Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Francesca von Rimini,

verlassen. Er schickte mehrere Bilder zur Ausstellung nach Berlin und hatte
die Freude, dieselben zu guten Preisen zu verkaufen, sodaß er für die nächsten
Jahre sorglos der Zukunft entgegensehen konnte. Bevor er die Bilder absandte,
bat er Francesca und durch sie den Marchese, sich seine Werke anzusehen. Don
Baldassare ließ sich entschuldigen, wohl aber kam Francesca der Einladung nach.
Ohne besonders kunstverständig zu sein, hatte sie doch eine feine Empfindung
für das Schöne, die Oswald in Erstaunen setzte und ihn häusiger veranlaßte,
bei ihr Rat einzuholen. So kam es denn, daß Francesca hin und wieder das
Atelier besuchte, daß auch Don Baldassare dem Gaste gegenüber mehr zugäng¬
lich wurde und ihm zuletzt sogar die Erlaubnis gewährte, von Francesca ein
Porträt malen zu dürfen. Auch wurde Oswald des Abends zum Thee ein¬
geladen, zu welchem sich zuweilen auch Signor Nebccchini einfand, und so ver¬
ewigte bald die Theestunde die Bewohner des Hauses zu ihrer gegenseitige,?
Erholung in der Bibliothek des Marchese. Wenn Rebecchini anwesend war, so
führte dieser die große Unterhaltung, indem er fortwährend nach seiner Art auf
die Österreicher, Päpste und Bourbonen schimpfte, und Don Baldassare war
gütig genug, dem treuen Freunde in Geduld zuzuhören, während die junge Ge¬
sellschaft leise sich miteinander unterhielt. Genußreicher war es, wenn der
Archivar fern blieb, denn dann ließ sich der Marchese aus seinem großen Wissens¬
schatz vernehmen, und entzückte seine Zuhörer, wenn er ihnen von seinen Dante-
forschungen mitteilte. Er bekannte, daß die alpina eoinmöäig, das einzige Buch
gewesen sei, welches ihn in seiner Trübsal aufrecht erhalten habe, weil kein
andrer Dichter wie Dante den geheimsten Regungen des Herzens so nachzuspüren
vermöchte. Oswald mußte beschämt gestehen, daß er es noch niemals über sich
habe gewinnen können, sich an die Lektüre dieses Buches zu wagen, zu dessen
Verständnis erst das Durcharbeiten durch den gelehrten Apparat dickleibiger
Kommentare erforderlich wäre. Auch mußte er gestehen, daß in seiner Heimat
ein sehr frivoles Urteil von Heinrich Heine der Dantekunde in der jüngeren
Generation sehr geschadet habe, und daß es nur eine sehr kleine Gemeinde gebe,
welche sich mit dem berühmten Dichter beschäftige. Francesca stand in der Be¬
geisterung zu Dante ihren: Oheim nicht nach, und sie erbot sich mit Einwil¬
ligung des letzter", während sie dem Maler zu ihrem Porträt sitzen sollte, ihm
als Gegengeschenk die göttliche Komödie vorzulesen und zu erklären.

Auf diesen Abend folgten für Oswald Tage des höchsten und reinsten Ge¬
wisses. Nach der Collazione des Mittags stellte sich Francesca mit ihrem Dante
w Atelier Oswalds ein, und während dieser an der Staffelei saß und sich
bemühte, die Züge des herrlichen Mädchens wiederzugeben, las dieses die Dich¬
tung vor und löste sie in ein einfaches Italienisch auf, indem sie bald über den
Gedankengang des Gesanges sprach, bald die einzelnen Szenen aus demselben
erläuterte. Es bedarf nicht der Versicherung, daß unter diesen Umständen Oswald
Mit seiner Arbeit sich nicht beeilte, und daß auch Francesca nicht ungern das


Francesca von Rimini,

verlassen. Er schickte mehrere Bilder zur Ausstellung nach Berlin und hatte
die Freude, dieselben zu guten Preisen zu verkaufen, sodaß er für die nächsten
Jahre sorglos der Zukunft entgegensehen konnte. Bevor er die Bilder absandte,
bat er Francesca und durch sie den Marchese, sich seine Werke anzusehen. Don
Baldassare ließ sich entschuldigen, wohl aber kam Francesca der Einladung nach.
