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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

herabreichenden Zweigen der Weiden. Das Schilf war vor allem übel anzu¬
sehen, und selbst die Enten, die doch in dieser Beziehung vieles vertragen können,
schienen um diese Jahreszeit immer meines Vaters Gefühle in betreff ihres
beiderseitigen Haupt-Lebenselcmentes zu teilen. Sie standen angeekelt um ihn
herum, blickten melancholisch von ihm auf das Mühlwasser und schienen leise
gackelnd wie er zu seufzen:

Und es wird von Woche zu Woche schlimmer, und von Jahr zu Jahr na¬
türlich auch!

Sich' dir nur das unvernünftige Vieh an, Ebert, sagte der Alte. Auch
es stellt die nämlichen Fragen an unsern Herrgott wie ich. Experimentirt er
selber so schon damit im Erdinnern, na, so kann man ja wohl nichts dagegen
sagen und muß ihn machen lassen; denn dann wird er's ja wohl wissen, wozu
es uns gut ist. Aber -- vergiften sie es, da weiter oben, in nichtsnutziger
Halunkenhaftigkeit, ihm und mir und uns, na, so müßte er denn wohl am
Ende mit seinem Donner dreinschlagen, wenn nicht meinetwegen, so doch seiner
unschuldigen Geschöpfe halber. Guck, da kommen wiederum ein paar Barsche
herunter, den Bauch nach oben; und daß man einen Aal aus dem Wasser holt,
das wird nachgerade zu einer Merkwürdigkeit und Ausnahme. Kein Baum
wird ihnen am Ende zu hoch, um auf ihm dem Jammer zu entgehen; und ich
erlebe es noch, daß demnächst noch die Hechte ans Stubenfenster klopfen und
verlangen 'reingenommen zu werden, wie Rotbrust und Meise zur Winterszeit.
Zum Henker, wenn man nur nicht allmählich Lust bekäme, mit dem warmen
Ofen jedwedes Mitgefühl mit seiner Mitkreatur, und sich selber dazu, kalt
werden zu lassen!____

O, ich habe alles gehört, sagte Emmy. Erzähle nur ruhig weiter; ich höre
alles. Es ist bloß ein Erbteil von meinem armen Papa, wenn den etwas sehr
interessirte, was Mama erzählte und er in seiner Sofaecke saß, und Mama gerade
wie du sagte: Kind, wozu rede ich denn eigentlich? -- Er wußte nachher so
ziemlich alles, wovon die Rede gewesen war, wenn er auch mit geschlossenen
Augen darüber nachgedacht hatte. Und du brauchst mich nur zu fragen, lieber
Ebert, ob ich dir nicht auch alles an den Fingern aufzählen kann, von dir
und den Fischen in Pfisters Mühle -- nein, Pfisters Mühle und deinem Papa
und den Enten und allem übrigen, den Studenten und den Gästen aus der
Stadt, und wie alles so sehr übel roch jedesmal, wenn seit dem Kriege mit den
Franzosen und dem allgemeinen Aufschwung der Herbst kam. Und eben hatten
die Leute schon gesagt: Es ist Schnee in der Luft! und du saßest in deiner
Schülerstube am Fenster und wartetest drauf, und da war dein Papa in die
Stadt gekommen und Ihr hattet wieder von den entsetzlichsten Gerüchen Euch
unterhalten, daß es einem allmählich ganz unwohl dabei wird. Siehst du wohl,
ich weiß alles ganz genau, und zuletzt wäret Ihr gerade in eurer äußersten Ver¬
zweiflung auf dem Wege zum Doktor Asche, und das ist eigentlich mehr, als


Grenzboten IV. 13L4. 19
Pfisters Mühle.

herabreichenden Zweigen der Weiden. Das Schilf war vor allem übel anzu¬
sehen, und selbst die Enten, die doch in dieser Beziehung vieles vertragen können,
schienen um diese Jahreszeit immer meines Vaters Gefühle in betreff ihres
beiderseitigen Haupt-Lebenselcmentes zu teilen. Sie standen angeekelt um ihn
herum, blickten melancholisch von ihm auf das Mühlwasser und schienen leise
gackelnd wie er zu seufzen:

Und es wird von Woche zu Woche schlimmer, und von Jahr zu Jahr na¬
türlich auch!

Sich' dir nur das unvernünftige Vieh an, Ebert, sagte der Alte. Auch
es stellt die nämlichen Fragen an unsern Herrgott wie ich. Experimentirt er
selber so schon damit im Erdinnern, na, so kann man ja wohl nichts dagegen
sagen und muß ihn machen lassen; denn dann wird er's ja wohl wissen, wozu
es uns gut ist. Aber — vergiften sie es, da weiter oben, in nichtsnutziger
Halunkenhaftigkeit, ihm und mir und uns, na, so müßte er denn wohl am
Ende mit seinem Donner dreinschlagen, wenn nicht meinetwegen, so doch seiner
unschuldigen Geschöpfe halber. Guck, da kommen wiederum ein paar Barsche
herunter, den Bauch nach oben; und daß man einen Aal aus dem Wasser holt,
das wird nachgerade zu einer Merkwürdigkeit und Ausnahme. Kein Baum
wird ihnen am Ende zu hoch, um auf ihm dem Jammer zu entgehen; und ich
erlebe es noch, daß demnächst noch die Hechte ans Stubenfenster klopfen und
verlangen 'reingenommen zu werden, wie Rotbrust und Meise zur Winterszeit.
Zum Henker, wenn man nur nicht allmählich Lust bekäme, mit dem warmen
Ofen jedwedes Mitgefühl mit seiner Mitkreatur, und sich selber dazu, kalt
werden zu lassen!____

