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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

ist es. Die Wildtauben gurren immer noch in den Bäumen, und von dir, mein
Schatz, verbitte ich mir hoch und höchst alles fernere Geknurre und Gedruckse,
Komm herunter, Ebert.


Das Wasser rauscht zum Wald hinein,
Es rauscht im Wald so kühle;
Wie mag ich wohl gekommen sein
Vor die verlassene Mühle?

Mit Heller, lustigster Stimme machte sich die liebe Kleine ihre eigene Me¬
lodie zu dem wehmütig-schönen, melodischen Verse, und -- mir blieb wirklich
nichts übrig, als unter meine unmotivirte Stilübung dahin drei Kleckse zu
machen, wo im Druck vielleicht einmal drei Kreuze stehen, und mich hinüber¬
ziehen zu lassen, unter die alten Kastanienbäume, in deren Wipfeln die wilden
Tauben immer noch in den Sommermorgen hineingurrten.




Zweites Blatt.
Zu leeren Tischen und Bänken.

Es War ein eigen Ding um die Mühle, von der hier die Rede ist. Im
Walde lag sie nicht, und verlassen war sie gerade auch nicht. Ich hatte sie nur
verkauft -- verkaufen müssen --, aber vier volle Sommerwochen war sie noch
einmal mein Eigentum. Dann erst traten die neuen Besitzer in ihr ganzes Recht
an ihr. Ich hatte mir das nicht so ausbedingen und es mir schriftlich geben
lassen können, aber die jetzigen Herren hatten gegen meine "seltsame Idee"
nichts einzuwenden gehabt, sondern mich und meine Frau sogar recht freundlich
eingeladen, bis zum Beginn des Baues ihrer großen Fabrik auf ihrem Besitz
ganz so zu thun, als ob wir daselbst noch zu Hause wären. Einmal also sollte
ich sie noch für mich haben, wie ich sie seit meinem ersten Augenaufschlcigen in
dieser Welt kannte und in meinen besten Erinnerungen mit ihr verwachsen war.
Nachher durften freilich die neuen Herren mit ihr anfangen, was sie wollten: ich
und mein Weib hatten weder ein Wort noch einen Seufzer dreinzugebeu. Ich
wußte schon, daß sie, die nunmehrigen Eigentümer, sich große Dinge mit ihr
vorgenommen hatten, für mich aber konnte leider Gottes mein Vätererbe nichts
weiter sein als ein großes Wunder der Vorwelt, ein liebes, vergnügliches, weh¬
mütiges Bild in der Erinnerung. Und ich hatte meine junge Frau dies Jahr,
das erste Jahr unsrer Ehe, nicht nach der Schweiz, nach Thüringen oder in
den Harz in die Sommerfrische geführt, sondern nach meiner verlassenen Mühle.
Was sollte daraus werden, wenn das Weib dem Manne nicht in seine besten
Erinnerungen zu folgen vermöchte? Schnezlers Romanze hatte sie meinem "ewigen
Gesumme" im Eisenbahnwagen von Berlin her bereits so ziemlich abgelauscht
und abgelernt, und mehr als einmal dabei gesagt: Bald kann ich's auch aus-


Grcnzbotcn IV. 1384. 6
Pfisters Mühle.

ist es. Die Wildtauben gurren immer noch in den Bäumen, und von dir, mein
Schatz, verbitte ich mir hoch und höchst alles fernere Geknurre und Gedruckse,
Komm herunter, Ebert.


Das Wasser rauscht zum Wald hinein,
Es rauscht im Wald so kühle;
Wie mag ich wohl gekommen sein
Vor die verlassene Mühle?

Mit Heller, lustigster Stimme machte sich die liebe Kleine ihre eigene Me¬
lodie zu dem wehmütig-schönen, melodischen Verse, und — mir blieb wirklich
nichts übrig, als unter meine unmotivirte Stilübung dahin drei Kleckse zu
machen, wo im Druck vielleicht einmal drei Kreuze stehen, und mich hinüber¬
ziehen zu lassen, unter die alten Kastanienbäume, in deren Wipfeln die wilden
Tauben immer noch in den Sommermorgen hineingurrten.




Zweites Blatt.
Zu leeren Tischen und Bänken.

Es War ein eigen Ding um die Mühle, von der hier die Rede ist. Im
Walde lag sie nicht, und verlassen war sie gerade auch nicht. Ich hatte sie nur
verkauft — verkaufen müssen —, aber vier volle Sommerwochen war sie noch
einmal mein Eigentum. Dann erst traten die neuen Besitzer in ihr ganzes Recht
an ihr. Ich hatte mir das nicht so ausbedingen und es mir schriftlich geben
lassen können, aber die jetzigen Herren hatten gegen meine „seltsame Idee"
nichts einzuwenden gehabt, sondern mich und meine Frau sogar recht freundlich
eingeladen, bis zum Beginn des Baues ihrer großen Fabrik auf ihrem Besitz
ganz so zu thun, als ob wir daselbst noch zu Hause wären. Einmal also sollte
ich sie noch für mich haben, wie ich sie seit meinem ersten Augenaufschlcigen in
dieser Welt kannte und in meinen besten Erinnerungen mit ihr verwachsen war.
Nachher durften freilich die neuen Herren mit ihr anfangen, was sie wollten: ich
und mein Weib hatten weder ein Wort noch einen Seufzer dreinzugebeu. Ich
wußte schon, daß sie, die nunmehrigen Eigentümer, sich große Dinge mit ihr
vorgenommen hatten, für mich aber konnte leider Gottes mein Vätererbe nichts
weiter sein als ein großes Wunder der Vorwelt, ein liebes, vergnügliches, weh¬
mütiges Bild in der Erinnerung. Und ich hatte meine junge Frau dies Jahr,
das erste Jahr unsrer Ehe, nicht nach der Schweiz, nach Thüringen oder in
den Harz in die Sommerfrische geführt, sondern nach meiner verlassenen Mühle.
Was sollte daraus werden, wenn das Weib dem Manne nicht in seine besten
Erinnerungen zu folgen vermöchte? Schnezlers Romanze hatte sie meinem „ewigen
Gesumme" im Eisenbahnwagen von Berlin her bereits so ziemlich abgelauscht
und abgelernt, und mehr als einmal dabei gesagt: Bald kann ich's auch aus-


Grcnzbotcn IV. 1384. 6
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/49>, abgerufen am 27.12.2024.