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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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pfisters Mühle.

ihn, ganz gegen die Naturgeschichte, gleichfalls am Baum in die Höhe auf den
nächsten bequemen Ast und proklamirt das riesigste Bedürfnis, mindestens sechs
von den nächsten wiederkäuenden Kameelen abzuschlachten und sie auf den Keller
in ihrem Innern zu prüfen.

An diesen Tischen, hinter diesen Stühlen und Bänken hielt ich mich am
liebsten auf, und Emmy meinte gestern: Wenn ich bedenke, unter welchen Ge¬
fahren und Verlockungen du hier von Kindesbeinen an aufgewachsen bist, so
habe ich meinem Herrgott eigentlich tagtäglich dafür auf den Knieen zu danken,
daß ich noch so ziemlich gut davongekommen bin. Dies ist ja gräßlich! und ein
wahres Glück, daß ich bis heute keine Ahnung hiervon gehabt habe und Papa
und meine liebe selige Mama ebenfalls nicht! Na freilich, Papa sein Gesicht
und seine vernügte Freundlichkeit hinter seiner Pfeife sind vielleicht auch nicht
besser und moralischer, als sie von Gottes und Rechtswegen sein sollten; aber
was meine arme selige Mama betrifft, so sollte ich es jetzt wirklich für einen
Segen halten, daß sie leidergottes nicht uns hierher nach deiner entsetzlichen
Mühle begleiten konnte und ihre Vorgeschichte gehört hat.

Beruhige dich, Kind. Wenn die Rede zu eingehend auf euch süße Herzen,
Trösterinnen im Erdenleben, kurz, bessere Hälfte des Menschengeschlechts geriet --
Calypso und ihre Schwester gar nicht zu erwähnen --, wurde Telemcichos vom
Mentor stets mit einer Bestellung ins Haus geschickt oder kurz und bündig
aufgefordert, sich weiter wegzuscheren.

Ich danke, sagte Emmy, leider in einigem Zweifel, ob sie den Trost wirk¬
lich als ein Kompliment aufzufassen habe.

Und dann -- manchmal wurde es ja auch unserm Freund Asche zu arg,
und er nahm mich am Arm und verzog sich selber mit mir aus der Brüder
wilden Reihen.

In den Frieden der Natur! zitirte Emmy eine der mannichfachen Redens¬
arten ihres Freundes A. A. Asche.




Sechstes Blatt.
Line nachdenkliche Frage.

Wo bleiben alle die Bilder? das ist eine Frage, die Einem auf jeder
Kunstausstellung wohl einigemale an's Ohr klingt und auf die man nur deßhalb
nicht mehr achtet, weil man dieselbe sich selber bereits dann und wann gestellt
hat. Man sieht sich nicht einmal die Leute, die das Wort aussprechen, drauf
genauer an. Die Frage liegt zu sehr auf der Hand: Wo bleiben alle die Bilder?

Ein andres mit dem Aufachten und der Beantwortung ist's freilich, wenn
Einem vor all' der unendlichen bunten Leinwand in den goldenen Rahmen, die
eigene junge Frau die Bemerkung macht und uns unsre Meinung und Ansicht
darüber nicht schenken will.


pfisters Mühle.

ihn, ganz gegen die Naturgeschichte, gleichfalls am Baum in die Höhe auf den
nächsten bequemen Ast und proklamirt das riesigste Bedürfnis, mindestens sechs
von den nächsten wiederkäuenden Kameelen abzuschlachten und sie auf den Keller
in ihrem Innern zu prüfen.

An diesen Tischen, hinter diesen Stühlen und Bänken hielt ich mich am
liebsten auf, und Emmy meinte gestern: Wenn ich bedenke, unter welchen Ge¬
fahren und Verlockungen du hier von Kindesbeinen an aufgewachsen bist, so
habe ich meinem Herrgott eigentlich tagtäglich dafür auf den Knieen zu danken,
daß ich noch so ziemlich gut davongekommen bin. Dies ist ja gräßlich! und ein
wahres Glück, daß ich bis heute keine Ahnung hiervon gehabt habe und Papa
und meine liebe selige Mama ebenfalls nicht! Na freilich, Papa sein Gesicht
und seine vernügte Freundlichkeit hinter seiner Pfeife sind vielleicht auch nicht
besser und moralischer, als sie von Gottes und Rechtswegen sein sollten; aber
was meine arme selige Mama betrifft, so sollte ich es jetzt wirklich für einen
Segen halten, daß sie leidergottes nicht uns hierher nach deiner entsetzlichen
Mühle begleiten konnte und ihre Vorgeschichte gehört hat.