Ohne besonders kunstverständig zu sein, hatte sie doch eine feine Empfindung
für das Schöne, die Oswald in Erstaunen setzte und ihn häusiger veranlaßte,
bei ihr Rat einzuholen. So kam es denn, daß Francesca hin und wieder das
Atelier besuchte, daß auch Don Baldassare dem Gaste gegenüber mehr zugäng¬
lich wurde und ihm zuletzt sogar die Erlaubnis gewährte, von Francesca ein
Porträt malen zu dürfen. Auch wurde Oswald des Abends zum Thee ein¬
geladen, zu welchem sich zuweilen auch Signor Nebccchini einfand, und so ver¬
ewigte bald die Theestunde die Bewohner des Hauses zu ihrer gegenseitige,?
Erholung in der Bibliothek des Marchese. Wenn Rebecchini anwesend war, so
führte dieser die große Unterhaltung, indem er fortwährend nach seiner Art auf
die Österreicher, Päpste und Bourbonen schimpfte, und Don Baldassare war
gütig genug, dem treuen Freunde in Geduld zuzuhören, während die junge Ge¬
sellschaft leise sich miteinander unterhielt. Genußreicher war es, wenn der
Archivar fern blieb, denn dann ließ sich der Marchese aus seinem großen Wissens¬
schatz vernehmen, und entzückte seine Zuhörer, wenn er ihnen von seinen Dante-
forschungen mitteilte. Er bekannte, daß die alpina eoinmöäig, das einzige Buch
gewesen sei, welches ihn in seiner Trübsal aufrecht erhalten habe, weil kein
andrer Dichter wie Dante den geheimsten Regungen des Herzens so nachzuspüren
vermöchte. Oswald mußte beschämt gestehen, daß er es noch niemals über sich
habe gewinnen können, sich an die Lektüre dieses Buches zu wagen, zu dessen
Verständnis erst das Durcharbeiten durch den gelehrten Apparat dickleibiger
Kommentare erforderlich wäre. Auch mußte er gestehen, daß in seiner Heimat
ein sehr frivoles Urteil von Heinrich Heine der Dantekunde in der jüngeren
Generation sehr geschadet habe, und daß es nur eine sehr kleine Gemeinde gebe,
welche sich mit dem berühmten Dichter beschäftige. Francesca stand in der Be¬
geisterung zu Dante ihren: Oheim nicht nach, und sie erbot sich mit Einwil¬
ligung des letzter», während sie dem Maler zu ihrem Porträt sitzen sollte, ihm
als Gegengeschenk die göttliche Komödie vorzulesen und zu erklären.

