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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle,

Mich persönlich ergreift sehr bald in einer solchen großen Ausstellung ein
melancholisches Unbehagen, das nicht die gewöhnliche aus dem "Bilderbesehen"
hervorgehende körperliche Ermüdung ist. Und es ergreift mich umsomehr, als ich
gottlob mich zu denen zählen darf, die wie der alte Albrecht aus Nürnberg am
liebsten ihre Kritik in die Worte fassen: Nun, die Meister haben ihr bestes
gethan! -- Wahrlich es sind nicht immer die, welche vom Publikum Meister
genannt werden und sich selber so nennen, die ihr bestes thun! Es gehört zu
manch einer mutigen, heißen, fieberhaft ihr bestes geben wollenden Seele eine
ungeschickte zaghafte Hand. --

Wo bleiben alle die Bilder? Man begegnet ihnen doch nie wieder außer¬
halb dieser Wände. Meine Bekannten haben noch nie eines von ihnen gekauft.
Und immer malen die Herren Maler andre, wenn es anch von Jahr zu Jahr
so ziemlich immer die nämlichen bleiben. Für ihren Spiegel und dergleichen
wird so eine Künstlerfrau recht bald keinen Platz übrig behalten, und wenn sie
sie nachher auch eins übers andre an die Wand lehnt, so wird sie sich doch all¬
mählich recht beschränkt fühlen. Aber vielleicht werden sie übers Meer ver¬
schickt, nach fremden Weltteilen, wo die Leute mehr Geld für so was haben
und mehr Raum an den Wänden, und wo auch die Fliegen im Sommer nicht
so unangenehm werden.

Und wo die Leute vielleicht, abgesehen vom Geld, von den Wänden und
den Fliegen, mehr Geschmack und weniger Kunstverständnis haben, mein Schatz.
Du hattest da eine Idee, Liebchen; aber ganz löst sie die Frage doch nicht: Wo
bleiben alle diese Bilder -- alle diese Wälder und Felder, Wasserfälle und
italienischen Seen, diese angenehmen Stillleben und schrecklichen Stürme zu Land
und Meer, all' das Genre, all'die Historie, diese Schlachten und Mordgeschichten?
Komm du nur noch ein paar Jahre unter meiner Führung hierher, um dein
liebes, kluges Alltagsnäschen lind dein hübsches Sonntagshütchen hier mit mir
zum besten der Kunst spazieren zu führen, und ein großes Licht soll dir aufgehen.

Darauf bin ich neugierig, du Spötter.

Es sind nur die Umrisse und die Farben, welche wechseln; Rahmen und
Leinwand bleiben. Ja ja, mein armes Kind, es würde uns, die wir selber vor¬
übergehen, den Raum arg beschränken im Leben, wenn alle Bilder blieben!

Das ist mir zu hoch, hat Emmy, Gott sei Dank, damals gesagt, und es
bleibt, jedenfalls noch für längere Zeit eines der hübschesten Bilder meines
Lebensbilderbuches, sie in unsern Flitterwochen glücklich, lächelnd, tänzelnd am
Arm zu haben, sie ans den heiligen, aber kühlen Hallen der bildenden Kunst
in den warmen Sonnenschein der menschenwimmelnden Straße und die nächste
elegante Konditorei zu führen, sie dort zierlich Eis essen zu sehen und das
Hin- und Herwogen der Tagesmoden draußen vor den glänzenden Riesen¬
spiegelscheiben mit den Bildern in ihrer Modenzeitung zu Hause vergleichen zu
hören.


Pfisters Mühle,

Mich persönlich ergreift sehr bald in einer solchen großen Ausstellung ein
melancholisches Unbehagen, das nicht die gewöhnliche aus dem „Bilderbesehen"
hervorgehende körperliche Ermüdung ist. Und es ergreift mich umsomehr, als ich
gottlob mich zu denen zählen darf, die wie der alte Albrecht aus Nürnberg am
liebsten ihre Kritik in die Worte fassen: Nun, die Meister haben ihr bestes
gethan! — Wahrlich es sind nicht immer die, welche vom Publikum Meister
genannt werden und sich selber so nennen, die ihr bestes thun! Es gehört zu
manch einer mutigen, heißen, fieberhaft ihr bestes geben wollenden Seele eine
ungeschickte zaghafte Hand. —

Wo bleiben alle die Bilder? Man begegnet ihnen doch nie wieder außer¬
halb dieser Wände. Meine Bekannten haben noch nie eines von ihnen gekauft.
Und immer malen die Herren Maler andre, wenn es anch von Jahr zu Jahr
so ziemlich immer die nämlichen bleiben. Für ihren Spiegel und dergleichen
wird so eine Künstlerfrau recht bald keinen Platz übrig behalten, und wenn sie
sie nachher auch eins übers andre an die Wand lehnt, so wird sie sich doch all¬
mählich recht beschränkt fühlen. Aber vielleicht werden sie übers Meer ver¬
schickt, nach fremden Weltteilen, wo die Leute mehr Geld für so was haben
und mehr Raum an den Wänden, und wo auch die Fliegen im Sommer nicht
so unangenehm werden.