O, ich habe alles gehört, sagte Emmy. Erzähle nur ruhig weiter; ich höre
alles. Es ist bloß ein Erbteil von meinem armen Papa, wenn den etwas sehr
interessirte, was Mama erzählte und er in seiner Sofaecke saß, und Mama gerade
wie du sagte: Kind, wozu rede ich denn eigentlich? — Er wußte nachher so
ziemlich alles, wovon die Rede gewesen war, wenn er auch mit geschlossenen
Augen darüber nachgedacht hatte. Und du brauchst mich nur zu fragen, lieber
Ebert, ob ich dir nicht auch alles an den Fingern aufzählen kann, von dir
und den Fischen in Pfisters Mühle — nein, Pfisters Mühle und deinem Papa
und den Enten und allem übrigen, den Studenten und den Gästen aus der
Stadt, und wie alles so sehr übel roch jedesmal, wenn seit dem Kriege mit den
Franzosen und dem allgemeinen Aufschwung der Herbst kam. Und eben hatten
die Leute schon gesagt: Es ist Schnee in der Luft! und du saßest in deiner
Schülerstube am Fenster und wartetest drauf, und da war dein Papa in die
Stadt gekommen und Ihr hattet wieder von den entsetzlichsten Gerüchen Euch
unterhalten, daß es einem allmählich ganz unwohl dabei wird. Siehst du wohl,
ich weiß alles ganz genau, und zuletzt wäret Ihr gerade in eurer äußersten Ver¬
zweiflung auf dem Wege zum Doktor Asche, und das ist eigentlich mehr, als


Grenzboten IV. 13L4. 19
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[0153] Pfisters Mühle. herabreichenden Zweigen der Weiden. Das Schilf war vor allem übel anzu¬ sehen, und selbst die Enten, die doch in dieser Beziehung vieles vertragen können, schienen um diese Jahreszeit immer meines Vaters Gefühle in betreff ihres beiderseitigen Haupt-Lebenselcmentes zu teilen. Sie standen angeekelt um ihn herum, blickten melancholisch von ihm auf das Mühlwasser und schienen leise gackelnd wie er zu seufzen: Und es wird von Woche zu Woche schlimmer, und von Jahr zu Jahr na¬ türlich auch! Sich' dir nur das unvernünftige Vieh an, Ebert, sagte der Alte. Auch es stellt die nämlichen Fragen an unsern Herrgott wie ich. Experimentirt er selber so schon damit im Erdinnern, na, so kann man ja wohl nichts dagegen sagen und muß ihn machen lassen; denn dann wird er's ja wohl wissen, wozu es uns gut ist. Aber — vergiften sie es, da weiter oben, in nichtsnutziger Halunkenhaftigkeit, ihm und mir und uns, na, so müßte er denn wohl am Ende mit seinem Donner dreinschlagen, wenn nicht meinetwegen, so doch seiner unschuldigen Geschöpfe halber. Guck, da kommen wiederum ein paar Barsche herunter, den Bauch nach oben; und daß man einen Aal aus dem Wasser holt, das wird nachgerade zu einer Merkwürdigkeit und Ausnahme. Kein Baum wird ihnen am Ende zu hoch, um auf ihm dem Jammer zu entgehen; und ich erlebe es noch, daß demnächst noch die Hechte ans Stubenfenster klopfen und verlangen 'reingenommen zu werden, wie Rotbrust und Meise zur Winterszeit. Zum Henker, wenn man nur nicht allmählich Lust bekäme, mit dem warmen Ofen jedwedes Mitgefühl mit seiner Mitkreatur, und sich selber dazu, kalt werden zu lassen!____ O, ich habe alles gehört, sagte Emmy. Erzähle nur ruhig weiter; ich höre alles. Es ist bloß ein Erbteil von meinem armen Papa, wenn den etwas sehr interessirte, was Mama erzählte und er in seiner Sofaecke saß, und Mama gerade wie du sagte: Kind, wozu rede ich denn eigentlich? — Er wußte nachher so ziemlich alles, wovon die Rede gewesen war, wenn er auch mit geschlossenen Augen darüber nachgedacht hatte. Und du brauchst mich nur zu fragen, lieber Ebert, ob ich dir nicht auch alles an den Fingern aufzählen kann, von dir und den Fischen in Pfisters Mühle — nein, Pfisters Mühle und deinem Papa und den Enten und allem übrigen, den Studenten und den Gästen aus der Stadt, und wie alles so sehr übel roch jedesmal, wenn seit dem Kriege mit den Franzosen und dem allgemeinen Aufschwung der Herbst kam. Und eben hatten die Leute schon gesagt: Es ist Schnee in der Luft! und du saßest in deiner Schülerstube am Fenster und wartetest drauf, und da war dein Papa in die Stadt gekommen und Ihr hattet wieder von den entsetzlichsten Gerüchen Euch unterhalten, daß es einem allmählich ganz unwohl dabei wird. Siehst du wohl, ich weiß alles ganz genau, und zuletzt wäret Ihr gerade in eurer äußersten Ver¬ zweiflung auf dem Wege zum Doktor Asche, und das ist eigentlich mehr, als Grenzboten IV. 13L4. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/153>, abgerufen am 28.12.2024.