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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

Signor Rebecchini, Ihr seid ja der Katastrophe so nahe, nun laßt mich
auch das Ende hören.

In Trauer und in Verzweiflung über ihren Zustand saß Francesca in dem
Garten ihres Hauses, als Don Baldassare vor sie trat. Ich sehe es noch wie
gestern, denn ich hatte mich dort hinter der Scheuer zurückgehalten, aber ich
hielt, da ich Verdacht hatte, den Marchese stets im Auge, es war am 2. Sep¬
tember 1851. Sie glaubte einen Geist vor sich zu sehen, sank zusammen, und
es bedürfte langer Anstrengungen, ehe sie sich aus ihrer Ohnmacht erholte.
Nicht minder groß war die Verzweiflung von Don Baldassare, als er die Treu¬
losigkeit seines Bruders erfuhr. Aber noch bevor die beiden Unglücklichen ganz
ihr Herz ausgeschüttet hatten, war der Hof von päpstlichen Sbirren umzingelt.
Ich eilte zu Hilfe, und zwei dieser Knechte wurden niedergeschossen, aber wir
mußten der Übermacht unterliegen. Don Baldassare und ich wurden gefangen
genommen und nach Bologna ins Stciatsgefüngnis abgeführt. Ein Prozeß
wurde uns nicht gemacht, aber dafür wurden wir behandelt, als ob wir die
größten Banditen und Mörder gewesen wären. Nun, Herr, Ihr sollt davon
noch einmal hören und werdet dann nicht mehr über die historische Wildheit
meiner Landsleute schelten, daß sie vor dem Palazzo Communale von der dor¬
tigen Papstbildsäule die Inschrift heruntergerissen haben. Wer unsre Leiden
kennt, der wird uns verzeihen. -

Gewiß, Signor Rebecchini, ist es nicht geraten, nach dem ruhigen Blute,
wie es durch einen Rückblick in die Vergangenheit sanfter geworden, solche Er¬
eignisse zu beurteilen. Doch fahrt nur in Eurer Geschichte fort.

Aber eines Tages öffneten sich auch unsre Kerker, Italia hatte sich mit
mehr Glück als 1848 erhoben. Aber was war aus uns geworden! Ihr seht
es an diesen Haaren und dem zusammengebrochenen Körper, und nun stellt Euch
den Marchese vor, den noch ein besondrer Kummer mehr bedrückte. Seine Güter
waren eingezogen und verkauft, nur den alten Palazzo hatte niemand zu kaufen
gewagt, obgleich ihn die päpstliche Regierung zu Schleuderpreisen ausbot. Der
Staat setzte Don Baldassare wieder ein und gab ihm außerdem eine kleine Penston.
Aus mir machten sie den Archivar der Kommune, und wenn mir gleich das
Archivio in den ersten Jahren noch dunkel blieb, allmählich entdeckte ich in den
Urkunden eine Schandthat der frühern Regierung nach der andern. Seht, dieser
Haß brachte mir Liebe zum Archiv bei, und jetzt halten mich die Leute sogar
für einen Kenner der riminesischen Geschichte.

Und Francesca?

Diese hatte kurz nach der Gefangennehmung Baldassares, am 1. Januar
1852 einem Töchterchen das Leben gegeben und war bei dessen Geburt gestorben.
Die kleine Francesca wurde von dem Kardinallegaten in das Findelhaus ge¬
bracht und blieb dort, bis sie Don Baldassare nach seiner Befreiung heraus¬
holte und, nachdem er sie an Kindesstatt angenommen, bei sich erzog.


Grc.izbotcn IV. 18L3. ti
Francesca von Rimini.

Signor Rebecchini, Ihr seid ja der Katastrophe so nahe, nun laßt mich
auch das Ende hören.

