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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Lrancesca von Rimini.

Jetzt wißt Ihr, Signor Oswaldo, die Geschichte von dem Palazzo bei
San Giuliano, und auch wir sind gerade bei der Rocca Malatesta wieder in
die Stadt gelangt und müssen nun zu unserm Hanse, Seht Euch die Woh¬
nung an, wenn sie Euch gefällt, dann will ich mit dem Marchese sprechen, daß
er sie Euch abläßt.

Ich möchte Euch nicht bemühen, Signor Rebccchini, und kann ja auch selbst
mit Don Baldassare sprechen.

Das möchte Euch verdammt wenig nützen, Signor Oswaldo, denn der
Marchese ist ein stiller Mann geworden, der höchstens dann und wann einmal
mich bei sich empfängt und im übrigen nur seiner Tochter und seinen Büchern
lebt. Er ist einer der vorzüglichsten Dantekenner unsrer Zeit und hat sogar
mit einem Eurer vielen Könige, es war der von Sachsen, in fortwährendem
Briefwechsel gestanden. Wenn Ihr aber die Marchesina Francesca sehen werdet,
dann könnt Ihr Euch eine Vorstellung machen, wie ihre Mutter den beiden
Marchesen den Kopf verrückte. Sie ist ganz das Ebenbild der Mutter mit dem
glänzenden schwarzen Haar, dem schlanken Wuchs und den strahlenden Angen,
welche voll Ernst und Unschuld in die Welt sehen. Ihr werdet begreifen, wie
für sie nur ein Mensch -- Don Baldassare -- in der Welt existirt.

10,

Oswald war durch diese Geschichte schon so sehr für die beteiligten Per¬
sonen eingenommen, daß er, auch ohne das Quartier zu sehen, sofort den Signor
Rcbecchini gebeten haben würde, für ihn bei dem Marchese einzutreten. Er war
aber besonnen genug, seinen Wunsch zu zügeln, um nicht ungegründeten Ver¬
dacht zu erwecken. Er besah sich des andern Tages die Wohnung, ohne daß
er jedoch einen der Hausbewohner zu Gesicht bekam, und er fand, daß erstere
ganz seinen Bedürfnissen entsprach, und daß sich namentlich das eine Zimmer in
ein Atelier umwandeln ließ. Signor Rebccchini mußte deu Vermittler machen;
eine Unterredung, welche der Marchese mit Oswald hatte, stimmte den erster"
für diesen günstig, und so fand sich unser Freund wenige Tage nach dem
Spaziergang mit dem Archivar in dem Paläste Serradisetti eingerichtet.

Bei seinem ersten Besuch, den der neue Hausbewohner, wie üblich,
seinem Wirte machte, lernte er auch die Marchesina Francesca kennen. Im
übrigen aber bekam Oswald in den ersten Wochen seines Aufenthalts von
seinen Mitbewohnern wenig zu hören und zu sehen. Nur dann und wann
begegnete er Francesca im Hause und wechselte mit ihr einige höfliche Worte.
In dieser Stille lebte Oswald wieder auf, seine jugendliche, zähe Natur wurde
von den Seebädern neu gekräftigt, und er konnte in seinem neuen Atelier mit
Eifer an der Ausführung verschiedner Skizzen arbeiten. Diese Ruhe und Arbeit
brachte auch in sein Gemüt wieder das nötige Gleichgewicht. So ging der
Sommer vorüber, ohne daß Oswald nur irgendwie Miene machte, Rimini zu


Lrancesca von Rimini.

Jetzt wißt Ihr, Signor Oswaldo, die Geschichte von dem Palazzo bei
San Giuliano, und auch wir sind gerade bei der Rocca Malatesta wieder in
die Stadt gelangt und müssen nun zu unserm Hanse, Seht Euch die Woh¬
nung an, wenn sie Euch gefällt, dann will ich mit dem Marchese sprechen, daß
er sie Euch abläßt.

Ich möchte Euch nicht bemühen, Signor Rebccchini, und kann ja auch selbst
mit Don Baldassare sprechen.

Das möchte Euch verdammt wenig nützen, Signor Oswaldo, denn der
Marchese ist ein stiller Mann geworden, der höchstens dann und wann einmal
mich bei sich empfängt und im übrigen nur seiner Tochter und seinen Büchern
lebt. Er ist einer der vorzüglichsten Dantekenner unsrer Zeit und hat sogar
mit einem Eurer vielen Könige, es war der von Sachsen, in fortwährendem
Briefwechsel gestanden. Wenn Ihr aber die Marchesina Francesca sehen werdet,
dann könnt Ihr Euch eine Vorstellung machen, wie ihre Mutter den beiden
Marchesen den Kopf verrückte. Sie ist ganz das Ebenbild der Mutter mit dem
glänzenden schwarzen Haar, dem schlanken Wuchs und den strahlenden Angen,
welche voll Ernst und Unschuld in die Welt sehen. Ihr werdet begreifen, wie
für sie nur ein Mensch — Don Baldassare — in der Welt existirt.

