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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Literatur.

Rasen, diesen Bäumen und diesen Mauern. Ich vermochte Torcello nur an
den Tagen zu verlassen, wo ich an ihre Gruft in San Giorgio dei Schiavoni
die ersten und die letzten Rosen dieses Gartens brachte. Um mein Leben nicht
ungenützt verstreichen zu lassen, nahm ich die Arbeit auf mich, zu der ich im
Elternhause und in den besten, seligen Monaten hier eine schwache Neigung
gespürt. Sie wissen, daß ich sie so gut gethan habe, wie uns etwas in dieser
gebrechlichen Welt vergönnt ist. Sie können in gelehrten Zeitungen und Jahres¬
berichten lesen, daß Felice Constantini, um seinen ragusanischen und dalmatinischen
Geschichten die höchste Vollendung zu geben, sein Leben beharrlich in der Ein¬
samkeit von Torcello verbracht habe. Jetzt wissen Sie, daß mich Merlins Ge¬
schick in diese Enge geführt hat und mich hier festhält. Vivianes Wort,
Vivicmes Schatten, nur reiner, verklärter. Ich habe es nach schweren Mühen
erreicht, daß Gabriellas Staub dereinst mit dem meinen vereint unter den
Chpressen dort seitwärts ruhen wird. Bis es dahin kommt, will ich thun, was
Ihr Zauberer Merlin that. Ich lasse die Monde und die Jahre kommen und
gehen, lasse Thau und Regen auf diesem grünen Geheg wechseln, ich sehe die
Büsche und Bäume wachsen und die Wolken darüber hinziehen. Ich sehe auf
die Lagune hinaus, über welche dieselbe Sonne glänzt, in deren Licht sie einst
geschieden. Ich sehe im Dunkel die längst nicht mehr geschauten Züge vor
meinen Augen, und der Klang ihrer Stimme, den ich seit vierzig Jahren nicht
vernommen, dringt hell und silbern in diesen Lauben und zwischen jenen Wänden
an mein Ohr!

Behüte Sie der Himmel, Signor Federigo! Möge in Ihrem Geschick
frisches Leben und lichte Erinnerung glücklicher verteilt sein, lange Jahre des
Lebens, kurze Monde der Erinnerung! Aber Sie können nichts Besseres leben,
als ich gelebt habe, wir alle können es nicht. Lassen Sie uns ins Haus treten,
Michele hat längst die Lichter angezündet und unser bescheidnes Mahl gerüstet!

Der junge Deutsche drückte seinem alten Gastfreunde stumm die Hand. Dann
richteten sich beider Blicke nach der Lagune hinaus, die im Nachtdunkel völlig
unbeweglich schien. Über sie hinweg grüßten beide gleichbewegt nach der
fernen Stadt: Felice Constantini die tote, Friedrich Carstens die lebende Ge¬
liebte.




Literatur.
Der kleine Staatsbürger. Ein Wegweiser durchs öffentliche Leben für das deutsche
Volk. Von Max Haushofer. Stuttgart, Julius Maier, 1S83.

Die Absicht des Verfassers dieser kleinen Schrift war, ein Volksbuch zu schaffen,
welches den Hausvater und den Lehrer in den Stand setzen sollte, in den heran¬
wachsenden Söhnen den Sinn für Gesetz und Recht zu wecken und zu Pflegen.
Es sollte eine Art Leitfaden oder Katechismus für einfache, nur mit schlichter


Literatur.

Rasen, diesen Bäumen und diesen Mauern. Ich vermochte Torcello nur an
den Tagen zu verlassen, wo ich an ihre Gruft in San Giorgio dei Schiavoni
die ersten und die letzten Rosen dieses Gartens brachte. Um mein Leben nicht
ungenützt verstreichen zu lassen, nahm ich die Arbeit auf mich, zu der ich im
Elternhause und in den besten, seligen Monaten hier eine schwache Neigung
gespürt. Sie wissen, daß ich sie so gut gethan habe, wie uns etwas in dieser
gebrechlichen Welt vergönnt ist. Sie können in gelehrten Zeitungen und Jahres¬
berichten lesen, daß Felice Constantini, um seinen ragusanischen und dalmatinischen
Geschichten die höchste Vollendung zu geben, sein Leben beharrlich in der Ein¬
samkeit von Torcello verbracht habe. Jetzt wissen Sie, daß mich Merlins Ge¬
schick in diese Enge geführt hat und mich hier festhält. Vivianes Wort,
Vivicmes Schatten, nur reiner, verklärter. Ich habe es nach schweren Mühen
erreicht, daß Gabriellas Staub dereinst mit dem meinen vereint unter den
Chpressen dort seitwärts ruhen wird. Bis es dahin kommt, will ich thun, was
Ihr Zauberer Merlin that. Ich lasse die Monde und die Jahre kommen und
gehen, lasse Thau und Regen auf diesem grünen Geheg wechseln, ich sehe die
Büsche und Bäume wachsen und die Wolken darüber hinziehen. Ich sehe auf
die Lagune hinaus, über welche dieselbe Sonne glänzt, in deren Licht sie einst
geschieden. Ich sehe im Dunkel die längst nicht mehr geschauten Züge vor
meinen Augen, und der Klang ihrer Stimme, den ich seit vierzig Jahren nicht
vernommen, dringt hell und silbern in diesen Lauben und zwischen jenen Wänden
an mein Ohr!

