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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neuere Kunstliteratur.

as gleichzeitige Erscheinen neuer Auflagen von zwei Monographien,
die gleichsam zu de" Grundvesten unsrer kunstwissenschaftlicher
Literatur gehören, giebt uns Veranlassung, einen Rückblick auf
die wichtigste"? Publikationen dieses Liternturzweiges zu werfe",
. welche während des laufenden Jahres an de" Tag getreten sind.
Der Ausdruck "Monographie" trifft eigentlich mir auf das eine dieser 8tMäMä-
dook-z, auf Thausings Dürer zu. Denn das andre ist Springers berühmte
Doppclbiographie, welche sich mit dem Leben Raffaels und Michelangelos
beschäftigt. Beide Werke sind im Scemcmuschen Verlage in Leipzig erschienen.
War schon ihre erste Auflage ein Ereignis innerhalb der Gemeinde der Kunst-
gelehrten, welche freilich diesen Namen noch weniger verdient als jede andre
Gelehrtengemeinde, so sah man der zweiten Auflage dieser Bücher mit großer
Spannung entgegen, weil man begierig war zu sehen, wie ihre Autoren sich
den Resultaten neuerer Forschungen gegenüber verhalten, was und wieviel davon
sie in den Rahmen ihrer Darstellungen aufnehmen würden. Die Spannung
nahm sogar ein gewisses dramatisches Interesse an, weil Springer eines der
wesentlichsten Ergebnisse der Thausingschen Forschung einer zu einem entgegen¬
gesetzten Resultate führenden Kritik unterzogen und Thausing in seiner Rezension
des Springcrschen Buches auf manche ihm schwach erscheinende Stelle mit einer
gewissen Schärfe hingewiesen hatte. Man war also gespannt zu scheu, inwie¬
weit die beiden Kämpen einander Recht oder Unrecht geben würden.

Umso größer ist das Erstaunen, um nicht zu sage" die Enttäuschung,
welche die neuen Auflagen hervorgerufen haben. Ist soviel Scharfsinn umsonst
aufgeboten worden oder sind es nur Scheingefechte gewesen, welche die beiden
berühmten Kunsthistoriker einander geliefert haben? Jeder ist fest auf dem ein¬
mal abgesteckten Terrain stehen geblieben und dem Gegner nicht um eines
Fingers Breite gewichen. Die neueren Auflagen unterscheiden sich zwar äußerlich
von den früheren, indem der Verleger mit geschickter Hand für ein handlicheres
Format und für eine Vermehrung und Verbesserung der Illustrationen gesorgt
hat. Beide Werke Präsentiren sich jetzt in je zwei Oktavbänden nach englischem
Muster und gelangen, gleichfalls nach englischer Sitte, in haltbaren Leinwand¬
decken auf den Markt, ein Verfahren, dessen Nachahmung man allen deutschen
Verlegern nicht dringend genug ans Herz legen kann, da dem Bücherkäufer
dadurch mancher Verdruß erspart wird. Das innere Gefüge beider Bücher aber
ist nach keiner Richtung verändert und keines ihrer Fundamente ist als un-


Neuere Kunstliteratur.

as gleichzeitige Erscheinen neuer Auflagen von zwei Monographien,
die gleichsam zu de» Grundvesten unsrer kunstwissenschaftlicher
Literatur gehören, giebt uns Veranlassung, einen Rückblick auf
die wichtigste«? Publikationen dieses Liternturzweiges zu werfe»,
. welche während des laufenden Jahres an de» Tag getreten sind.
Der Ausdruck „Monographie" trifft eigentlich mir auf das eine dieser 8tMäMä-
dook-z, auf Thausings Dürer zu. Denn das andre ist Springers berühmte
Doppclbiographie, welche sich mit dem Leben Raffaels und Michelangelos
beschäftigt. Beide Werke sind im Scemcmuschen Verlage in Leipzig erschienen.
War schon ihre erste Auflage ein Ereignis innerhalb der Gemeinde der Kunst-
gelehrten, welche freilich diesen Namen noch weniger verdient als jede andre
Gelehrtengemeinde, so sah man der zweiten Auflage dieser Bücher mit großer
Spannung entgegen, weil man begierig war zu sehen, wie ihre Autoren sich
den Resultaten neuerer Forschungen gegenüber verhalten, was und wieviel davon
sie in den Rahmen ihrer Darstellungen aufnehmen würden. Die Spannung
nahm sogar ein gewisses dramatisches Interesse an, weil Springer eines der
wesentlichsten Ergebnisse der Thausingschen Forschung einer zu einem entgegen¬
gesetzten Resultate führenden Kritik unterzogen und Thausing in seiner Rezension
des Springcrschen Buches auf manche ihm schwach erscheinende Stelle mit einer
gewissen Schärfe hingewiesen hatte. Man war also gespannt zu scheu, inwie¬
weit die beiden Kämpen einander Recht oder Unrecht geben würden.

