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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

Ich erfuhr es nicht, was sehr unrecht von mir am vergangenen Abend ge¬
wesen war; ich ließ das liebe, seidene Geflecht, auf welches das geflügelte
Nachttier gestern so erpicht gewesen war, leise aus der zögernden Hand gleiten
und legte mich noch einen Augenblick in das offene Fenster des Oberstocks von
Pfisters Mühle und blickte in die Sommernacht hinein. Eigentlich ist das frei¬
lich nicht das richtige Wort; ich roch vielmehr in sie hinaus, und mußte augen¬
blicklich Emmy vollständig Recht geben, wenn sie vorhin den letzten Wirt von
Pfisters Mühle in seiner Verzweiflung und meiner Erzählung gar nicht be¬
griffen hatte.




Neuntes Blatt.
Wie es eben bei dem Doktor Adam Asche noch viel übler roch.

Lieblich düftevoll lag die Sommernacht vor den Fenstern über dem alten
Garten, dem rauschenden Flüßchen und den Wiesen und Feldern. Ein leiser Hauch
von Stcinkohlengcrnch war natürlich nicht zu rechnen; aber er genügte doch, um
mich bei den gewesenen Bildern festzuhalten, wenn ich gleich am heutigen
Abend nicht mehr meinem Weibe davon weitern Bericht gab.

Es war eben ein Herbst- und Wintergeruch, den weder die dörflichen und
städtischen Gäste, noch die Mühlknappen und die Räder und mein armer fröh¬
licher Vater ihrerzeit länger zu ertragen vermochten. Und die Fische auch
nicht -- jedesmal wenn der September ins Land kam.

Damit begann nämlich in jeglichem neuen Herbst seit einigen Jahren das
Phänomen, daß die Fische in unserm Mühlwasser ihr Mißbehagen an der Ver¬
änderung ihrer Lebensbedingungen kundzugeben anfingen. Da sie aber nichts
sagten, sondern nur einzeln oder in Haufen, die silberschuppigen Bäuche auf¬
wärts gekehrt, auf der Oberfläche des Flüßchens still sich herabtreiben ließen,
so waren die Menschen auch in dieser Beziehung auf ihre Bemerkungen ange¬
wiesen. Und ich vor allem auf die eignen Bemerkungen meines armen seligen
Vaters, wenn ich während des Blättcrfalls am Sonnabendnachmittag zum
Sonntagsaufenthalt in der Mühle aus der Stadt kam, und den Alten trübselig¬
verdrossen, die weiße Müllerkappe auf den feinen grauen Löckchen hin- und her¬
schiebend, an seinem Wehr stehend fand:

Nun sieh dir das wieder an, Junge! Ist das nicht ein Anblick zum Er¬
barmen?

Erfreulich war's nicht anzusehen. Aus dem lebendigen, klaren Fluß, der
wie der Inbegriff alles Frischer und Reinlichen durch meine Kinder- und ersten
Jugendjahre rauschte und murmelte, war ein träge schleichendes, weißschleimiges,
bläuliches Etwas geworden, das wahrhaftig niemand mehr als Bild des
Lebens und des Reinen dienen konnte. Schleimige Fäden hingen um die von
der Flut erreichbaren Stämme des Ufergebüsches und an den zu dem Wasserspiegel


Pfisters Mühle.

Ich erfuhr es nicht, was sehr unrecht von mir am vergangenen Abend ge¬
wesen war; ich ließ das liebe, seidene Geflecht, auf welches das geflügelte
Nachttier gestern so erpicht gewesen war, leise aus der zögernden Hand gleiten
und legte mich noch einen Augenblick in das offene Fenster des Oberstocks von
Pfisters Mühle und blickte in die Sommernacht hinein. Eigentlich ist das frei¬
lich nicht das richtige Wort; ich roch vielmehr in sie hinaus, und mußte augen¬
blicklich Emmy vollständig Recht geben, wenn sie vorhin den letzten Wirt von
Pfisters Mühle in seiner Verzweiflung und meiner Erzählung gar nicht be¬
griffen hatte.




Neuntes Blatt.
Wie es eben bei dem Doktor Adam Asche noch viel übler roch.

Lieblich düftevoll lag die Sommernacht vor den Fenstern über dem alten
Garten, dem rauschenden Flüßchen und den Wiesen und Feldern. Ein leiser Hauch
von Stcinkohlengcrnch war natürlich nicht zu rechnen; aber er genügte doch, um
mich bei den gewesenen Bildern festzuhalten, wenn ich gleich am heutigen
Abend nicht mehr meinem Weibe davon weitern Bericht gab.

Es war eben ein Herbst- und Wintergeruch, den weder die dörflichen und
städtischen Gäste, noch die Mühlknappen und die Räder und mein armer fröh¬
licher Vater ihrerzeit länger zu ertragen vermochten. Und die Fische auch
nicht — jedesmal wenn der September ins Land kam.