Behüte Sie der Himmel, Signor Federigo! Möge in Ihrem Geschick
frisches Leben und lichte Erinnerung glücklicher verteilt sein, lange Jahre des
Lebens, kurze Monde der Erinnerung! Aber Sie können nichts Besseres leben,
als ich gelebt habe, wir alle können es nicht. Lassen Sie uns ins Haus treten,
Michele hat längst die Lichter angezündet und unser bescheidnes Mahl gerüstet!

Der junge Deutsche drückte seinem alten Gastfreunde stumm die Hand. Dann
richteten sich beider Blicke nach der Lagune hinaus, die im Nachtdunkel völlig
unbeweglich schien. Über sie hinweg grüßten beide gleichbewegt nach der
fernen Stadt: Felice Constantini die tote, Friedrich Carstens die lebende Ge¬
liebte.




Literatur.
Der kleine Staatsbürger. Ein Wegweiser durchs öffentliche Leben für das deutsche
Volk. Von Max Haushofer. Stuttgart, Julius Maier, 1S83.

Die Absicht des Verfassers dieser kleinen Schrift war, ein Volksbuch zu schaffen,
welches den Hausvater und den Lehrer in den Stand setzen sollte, in den heran¬
wachsenden Söhnen den Sinn für Gesetz und Recht zu wecken und zu Pflegen.
Es sollte eine Art Leitfaden oder Katechismus für einfache, nur mit schlichter


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[0705] Literatur. Rasen, diesen Bäumen und diesen Mauern. Ich vermochte Torcello nur an den Tagen zu verlassen, wo ich an ihre Gruft in San Giorgio dei Schiavoni die ersten und die letzten Rosen dieses Gartens brachte. Um mein Leben nicht ungenützt verstreichen zu lassen, nahm ich die Arbeit auf mich, zu der ich im Elternhause und in den besten, seligen Monaten hier eine schwache Neigung gespürt. Sie wissen, daß ich sie so gut gethan habe, wie uns etwas in dieser gebrechlichen Welt vergönnt ist. Sie können in gelehrten Zeitungen und Jahres¬ berichten lesen, daß Felice Constantini, um seinen ragusanischen und dalmatinischen Geschichten die höchste Vollendung zu geben, sein Leben beharrlich in der Ein¬ samkeit von Torcello verbracht habe. Jetzt wissen Sie, daß mich Merlins Ge¬ schick in diese Enge geführt hat und mich hier festhält. Vivianes Wort, Vivicmes Schatten, nur reiner, verklärter. Ich habe es nach schweren Mühen erreicht, daß Gabriellas Staub dereinst mit dem meinen vereint unter den Chpressen dort seitwärts ruhen wird. Bis es dahin kommt, will ich thun, was Ihr Zauberer Merlin that. Ich lasse die Monde und die Jahre kommen und gehen, lasse Thau und Regen auf diesem grünen Geheg wechseln, ich sehe die Büsche und Bäume wachsen und die Wolken darüber hinziehen. Ich sehe auf die Lagune hinaus, über welche dieselbe Sonne glänzt, in deren Licht sie einst geschieden. Ich sehe im Dunkel die längst nicht mehr geschauten Züge vor meinen Augen, und der Klang ihrer Stimme, den ich seit vierzig Jahren nicht vernommen, dringt hell und silbern in diesen Lauben und zwischen jenen Wänden an mein Ohr! Behüte Sie der Himmel, Signor Federigo! Möge in Ihrem Geschick frisches Leben und lichte Erinnerung glücklicher verteilt sein, lange Jahre des Lebens, kurze Monde der Erinnerung! Aber Sie können nichts Besseres leben, als ich gelebt habe, wir alle können es nicht. Lassen Sie uns ins Haus treten, Michele hat längst die Lichter angezündet und unser bescheidnes Mahl gerüstet! Der junge Deutsche drückte seinem alten Gastfreunde stumm die Hand. Dann richteten sich beider Blicke nach der Lagune hinaus, die im Nachtdunkel völlig unbeweglich schien. Über sie hinweg grüßten beide gleichbewegt nach der fernen Stadt: Felice Constantini die tote, Friedrich Carstens die lebende Ge¬ liebte. Literatur. Der kleine Staatsbürger. Ein Wegweiser durchs öffentliche Leben für das deutsche Volk. Von Max Haushofer. Stuttgart, Julius Maier, 1S83. Die Absicht des Verfassers dieser kleinen Schrift war, ein Volksbuch zu schaffen, welches den Hausvater und den Lehrer in den Stand setzen sollte, in den heran¬ wachsenden Söhnen den Sinn für Gesetz und Recht zu wecken und zu Pflegen. Es sollte eine Art Leitfaden oder Katechismus für einfache, nur mit schlichter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/705>, abgerufen am 13.11.2024.