Umso größer ist das Erstaunen, um nicht zu sage» die Enttäuschung,
welche die neuen Auflagen hervorgerufen haben. Ist soviel Scharfsinn umsonst
aufgeboten worden oder sind es nur Scheingefechte gewesen, welche die beiden
berühmten Kunsthistoriker einander geliefert haben? Jeder ist fest auf dem ein¬
mal abgesteckten Terrain stehen geblieben und dem Gegner nicht um eines
Fingers Breite gewichen. Die neueren Auflagen unterscheiden sich zwar äußerlich
von den früheren, indem der Verleger mit geschickter Hand für ein handlicheres
Format und für eine Vermehrung und Verbesserung der Illustrationen gesorgt
hat. Beide Werke Präsentiren sich jetzt in je zwei Oktavbänden nach englischem
Muster und gelangen, gleichfalls nach englischer Sitte, in haltbaren Leinwand¬
decken auf den Markt, ein Verfahren, dessen Nachahmung man allen deutschen
Verlegern nicht dringend genug ans Herz legen kann, da dem Bücherkäufer
dadurch mancher Verdruß erspart wird. Das innere Gefüge beider Bücher aber
ist nach keiner Richtung verändert und keines ihrer Fundamente ist als un-


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[0456] Neuere Kunstliteratur. as gleichzeitige Erscheinen neuer Auflagen von zwei Monographien, die gleichsam zu de» Grundvesten unsrer kunstwissenschaftlicher Literatur gehören, giebt uns Veranlassung, einen Rückblick auf die wichtigste«? Publikationen dieses Liternturzweiges zu werfe», . welche während des laufenden Jahres an de» Tag getreten sind. Der Ausdruck „Monographie" trifft eigentlich mir auf das eine dieser 8tMäMä- dook-z, auf Thausings Dürer zu. Denn das andre ist Springers berühmte Doppclbiographie, welche sich mit dem Leben Raffaels und Michelangelos beschäftigt. Beide Werke sind im Scemcmuschen Verlage in Leipzig erschienen. War schon ihre erste Auflage ein Ereignis innerhalb der Gemeinde der Kunst- gelehrten, welche freilich diesen Namen noch weniger verdient als jede andre Gelehrtengemeinde, so sah man der zweiten Auflage dieser Bücher mit großer Spannung entgegen, weil man begierig war zu sehen, wie ihre Autoren sich den Resultaten neuerer Forschungen gegenüber verhalten, was und wieviel davon sie in den Rahmen ihrer Darstellungen aufnehmen würden. Die Spannung nahm sogar ein gewisses dramatisches Interesse an, weil Springer eines der wesentlichsten Ergebnisse der Thausingschen Forschung einer zu einem entgegen¬ gesetzten Resultate führenden Kritik unterzogen und Thausing in seiner Rezension des Springcrschen Buches auf manche ihm schwach erscheinende Stelle mit einer gewissen Schärfe hingewiesen hatte. Man war also gespannt zu scheu, inwie¬ weit die beiden Kämpen einander Recht oder Unrecht geben würden. Umso größer ist das Erstaunen, um nicht zu sage» die Enttäuschung, welche die neuen Auflagen hervorgerufen haben. Ist soviel Scharfsinn umsonst aufgeboten worden oder sind es nur Scheingefechte gewesen, welche die beiden berühmten Kunsthistoriker einander geliefert haben? Jeder ist fest auf dem ein¬ mal abgesteckten Terrain stehen geblieben und dem Gegner nicht um eines Fingers Breite gewichen. Die neueren Auflagen unterscheiden sich zwar äußerlich von den früheren, indem der Verleger mit geschickter Hand für ein handlicheres Format und für eine Vermehrung und Verbesserung der Illustrationen gesorgt hat. Beide Werke Präsentiren sich jetzt in je zwei Oktavbänden nach englischem Muster und gelangen, gleichfalls nach englischer Sitte, in haltbaren Leinwand¬ decken auf den Markt, ein Verfahren, dessen Nachahmung man allen deutschen Verlegern nicht dringend genug ans Herz legen kann, da dem Bücherkäufer dadurch mancher Verdruß erspart wird. Das innere Gefüge beider Bücher aber ist nach keiner Richtung verändert und keines ihrer Fundamente ist als un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/456>, abgerufen am 27.07.2024.