Auf diesen Abend folgten für Oswald Tage des höchsten und reinsten Ge¬
wisses. Nach der Collazione des Mittags stellte sich Francesca mit ihrem Dante
w Atelier Oswalds ein, und während dieser an der Staffelei saß und sich
bemühte, die Züge des herrlichen Mädchens wiederzugeben, las dieses die Dich¬
tung vor und löste sie in ein einfaches Italienisch auf, indem sie bald über den
Gedankengang des Gesanges sprach, bald die einzelnen Szenen aus demselben
erläuterte. Es bedarf nicht der Versicherung, daß unter diesen Umständen Oswald
Mit seiner Arbeit sich nicht beeilte, und daß auch Francesca nicht ungern das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154578"/>
            <fw type="header" place="top"> Francesca von Rimini,</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1221" prev="#ID_1220"> verlassen. Er schickte mehrere Bilder zur Ausstellung nach Berlin und hatte<lb/>
die Freude, dieselben zu guten Preisen zu verkaufen, sodaß er für die nächsten<lb/>
Jahre sorglos der Zukunft entgegensehen konnte. Bevor er die Bilder absandte,<lb/>
bat er Francesca und durch sie den Marchese, sich seine Werke anzusehen. Don<lb/>
Baldassare ließ sich entschuldigen, wohl aber kam Francesca der Einladung nach.<lb/>
Ohne besonders kunstverständig zu sein, hatte sie doch eine feine Empfindung<lb/>
für das Schöne, die Oswald in Erstaunen setzte und ihn häusiger veranlaßte,<lb/>
bei ihr Rat einzuholen. So kam es denn, daß Francesca hin und wieder das<lb/>
Atelier besuchte, daß auch Don Baldassare dem Gaste gegenüber mehr zugäng¬<lb/>
lich wurde und ihm zuletzt sogar die Erlaubnis gewährte, von Francesca ein<lb/>
Porträt malen zu dürfen. Auch wurde Oswald des Abends zum Thee ein¬<lb/>
geladen, zu welchem sich zuweilen auch Signor Nebccchini einfand, und so ver¬<lb/>
ewigte bald die Theestunde die Bewohner des Hauses zu ihrer gegenseitige,?<lb/>
Erholung in der Bibliothek des Marchese. Wenn Rebecchini anwesend war, so<lb/>
führte dieser die große Unterhaltung, indem er fortwährend nach seiner Art auf<lb/>
die Österreicher, Päpste und Bourbonen schimpfte, und Don Baldassare war<lb/>
gütig genug, dem treuen Freunde in Geduld zuzuhören, während die junge Ge¬<lb/>
sellschaft leise sich miteinander unterhielt. Genußreicher war es, wenn der<lb/>
Archivar fern blieb, denn dann ließ sich der Marchese aus seinem großen Wissens¬<lb/>
schatz vernehmen, und entzückte seine Zuhörer, wenn er ihnen von seinen Dante-<lb/>
forschungen mitteilte. Er bekannte, daß die alpina eoinmöäig, das einzige Buch<lb/>
gewesen sei, welches ihn in seiner Trübsal aufrecht erhalten habe, weil kein<lb/>
andrer Dichter wie Dante den geheimsten Regungen des Herzens so nachzuspüren<lb/>
vermöchte. Oswald mußte beschämt gestehen, daß er es noch niemals über sich<lb/>
habe gewinnen können, sich an die Lektüre dieses Buches zu wagen, zu dessen<lb/>
Verständnis erst das Durcharbeiten durch den gelehrten Apparat dickleibiger<lb/>
Kommentare erforderlich wäre. Auch mußte er gestehen, daß in seiner Heimat<lb/>
ein sehr frivoles Urteil von Heinrich Heine der Dantekunde in der jüngeren<lb/>
Generation sehr geschadet habe, und daß es nur eine sehr kleine Gemeinde gebe,<lb/>
welche sich mit dem berühmten Dichter beschäftige. Francesca stand in der Be¬<lb/>
geisterung zu Dante ihren: Oheim nicht nach, und sie erbot sich mit Einwil¬<lb/>
ligung des letzter», während sie dem Maler zu ihrem Porträt sitzen sollte, ihm<lb/>
als Gegengeschenk die göttliche Komödie vorzulesen und zu erklären.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1222" next="#ID_1223"> Auf diesen Abend folgten für Oswald Tage des höchsten und reinsten Ge¬<lb/>
wisses. Nach der Collazione des Mittags stellte sich Francesca mit ihrem Dante<lb/>
w Atelier Oswalds ein, und während dieser an der Staffelei saß und sich<lb/>
