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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

wendig, Miezchen! wobei sie dann hinzusetzte: Auf deine väterliche Heimat bin
ich aber doch sehr gespitzt, mein Herz. -- --

Meine väterliche Heimat! Daß ich gespitzt oder gespannt auf meinen Auf¬
enthalt und mein unwiderrufliches Abschiednehmen dort gewesen sei, kann ich
nicht sagen. Der Ausdruck, selbst aus dem Munde der Liebe oder gerade aus
diesem lieben, zärtlichen Mündchen, war mir auch garnicht zu Sinne, wenn ich
gleich im Rädergerassel, in dem Geschrill der Dampfpfeife und dem Getümmel
der Bahnhöfe nicht wußte, wie ich ihn verbessern sollte.

In den Wald hinein rauschte das Wasser nicht, das die Räder meiner
Mühle in meinen Kindheits- und Jugendtagen trieb. In einer hellen, weiten,
wenn auch noch grünen, so doch von Wald und Gebüsch schon ziemlich kahl
gerupften Ebene war sie, neben dem Dorfe, ungefähr eine Stunde von der Stadt
gelegen. Aus dem Süden kam der kleine Fluß her, dem sie ihr Dasein ver¬
dankt. Ein deutsches Mittelgebirge umzog dort den Horizont; aber das Flüßchen
hatte seine Quelle bereits in der Ebene und kam nicht von den Bergen. Wiesen
und Kornfelder bis in die weiteste Ferne; hier und da zwischen Obstbäumen
ein Kirchturm, einzelne Dörfer überall verstreut, eine vielfach sich windende
Landstraße von Pappelbäumen eingefaßt, Feld- und Fahrwege nach allen Rich¬
tungen und dann und wann auch ein qualmender Fabritschornstein -- das war
es, was man sah von meines Vaters Mühle aus, ohne daß man sich auf die
Zehen zu stellen brauchte. Aber die Hauptsache in dem Bilde waren doch, und
dieses besonders sür mich, die Dunstwvlke und die Türme im Nordosten von
unserm Dörfchen. Mit der Natur steht die Landjugend auf viel zu gutem Fuße,
um sich viel aus ihr zu machen und sie als etwas andres, denn als ein Selbst¬
verständliches zu nehmen; aber die Stadt -- ja die Stadt, das ist etwas! Das
ist ein Entgegenstehendes, welches auf die eine oder andre Weise überwunden
werden muß und nie von seiner Geltung für das junge Gemüt etwas aufgiebt.

Was alles, worüber ich heute noch Rechenschaft ablegen kann, habe ich er¬
lebt in dieser Pappelallee, auf dem Wege von und nach der Stadt!

Und sie stand noch dazu in einem ganz ausnahmsweise angenehmen Ver¬
hältnis zu uns in der Mühle, diese Stadt!

Dutzende von nunmehr vermorschenden Tischen und Bänken unter unsern
Kastanien und Linden in Gebüsch und Lauben, auf behaglichen Rasenflecken
zeugen noch davon. Heute haben Enns und ich die Auswahl unter allen diesen
behaglichen Plätzen und das Reich allein an allen Tischen und auf allen Bänken.
Es hindert uns nichts mehr, in meines Vaters Grasgarten, um der Sonne
auszuweichen oder sie zu suchen, mit dem Buch und der Zigarre, der Häkel¬
arbeit und der Kaffeekanne um ein paar Schritte weiterzurücken; aber einst war
das anders.

Es gab eine Zeit, wo Emmy mehr die Auswahl unter den Studenten
aus der Stadt als unter den Plätzen im Mühlengarten gehabt hätte. Aber


Pfisters Mühle.

wendig, Miezchen! wobei sie dann hinzusetzte: Auf deine väterliche Heimat bin
ich aber doch sehr gespitzt, mein Herz. — —

Meine väterliche Heimat! Daß ich gespitzt oder gespannt auf meinen Auf¬
enthalt und mein unwiderrufliches Abschiednehmen dort gewesen sei, kann ich
nicht sagen. Der Ausdruck, selbst aus dem Munde der Liebe oder gerade aus
diesem lieben, zärtlichen Mündchen, war mir auch garnicht zu Sinne, wenn ich
gleich im Rädergerassel, in dem Geschrill der Dampfpfeife und dem Getümmel
der Bahnhöfe nicht wußte, wie ich ihn verbessern sollte.

In den Wald hinein rauschte das Wasser nicht, das die Räder meiner
Mühle in meinen Kindheits- und Jugendtagen trieb. In einer hellen, weiten,
wenn auch noch grünen, so doch von Wald und Gebüsch schon ziemlich kahl
gerupften Ebene war sie, neben dem Dorfe, ungefähr eine Stunde von der Stadt
gelegen. Aus dem Süden kam der kleine Fluß her, dem sie ihr Dasein ver¬
dankt. Ein deutsches Mittelgebirge umzog dort den Horizont; aber das Flüßchen
hatte seine Quelle bereits in der Ebene und kam nicht von den Bergen. Wiesen
und Kornfelder bis in die weiteste Ferne; hier und da zwischen Obstbäumen
ein Kirchturm, einzelne Dörfer überall verstreut, eine vielfach sich windende
Landstraße von Pappelbäumen eingefaßt, Feld- und Fahrwege nach allen Rich¬
tungen und dann und wann auch ein qualmender Fabritschornstein — das war
es, was man sah von meines Vaters Mühle aus, ohne daß man sich auf die
Zehen zu stellen brauchte. Aber die Hauptsache in dem Bilde waren doch, und
dieses besonders sür mich, die Dunstwvlke und die Türme im Nordosten von
unserm Dörfchen. Mit der Natur steht die Landjugend auf viel zu gutem Fuße,
um sich viel aus ihr zu machen und sie als etwas andres, denn als ein Selbst¬
verständliches zu nehmen; aber die Stadt — ja die Stadt, das ist etwas! Das
ist ein Entgegenstehendes, welches auf die eine oder andre Weise überwunden
werden muß und nie von seiner Geltung für das junge Gemüt etwas aufgiebt.

Was alles, worüber ich heute noch Rechenschaft ablegen kann, habe ich er¬
lebt in dieser Pappelallee, auf dem Wege von und nach der Stadt!

Und sie stand noch dazu in einem ganz ausnahmsweise angenehmen Ver¬
hältnis zu uns in der Mühle, diese Stadt!

Dutzende von nunmehr vermorschenden Tischen und Bänken unter unsern
Kastanien und Linden in Gebüsch und Lauben, auf behaglichen Rasenflecken
zeugen noch davon. Heute haben Enns und ich die Auswahl unter allen diesen
behaglichen Plätzen und das Reich allein an allen Tischen und auf allen Bänken.
Es hindert uns nichts mehr, in meines Vaters Grasgarten, um der Sonne
auszuweichen oder sie zu suchen, mit dem Buch und der Zigarre, der Häkel¬
arbeit und der Kaffeekanne um ein paar Schritte weiterzurücken; aber einst war
das anders.

Es gab eine Zeit, wo Emmy mehr die Auswahl unter den Studenten
aus der Stadt als unter den Plätzen im Mühlengarten gehabt hätte. Aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/50>, abgerufen am 28.12.2024.