Beruhige dich, Kind. Wenn die Rede zu eingehend auf euch süße Herzen,
Trösterinnen im Erdenleben, kurz, bessere Hälfte des Menschengeschlechts geriet —
Calypso und ihre Schwester gar nicht zu erwähnen —, wurde Telemcichos vom
Mentor stets mit einer Bestellung ins Haus geschickt oder kurz und bündig
aufgefordert, sich weiter wegzuscheren.

Ich danke, sagte Emmy, leider in einigem Zweifel, ob sie den Trost wirk¬
lich als ein Kompliment aufzufassen habe.

Und dann — manchmal wurde es ja auch unserm Freund Asche zu arg,
und er nahm mich am Arm und verzog sich selber mit mir aus der Brüder
wilden Reihen.

In den Frieden der Natur! zitirte Emmy eine der mannichfachen Redens¬
arten ihres Freundes A. A. Asche.




Sechstes Blatt.
Line nachdenkliche Frage.

Wo bleiben alle die Bilder? das ist eine Frage, die Einem auf jeder
Kunstausstellung wohl einigemale an's Ohr klingt und auf die man nur deßhalb
nicht mehr achtet, weil man dieselbe sich selber bereits dann und wann gestellt
hat. Man sieht sich nicht einmal die Leute, die das Wort aussprechen, drauf
genauer an. Die Frage liegt zu sehr auf der Hand: Wo bleiben alle die Bilder?

Ein andres mit dem Aufachten und der Beantwortung ist's freilich, wenn
Einem vor all' der unendlichen bunten Leinwand in den goldenen Rahmen, die
eigene junge Frau die Bemerkung macht und uns unsre Meinung und Ansicht
darüber nicht schenken will.


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[0101] pfisters Mühle. ihn, ganz gegen die Naturgeschichte, gleichfalls am Baum in die Höhe auf den nächsten bequemen Ast und proklamirt das riesigste Bedürfnis, mindestens sechs von den nächsten wiederkäuenden Kameelen abzuschlachten und sie auf den Keller in ihrem Innern zu prüfen. An diesen Tischen, hinter diesen Stühlen und Bänken hielt ich mich am liebsten auf, und Emmy meinte gestern: Wenn ich bedenke, unter welchen Ge¬ fahren und Verlockungen du hier von Kindesbeinen an aufgewachsen bist, so habe ich meinem Herrgott eigentlich tagtäglich dafür auf den Knieen zu danken, daß ich noch so ziemlich gut davongekommen bin. Dies ist ja gräßlich! und ein wahres Glück, daß ich bis heute keine Ahnung hiervon gehabt habe und Papa und meine liebe selige Mama ebenfalls nicht! Na freilich, Papa sein Gesicht und seine vernügte Freundlichkeit hinter seiner Pfeife sind vielleicht auch nicht besser und moralischer, als sie von Gottes und Rechtswegen sein sollten; aber was meine arme selige Mama betrifft, so sollte ich es jetzt wirklich für einen Segen halten, daß sie leidergottes nicht uns hierher nach deiner entsetzlichen Mühle begleiten konnte und ihre Vorgeschichte gehört hat. Beruhige dich, Kind. Wenn die Rede zu eingehend auf euch süße Herzen, Trösterinnen im Erdenleben, kurz, bessere Hälfte des Menschengeschlechts geriet — Calypso und ihre Schwester gar nicht zu erwähnen —, wurde Telemcichos vom Mentor stets mit einer Bestellung ins Haus geschickt oder kurz und bündig aufgefordert, sich weiter wegzuscheren. Ich danke, sagte Emmy, leider in einigem Zweifel, ob sie den Trost wirk¬ lich als ein Kompliment aufzufassen habe. Und dann — manchmal wurde es ja auch unserm Freund Asche zu arg, und er nahm mich am Arm und verzog sich selber mit mir aus der Brüder wilden Reihen. In den Frieden der Natur! zitirte Emmy eine der mannichfachen Redens¬ arten ihres Freundes A. A. Asche. Sechstes Blatt. Line nachdenkliche Frage. Wo bleiben alle die Bilder? das ist eine Frage, die Einem auf jeder Kunstausstellung wohl einigemale an's Ohr klingt und auf die man nur deßhalb nicht mehr achtet, weil man dieselbe sich selber bereits dann und wann gestellt hat. Man sieht sich nicht einmal die Leute, die das Wort aussprechen, drauf genauer an. Die Frage liegt zu sehr auf der Hand: Wo bleiben alle die Bilder? Ein andres mit dem Aufachten und der Beantwortung ist's freilich, wenn Einem vor all' der unendlichen bunten Leinwand in den goldenen Rahmen, die eigene junge Frau die Bemerkung macht und uns unsre Meinung und Ansicht darüber nicht schenken will.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/101>, abgerufen am 27.12.2024.