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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

, schönes Erbe werde ich dir an Pfisters Mühle hinterlassen, mein armer Junge,
wenn der Doktor uns gleicherweise wie alle Übrigen vor dem Duft ohnmächtig
wird und bleibt! . . .

Ich hatte sie richtig in den Schlaf erzählt.

Emniy nämlich.

Sie hatte zwar nicht geschworen, mich von meinem nichtsnutzigen Kopfe
ganz zu befreien, wenn ich sie diesmal nicht außergewöhnlich interessiren würde;
aber sie hatte mir doch fest versprochen, mich bei diesem eben bezeichneten
Kopfe zu nehmen. Und wie Scheherasade hatte ich das Möglichste geleistet;
Schariar schlummerte süß und lächelte wie ein Kind in seinem Schlummer.

In Berlin war es noch früh am Tage; aber nebenan in unserm Dorfe
schlug die Kirchuhr schon zehn, und niemand schien dort mehr wach zu sein,
als auf den an der Landstraße gelegenen Gehöften einige Hunde, die über den
Zaun ihre Gedanken über ein verspätetes Wagengerassel oder einige der Stadt
melkende Fußgänger austauschten.

Ich lächelte ebenfalls. Weniger in Betracht als in Betrachtung meines
unumschränkten Herrschers über Indien mit allen seinen großen und kleinen
Inseln bis an die Grenzen von China -- mein Herz für immer und Pfisters
Mühle solange es sich thun ließ eingeschlossen. Das Kind sah in seiner lieblich
ergebenen Hingabe an mein Erzählertalent -- in seinem tiefen unschuldigen Schlaf
zu reizend aus! Was blieb mir dieser Flut von braunen Locken gegenüber, die
über die hübschen Schultern und die Stuhllehne rollten, anders übrig, als leise,
wie in den Brauttagen eine von ihnen, den Locken nämlich, zu fangen und ver¬
stohlen einen Kuß darauf zu drücken? Wozu hat man eine Frau, wenn sie
nicht in allem Recht hat -- selbst in ihrem Entschlummern bei Mitteilung
unserer kuriosesten vorehelichen Erlebnisse und Betrachtungen g, priori und g, xosts-
riori darob?

Du brauchst nicht zu denken, daß ich nicht zuhöre, wenn ich auch einmal
die Augen für einen Augenblick zumache, hatte das Herz mehrere male gesagt.
Erzähle nur ruhig weiter; aber eigentlich begreife ich den seligen Papa nicht so
recht. Wir wohnen doch nun über vierzehn Tage schon hier in deiner verzau¬
berten Mühle; aber so arg, wie er es eben dir schilderte, ist es doch nicht.
Es mag eine Täuschung von mir sein, weil ich eben selten oder nie aus Berlin
herausgekommen bin; aber die Bäume rundum und die Wiesen drüben und
das Heu duften ganz hübsch, und das Wetterleuchten da hinten ist auch ganz
reizend, wenn nur das Gewitter nicht wieder näher kommt. Das habt ihr
Gelehrten auch noch nicht heraus, warum alle diese wunderhübschen hundert Tiere,
Mücken und Schmetterlinge sich ihre Flügel an der Lampe verbrennen wollen,
sowie man sie angezündet hat, und das sage ich dir, auf eine Jagd, wie gestern
mit der Fledermaus, lasse ich mich nicht wieder ein; mir zittern -- noch --
die Glieder, und -- es -- war sehr unrecht -- von -- dir --


Pfisters Mühle.

, schönes Erbe werde ich dir an Pfisters Mühle hinterlassen, mein armer Junge,
wenn der Doktor uns gleicherweise wie alle Übrigen vor dem Duft ohnmächtig
wird und bleibt! . . .

Ich hatte sie richtig in den Schlaf erzählt.

Emniy nämlich.

Sie hatte zwar nicht geschworen, mich von meinem nichtsnutzigen Kopfe
ganz zu befreien, wenn ich sie diesmal nicht außergewöhnlich interessiren würde;
aber sie hatte mir doch fest versprochen, mich bei diesem eben bezeichneten
Kopfe zu nehmen. Und wie Scheherasade hatte ich das Möglichste geleistet;
Schariar schlummerte süß und lächelte wie ein Kind in seinem Schlummer.

In Berlin war es noch früh am Tage; aber nebenan in unserm Dorfe
schlug die Kirchuhr schon zehn, und niemand schien dort mehr wach zu sein,
als auf den an der Landstraße gelegenen Gehöften einige Hunde, die über den
Zaun ihre Gedanken über ein verspätetes Wagengerassel oder einige der Stadt
melkende Fußgänger austauschten.

Ich lächelte ebenfalls. Weniger in Betracht als in Betrachtung meines
unumschränkten Herrschers über Indien mit allen seinen großen und kleinen
Inseln bis an die Grenzen von China — mein Herz für immer und Pfisters
Mühle solange es sich thun ließ eingeschlossen. Das Kind sah in seiner lieblich
ergebenen Hingabe an mein Erzählertalent — in seinem tiefen unschuldigen Schlaf
zu reizend aus! Was blieb mir dieser Flut von braunen Locken gegenüber, die
über die hübschen Schultern und die Stuhllehne rollten, anders übrig, als leise,
wie in den Brauttagen eine von ihnen, den Locken nämlich, zu fangen und ver¬
stohlen einen Kuß darauf zu drücken? Wozu hat man eine Frau, wenn sie
nicht in allem Recht hat — selbst in ihrem Entschlummern bei Mitteilung
unserer kuriosesten vorehelichen Erlebnisse und Betrachtungen g, priori und g, xosts-
riori darob?

Du brauchst nicht zu denken, daß ich nicht zuhöre, wenn ich auch einmal
die Augen für einen Augenblick zumache, hatte das Herz mehrere male gesagt.
Erzähle nur ruhig weiter; aber eigentlich begreife ich den seligen Papa nicht so
recht. Wir wohnen doch nun über vierzehn Tage schon hier in deiner verzau¬
berten Mühle; aber so arg, wie er es eben dir schilderte, ist es doch nicht.
Es mag eine Täuschung von mir sein, weil ich eben selten oder nie aus Berlin
herausgekommen bin; aber die Bäume rundum und die Wiesen drüben und
das Heu duften ganz hübsch, und das Wetterleuchten da hinten ist auch ganz
reizend, wenn nur das Gewitter nicht wieder näher kommt. Das habt ihr
Gelehrten auch noch nicht heraus, warum alle diese wunderhübschen hundert Tiere,
Mücken und Schmetterlinge sich ihre Flügel an der Lampe verbrennen wollen,
sowie man sie angezündet hat, und das sage ich dir, auf eine Jagd, wie gestern
mit der Fledermaus, lasse ich mich nicht wieder ein; mir zittern — noch —
die Glieder, und — es — war sehr unrecht — von — dir —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/151>, abgerufen am 28.12.2024.