl die Vermutung erregen können, sie sei
durch die Schule schwerer Heimsuchungen gegangen, habe einst, wie ihre Sprache,
ihre Haltung und ihre Bewegungen auch verrieten, bessere Tage gekannt, und
sei, obschon noch jung, mit ihren eigentlichen Lcbensansprüchen schon zum Ab¬
schluß gekommen. Der Denkweise Herminens lag es näher, an etwas wie einen
eaux Ms zu denken, für welchen die junge Person Buße thun zu müssen glaube.
Sie hoffte, im Laufe der Zeit sie heiterer werden zu sehen und ließ sich, aus
der guten Absicht, die allzu rigorosem Grillen der armen Person zu zerstreuen,
zuweilen im Gespräch mit ihr mehr gehen, als im Grunde ihr selbst recht schien;
doch war Lore noch nie auf den solcherart von ihrer Herrin angeschlagenen
leichtlebigen Ton eingegangen, wie sie auch nur ausweichend antwortete, wenn
Hermine fragte, wie lange Lore mit der Verstorbenen bekannt gewesen, und auf
welche Veranlassung — ob etwa ans eine konfessionelle Sitte? — das freund¬
schaftliche Du zwischen beiden zurückzuführen gewesen sei?

So war die Pflegerin Lore beschaffen. Sie wäre, wenn Fräulein von
Mockritz ihr erlaubt hätte, Trauer zu tragen, eine geradezu nonnenhcifte Er¬
scheinung gewesen. Aber aus Rücksichten auf Frau von Mockritz, die gern helle
Farben liebte, hatte Hermine selbst nur für wenige Wochen schwarze Kleider
angelegt, und Lore trauern zu lassen, hatte daher, nach Herminens Meinung,
keinen Sinn.




Siebentes Aapitel.

In den beiden nun folgenden Kapiteln werden, wie ich voraussehe, zwei
junge Frauenzimmer geküßt werden. Ich teile das schon hier mit, damit die


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[0159] Auf der Leiter des Glücks. In der That wurde mit Lore abends von Villa Mvckritz nach Villa Anna übergesiedelt. Lore hießen in jener Gegend so ziemlich alle Kammerjungfern und Papageien, und Fräulein von Mockritz hatte im Umläufen der jungen Person umsoweniger von der Regel abweichen wollen, als der eigentliche Name Lores, nämlich Elise, auch der Name der Verstorbenen gewesen war. Über ihr Äußeres ließ sich wenig sagen. Lore war neben Fräulein von Mockritz für den oberflächlichen Beobachter etwa wie der Mond neben der Sonne, und zwar das verblaßte letzte Viertel, nach welchem man nicht aufschaut. Aber dieser Eindruck wurde vorwiegend durch Nebensächliches hervorgebracht, durch ihre fast hcrrn- hutische Kleidung, durch ihre schlichte, enganschließende Haube und durch Verab¬ säumung alles schmückenden Beiwerks. Sie trug weder Ringe an den Ohren noch am Finger, noch eine Brosche oder eine Schleife am Busen, sodaß Fräu¬ lein von Mockritz ihr schon vorgeworfen hatte, sie gehe noch schmuckloser als es für eine Dienende nötig sei, und Frau von Mockritz werde bei ihrem An¬ blick vielleicht hypochondrischer Laune verfallen. Für ein herzlicher teilnahm¬ volles Auge hätten die Blässe Lores und die Art, wie sie bemüht war, nie¬ mandes Aufmerksamkeit zu erregen, wohl die Vermutung erregen können, sie sei durch die Schule schwerer Heimsuchungen gegangen, habe einst, wie ihre Sprache, ihre Haltung und ihre Bewegungen auch verrieten, bessere Tage gekannt, und sei, obschon noch jung, mit ihren eigentlichen Lcbensansprüchen schon zum Ab¬ schluß gekommen. Der Denkweise Herminens lag es näher, an etwas wie einen eaux Ms zu denken, für welchen die junge Person Buße thun zu müssen glaube. Sie hoffte, im Laufe der Zeit sie heiterer werden zu sehen und ließ sich, aus der guten Absicht, die allzu rigorosem Grillen der armen Person zu zerstreuen, zuweilen im Gespräch mit ihr mehr gehen, als im Grunde ihr selbst recht schien; doch war Lore noch nie auf den solcherart von ihrer Herrin angeschlagenen leichtlebigen Ton eingegangen, wie sie auch nur ausweichend antwortete, wenn Hermine fragte, wie lange Lore mit der Verstorbenen bekannt gewesen, und auf welche Veranlassung — ob etwa ans eine konfessionelle Sitte? — das freund¬ schaftliche Du zwischen beiden zurückzuführen gewesen sei? So war die Pflegerin Lore beschaffen. Sie wäre, wenn Fräulein von Mockritz ihr erlaubt hätte, Trauer zu tragen, eine geradezu nonnenhcifte Er¬ scheinung gewesen. Aber aus Rücksichten auf Frau von Mockritz, die gern helle Farben liebte, hatte Hermine selbst nur für wenige Wochen schwarze Kleider angelegt, und Lore trauern zu lassen, hatte daher, nach Herminens Meinung, keinen Sinn. Siebentes Aapitel. In den beiden nun folgenden Kapiteln werden, wie ich voraussehe, zwei junge Frauenzimmer geküßt werden. Ich teile das schon hier mit, damit die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/159>, abgerufen am 27.06.2024.