Und wo die Leute vielleicht, abgesehen vom Geld, von den Wänden und
den Fliegen, mehr Geschmack und weniger Kunstverständnis haben, mein Schatz.
Du hattest da eine Idee, Liebchen; aber ganz löst sie die Frage doch nicht: Wo
bleiben alle diese Bilder — alle diese Wälder und Felder, Wasserfälle und
italienischen Seen, diese angenehmen Stillleben und schrecklichen Stürme zu Land
und Meer, all' das Genre, all'die Historie, diese Schlachten und Mordgeschichten?
Komm du nur noch ein paar Jahre unter meiner Führung hierher, um dein
liebes, kluges Alltagsnäschen lind dein hübsches Sonntagshütchen hier mit mir
zum besten der Kunst spazieren zu führen, und ein großes Licht soll dir aufgehen.

Darauf bin ich neugierig, du Spötter.

Es sind nur die Umrisse und die Farben, welche wechseln; Rahmen und
Leinwand bleiben. Ja ja, mein armes Kind, es würde uns, die wir selber vor¬
übergehen, den Raum arg beschränken im Leben, wenn alle Bilder blieben!

Das ist mir zu hoch, hat Emmy, Gott sei Dank, damals gesagt, und es
bleibt, jedenfalls noch für längere Zeit eines der hübschesten Bilder meines
Lebensbilderbuches, sie in unsern Flitterwochen glücklich, lächelnd, tänzelnd am
Arm zu haben, sie ans den heiligen, aber kühlen Hallen der bildenden Kunst
in den warmen Sonnenschein der menschenwimmelnden Straße und die nächste
elegante Konditorei zu führen, sie dort zierlich Eis essen zu sehen und das
Hin- und Herwogen der Tagesmoden draußen vor den glänzenden Riesen¬
spiegelscheiben mit den Bildern in ihrer Modenzeitung zu Hause vergleichen zu
hören.


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[0102] Pfisters Mühle, Mich persönlich ergreift sehr bald in einer solchen großen Ausstellung ein melancholisches Unbehagen, das nicht die gewöhnliche aus dem „Bilderbesehen" hervorgehende körperliche Ermüdung ist. Und es ergreift mich umsomehr, als ich gottlob mich zu denen zählen darf, die wie der alte Albrecht aus Nürnberg am liebsten ihre Kritik in die Worte fassen: Nun, die Meister haben ihr bestes gethan! — Wahrlich es sind nicht immer die, welche vom Publikum Meister genannt werden und sich selber so nennen, die ihr bestes thun! Es gehört zu manch einer mutigen, heißen, fieberhaft ihr bestes geben wollenden Seele eine ungeschickte zaghafte Hand. — Wo bleiben alle die Bilder? Man begegnet ihnen doch nie wieder außer¬ halb dieser Wände. Meine Bekannten haben noch nie eines von ihnen gekauft. Und immer malen die Herren Maler andre, wenn es anch von Jahr zu Jahr so ziemlich immer die nämlichen bleiben. Für ihren Spiegel und dergleichen wird so eine Künstlerfrau recht bald keinen Platz übrig behalten, und wenn sie sie nachher auch eins übers andre an die Wand lehnt, so wird sie sich doch all¬ mählich recht beschränkt fühlen. Aber vielleicht werden sie übers Meer ver¬ schickt, nach fremden Weltteilen, wo die Leute mehr Geld für so was haben und mehr Raum an den Wänden, und wo auch die Fliegen im Sommer nicht so unangenehm werden. Und wo die Leute vielleicht, abgesehen vom Geld, von den Wänden und den Fliegen, mehr Geschmack und weniger Kunstverständnis haben, mein Schatz. Du hattest da eine Idee, Liebchen; aber ganz löst sie die Frage doch nicht: Wo bleiben alle diese Bilder — alle diese Wälder und Felder, Wasserfälle und italienischen Seen, diese angenehmen Stillleben und schrecklichen Stürme zu Land und Meer, all' das Genre, all'die Historie, diese Schlachten und Mordgeschichten? Komm du nur noch ein paar Jahre unter meiner Führung hierher, um dein liebes, kluges Alltagsnäschen lind dein hübsches Sonntagshütchen hier mit mir zum besten der Kunst spazieren zu führen, und ein großes Licht soll dir aufgehen. Darauf bin ich neugierig, du Spötter. Es sind nur die Umrisse und die Farben, welche wechseln; Rahmen und Leinwand bleiben. Ja ja, mein armes Kind, es würde uns, die wir selber vor¬ übergehen, den Raum arg beschränken im Leben, wenn alle Bilder blieben! Das ist mir zu hoch, hat Emmy, Gott sei Dank, damals gesagt, und es bleibt, jedenfalls noch für längere Zeit eines der hübschesten Bilder meines Lebensbilderbuches, sie in unsern Flitterwochen glücklich, lächelnd, tänzelnd am Arm zu haben, sie ans den heiligen, aber kühlen Hallen der bildenden Kunst in den warmen Sonnenschein der menschenwimmelnden Straße und die nächste elegante Konditorei zu führen, sie dort zierlich Eis essen zu sehen und das Hin- und Herwogen der Tagesmoden draußen vor den glänzenden Riesen¬ spiegelscheiben mit den Bildern in ihrer Modenzeitung zu Hause vergleichen zu hören.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/102>, abgerufen am 28.12.2024.