Damit begann nämlich in jeglichem neuen Herbst seit einigen Jahren das
Phänomen, daß die Fische in unserm Mühlwasser ihr Mißbehagen an der Ver¬
änderung ihrer Lebensbedingungen kundzugeben anfingen. Da sie aber nichts
sagten, sondern nur einzeln oder in Haufen, die silberschuppigen Bäuche auf¬
wärts gekehrt, auf der Oberfläche des Flüßchens still sich herabtreiben ließen,
so waren die Menschen auch in dieser Beziehung auf ihre Bemerkungen ange¬
wiesen. Und ich vor allem auf die eignen Bemerkungen meines armen seligen
Vaters, wenn ich während des Blättcrfalls am Sonnabendnachmittag zum
Sonntagsaufenthalt in der Mühle aus der Stadt kam, und den Alten trübselig¬
verdrossen, die weiße Müllerkappe auf den feinen grauen Löckchen hin- und her¬
schiebend, an seinem Wehr stehend fand:

Nun sieh dir das wieder an, Junge! Ist das nicht ein Anblick zum Er¬
barmen?

Erfreulich war's nicht anzusehen. Aus dem lebendigen, klaren Fluß, der
wie der Inbegriff alles Frischer und Reinlichen durch meine Kinder- und ersten
Jugendjahre rauschte und murmelte, war ein träge schleichendes, weißschleimiges,
bläuliches Etwas geworden, das wahrhaftig niemand mehr als Bild des
Lebens und des Reinen dienen konnte. Schleimige Fäden hingen um die von
der Flut erreichbaren Stämme des Ufergebüsches und an den zu dem Wasserspiegel


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[0152] Pfisters Mühle. Ich erfuhr es nicht, was sehr unrecht von mir am vergangenen Abend ge¬ wesen war; ich ließ das liebe, seidene Geflecht, auf welches das geflügelte Nachttier gestern so erpicht gewesen war, leise aus der zögernden Hand gleiten und legte mich noch einen Augenblick in das offene Fenster des Oberstocks von Pfisters Mühle und blickte in die Sommernacht hinein. Eigentlich ist das frei¬ lich nicht das richtige Wort; ich roch vielmehr in sie hinaus, und mußte augen¬ blicklich Emmy vollständig Recht geben, wenn sie vorhin den letzten Wirt von Pfisters Mühle in seiner Verzweiflung und meiner Erzählung gar nicht be¬ griffen hatte. Neuntes Blatt. Wie es eben bei dem Doktor Adam Asche noch viel übler roch. Lieblich düftevoll lag die Sommernacht vor den Fenstern über dem alten Garten, dem rauschenden Flüßchen und den Wiesen und Feldern. Ein leiser Hauch von Stcinkohlengcrnch war natürlich nicht zu rechnen; aber er genügte doch, um mich bei den gewesenen Bildern festzuhalten, wenn ich gleich am heutigen Abend nicht mehr meinem Weibe davon weitern Bericht gab. Es war eben ein Herbst- und Wintergeruch, den weder die dörflichen und städtischen Gäste, noch die Mühlknappen und die Räder und mein armer fröh¬ licher Vater ihrerzeit länger zu ertragen vermochten. Und die Fische auch nicht — jedesmal wenn der September ins Land kam. Damit begann nämlich in jeglichem neuen Herbst seit einigen Jahren das Phänomen, daß die Fische in unserm Mühlwasser ihr Mißbehagen an der Ver¬ änderung ihrer Lebensbedingungen kundzugeben anfingen. Da sie aber nichts sagten, sondern nur einzeln oder in Haufen, die silberschuppigen Bäuche auf¬ wärts gekehrt, auf der Oberfläche des Flüßchens still sich herabtreiben ließen, so waren die Menschen auch in dieser Beziehung auf ihre Bemerkungen ange¬ wiesen. Und ich vor allem auf die eignen Bemerkungen meines armen seligen Vaters, wenn ich während des Blättcrfalls am Sonnabendnachmittag zum Sonntagsaufenthalt in der Mühle aus der Stadt kam, und den Alten trübselig¬ verdrossen, die weiße Müllerkappe auf den feinen grauen Löckchen hin- und her¬ schiebend, an seinem Wehr stehend fand: Nun sieh dir das wieder an, Junge! Ist das nicht ein Anblick zum Er¬ barmen? Erfreulich war's nicht anzusehen. Aus dem lebendigen, klaren Fluß, der wie der Inbegriff alles Frischer und Reinlichen durch meine Kinder- und ersten Jugendjahre rauschte und murmelte, war ein träge schleichendes, weißschleimiges, bläuliches Etwas geworden, das wahrhaftig niemand mehr als Bild des Lebens und des Reinen dienen konnte. Schleimige Fäden hingen um die von der Flut erreichbaren Stämme des Ufergebüsches und an den zu dem Wasserspiegel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/152>, abgerufen am 27.12.2024.