bemühte, die Züge des herrlichen Mädchens wiederzugeben, las dieses die Dich¬<lb/>
tung vor und löste sie in ein einfaches Italienisch auf, indem sie bald über den<lb/>
Gedankengang des Gesanges sprach, bald die einzelnen Szenen aus demselben<lb/>
erläuterte. Es bedarf nicht der Versicherung, daß unter diesen Umständen Oswald<lb/>
Mit seiner Arbeit sich nicht beeilte, und daß auch Francesca nicht ungern das</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0413] Francesca von Rimini, verlassen. Er schickte mehrere Bilder zur Ausstellung nach Berlin und hatte die Freude, dieselben zu guten Preisen zu verkaufen, sodaß er für die nächsten Jahre sorglos der Zukunft entgegensehen konnte. Bevor er die Bilder absandte, bat er Francesca und durch sie den Marchese, sich seine Werke anzusehen. Don Baldassare ließ sich entschuldigen, wohl aber kam Francesca der Einladung nach. Ohne besonders kunstverständig zu sein, hatte sie doch eine feine Empfindung für das Schöne, die Oswald in Erstaunen setzte und ihn häusiger veranlaßte, bei ihr Rat einzuholen. So kam es denn, daß Francesca hin und wieder das Atelier besuchte, daß auch Don Baldassare dem Gaste gegenüber mehr zugäng¬ lich wurde und ihm zuletzt sogar die Erlaubnis gewährte, von Francesca ein Porträt malen zu dürfen. Auch wurde Oswald des Abends zum Thee ein¬ geladen, zu welchem sich zuweilen auch Signor Nebccchini einfand, und so ver¬ ewigte bald die Theestunde die Bewohner des Hauses zu ihrer gegenseitige,? Erholung in der Bibliothek des Marchese. Wenn Rebecchini anwesend war, so führte dieser die große Unterhaltung, indem er fortwährend nach seiner Art auf die Österreicher, Päpste und Bourbonen schimpfte, und Don Baldassare war gütig genug, dem treuen Freunde in Geduld zuzuhören, während die junge Ge¬ sellschaft leise sich miteinander unterhielt. Genußreicher war es, wenn der Archivar fern blieb, denn dann ließ sich der Marchese aus seinem großen Wissens¬ schatz vernehmen, und entzückte seine Zuhörer, wenn er ihnen von seinen Dante- forschungen mitteilte. Er bekannte, daß die alpina eoinmöäig, das einzige Buch gewesen sei, welches ihn in seiner Trübsal aufrecht erhalten habe, weil kein andrer Dichter wie Dante den geheimsten Regungen des Herzens so nachzuspüren vermöchte. Oswald mußte beschämt gestehen, daß er es noch niemals über sich habe gewinnen können, sich an die Lektüre dieses Buches zu wagen, zu dessen Verständnis erst das Durcharbeiten durch den gelehrten Apparat dickleibiger Kommentare erforderlich wäre. Auch mußte er gestehen, daß in seiner Heimat ein sehr frivoles Urteil von Heinrich Heine der Dantekunde in der jüngeren Generation sehr geschadet habe, und daß es nur eine sehr kleine Gemeinde gebe, welche sich mit dem berühmten Dichter beschäftige. Francesca stand in der Be¬ geisterung zu Dante ihren: Oheim nicht nach, und sie erbot sich mit Einwil¬ ligung des letzter», während sie dem Maler zu ihrem Porträt sitzen sollte, ihm als Gegengeschenk die göttliche Komödie vorzulesen und zu erklären. Auf diesen Abend folgten für Oswald Tage des höchsten und reinsten Ge¬ wisses. Nach der Collazione des Mittags stellte sich Francesca mit ihrem Dante w Atelier Oswalds ein, und während dieser an der Staffelei saß und sich bemühte, die Züge des herrlichen Mädchens wiederzugeben, las dieses die Dich¬ tung vor und löste sie in ein einfaches Italienisch auf, indem sie bald über den Gedankengang des Gesanges sprach, bald die einzelnen Szenen aus demselben erläuterte. Es bedarf nicht der Versicherung, daß unter diesen Umständen Oswald Mit seiner Arbeit sich nicht beeilte, und daß auch Francesca nicht ungern das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/413
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/413>, abgerufen am 27.07.2024.