10,

Oswald war durch diese Geschichte schon so sehr für die beteiligten Per¬
sonen eingenommen, daß er, auch ohne das Quartier zu sehen, sofort den Signor
Rcbecchini gebeten haben würde, für ihn bei dem Marchese einzutreten. Er war
aber besonnen genug, seinen Wunsch zu zügeln, um nicht ungegründeten Ver¬
dacht zu erwecken. Er besah sich des andern Tages die Wohnung, ohne daß
er jedoch einen der Hausbewohner zu Gesicht bekam, und er fand, daß erstere
ganz seinen Bedürfnissen entsprach, und daß sich namentlich das eine Zimmer in
ein Atelier umwandeln ließ. Signor Rebccchini mußte deu Vermittler machen;
eine Unterredung, welche der Marchese mit Oswald hatte, stimmte den erster»
für diesen günstig, und so fand sich unser Freund wenige Tage nach dem
Spaziergang mit dem Archivar in dem Paläste Serradisetti eingerichtet.

Bei seinem ersten Besuch, den der neue Hausbewohner, wie üblich,
seinem Wirte machte, lernte er auch die Marchesina Francesca kennen. Im
übrigen aber bekam Oswald in den ersten Wochen seines Aufenthalts von
seinen Mitbewohnern wenig zu hören und zu sehen. Nur dann und wann
begegnete er Francesca im Hause und wechselte mit ihr einige höfliche Worte.
In dieser Stille lebte Oswald wieder auf, seine jugendliche, zähe Natur wurde
von den Seebädern neu gekräftigt, und er konnte in seinem neuen Atelier mit
Eifer an der Ausführung verschiedner Skizzen arbeiten. Diese Ruhe und Arbeit
brachte auch in sein Gemüt wieder das nötige Gleichgewicht. So ging der
Sommer vorüber, ohne daß Oswald nur irgendwie Miene machte, Rimini zu


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[0412] Lrancesca von Rimini. Jetzt wißt Ihr, Signor Oswaldo, die Geschichte von dem Palazzo bei San Giuliano, und auch wir sind gerade bei der Rocca Malatesta wieder in die Stadt gelangt und müssen nun zu unserm Hanse, Seht Euch die Woh¬ nung an, wenn sie Euch gefällt, dann will ich mit dem Marchese sprechen, daß er sie Euch abläßt. Ich möchte Euch nicht bemühen, Signor Rebccchini, und kann ja auch selbst mit Don Baldassare sprechen. Das möchte Euch verdammt wenig nützen, Signor Oswaldo, denn der Marchese ist ein stiller Mann geworden, der höchstens dann und wann einmal mich bei sich empfängt und im übrigen nur seiner Tochter und seinen Büchern lebt. Er ist einer der vorzüglichsten Dantekenner unsrer Zeit und hat sogar mit einem Eurer vielen Könige, es war der von Sachsen, in fortwährendem Briefwechsel gestanden. Wenn Ihr aber die Marchesina Francesca sehen werdet, dann könnt Ihr Euch eine Vorstellung machen, wie ihre Mutter den beiden Marchesen den Kopf verrückte. Sie ist ganz das Ebenbild der Mutter mit dem glänzenden schwarzen Haar, dem schlanken Wuchs und den strahlenden Angen, welche voll Ernst und Unschuld in die Welt sehen. Ihr werdet begreifen, wie für sie nur ein Mensch — Don Baldassare — in der Welt existirt. 10, Oswald war durch diese Geschichte schon so sehr für die beteiligten Per¬ sonen eingenommen, daß er, auch ohne das Quartier zu sehen, sofort den Signor Rcbecchini gebeten haben würde, für ihn bei dem Marchese einzutreten. Er war aber besonnen genug, seinen Wunsch zu zügeln, um nicht ungegründeten Ver¬ dacht zu erwecken. Er besah sich des andern Tages die Wohnung, ohne daß er jedoch einen der Hausbewohner zu Gesicht bekam, und er fand, daß erstere ganz seinen Bedürfnissen entsprach, und daß sich namentlich das eine Zimmer in ein Atelier umwandeln ließ. Signor Rebccchini mußte deu Vermittler machen; eine Unterredung, welche der Marchese mit Oswald hatte, stimmte den erster» für diesen günstig, und so fand sich unser Freund wenige Tage nach dem Spaziergang mit dem Archivar in dem Paläste Serradisetti eingerichtet. Bei seinem ersten Besuch, den der neue Hausbewohner, wie üblich, seinem Wirte machte, lernte er auch die Marchesina Francesca kennen. Im übrigen aber bekam Oswald in den ersten Wochen seines Aufenthalts von seinen Mitbewohnern wenig zu hören und zu sehen. Nur dann und wann begegnete er Francesca im Hause und wechselte mit ihr einige höfliche Worte. In dieser Stille lebte Oswald wieder auf, seine jugendliche, zähe Natur wurde von den Seebädern neu gekräftigt, und er konnte in seinem neuen Atelier mit Eifer an der Ausführung verschiedner Skizzen arbeiten. Diese Ruhe und Arbeit brachte auch in sein Gemüt wieder das nötige Gleichgewicht. So ging der Sommer vorüber, ohne daß Oswald nur irgendwie Miene machte, Rimini zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/412>, abgerufen am 13.11.2024.