In Trauer und in Verzweiflung über ihren Zustand saß Francesca in dem
Garten ihres Hauses, als Don Baldassare vor sie trat. Ich sehe es noch wie
gestern, denn ich hatte mich dort hinter der Scheuer zurückgehalten, aber ich
hielt, da ich Verdacht hatte, den Marchese stets im Auge, es war am 2. Sep¬
tember 1851. Sie glaubte einen Geist vor sich zu sehen, sank zusammen, und
es bedürfte langer Anstrengungen, ehe sie sich aus ihrer Ohnmacht erholte.
Nicht minder groß war die Verzweiflung von Don Baldassare, als er die Treu¬
losigkeit seines Bruders erfuhr. Aber noch bevor die beiden Unglücklichen ganz
ihr Herz ausgeschüttet hatten, war der Hof von päpstlichen Sbirren umzingelt.
Ich eilte zu Hilfe, und zwei dieser Knechte wurden niedergeschossen, aber wir
mußten der Übermacht unterliegen. Don Baldassare und ich wurden gefangen
genommen und nach Bologna ins Stciatsgefüngnis abgeführt. Ein Prozeß
wurde uns nicht gemacht, aber dafür wurden wir behandelt, als ob wir die
größten Banditen und Mörder gewesen wären. Nun, Herr, Ihr sollt davon
noch einmal hören und werdet dann nicht mehr über die historische Wildheit
meiner Landsleute schelten, daß sie vor dem Palazzo Communale von der dor¬
tigen Papstbildsäule die Inschrift heruntergerissen haben. Wer unsre Leiden
kennt, der wird uns verzeihen. -

Gewiß, Signor Rebecchini, ist es nicht geraten, nach dem ruhigen Blute,
wie es durch einen Rückblick in die Vergangenheit sanfter geworden, solche Er¬
eignisse zu beurteilen. Doch fahrt nur in Eurer Geschichte fort.

Aber eines Tages öffneten sich auch unsre Kerker, Italia hatte sich mit
mehr Glück als 1848 erhoben. Aber was war aus uns geworden! Ihr seht
es an diesen Haaren und dem zusammengebrochenen Körper, und nun stellt Euch
den Marchese vor, den noch ein besondrer Kummer mehr bedrückte. Seine Güter
waren eingezogen und verkauft, nur den alten Palazzo hatte niemand zu kaufen
gewagt, obgleich ihn die päpstliche Regierung zu Schleuderpreisen ausbot. Der
Staat setzte Don Baldassare wieder ein und gab ihm außerdem eine kleine Penston.
Aus mir machten sie den Archivar der Kommune, und wenn mir gleich das
Archivio in den ersten Jahren noch dunkel blieb, allmählich entdeckte ich in den
Urkunden eine Schandthat der frühern Regierung nach der andern. Seht, dieser
Haß brachte mir Liebe zum Archiv bei, und jetzt halten mich die Leute sogar
für einen Kenner der riminesischen Geschichte.

Und Francesca?

Diese hatte kurz nach der Gefangennehmung Baldassares, am 1. Januar
1852 einem Töchterchen das Leben gegeben und war bei dessen Geburt gestorben.
Die kleine Francesca wurde von dem Kardinallegaten in das Findelhaus ge¬
bracht und blieb dort, bis sie Don Baldassare nach seiner Befreiung heraus¬
holte und, nachdem er sie an Kindesstatt angenommen, bei sich erzog.


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[0411] Francesca von Rimini. Signor Rebecchini, Ihr seid ja der Katastrophe so nahe, nun laßt mich auch das Ende hören. In Trauer und in Verzweiflung über ihren Zustand saß Francesca in dem Garten ihres Hauses, als Don Baldassare vor sie trat. Ich sehe es noch wie gestern, denn ich hatte mich dort hinter der Scheuer zurückgehalten, aber ich hielt, da ich Verdacht hatte, den Marchese stets im Auge, es war am 2. Sep¬ tember 1851. Sie glaubte einen Geist vor sich zu sehen, sank zusammen, und es bedürfte langer Anstrengungen, ehe sie sich aus ihrer Ohnmacht erholte. Nicht minder groß war die Verzweiflung von Don Baldassare, als er die Treu¬ losigkeit seines Bruders erfuhr. Aber noch bevor die beiden Unglücklichen ganz ihr Herz ausgeschüttet hatten, war der Hof von päpstlichen Sbirren umzingelt. Ich eilte zu Hilfe, und zwei dieser Knechte wurden niedergeschossen, aber wir mußten der Übermacht unterliegen. Don Baldassare und ich wurden gefangen genommen und nach Bologna ins Stciatsgefüngnis abgeführt. Ein Prozeß wurde uns nicht gemacht, aber dafür wurden wir behandelt, als ob wir die größten Banditen und Mörder gewesen wären. Nun, Herr, Ihr sollt davon noch einmal hören und werdet dann nicht mehr über die historische Wildheit meiner Landsleute schelten, daß sie vor dem Palazzo Communale von der dor¬ tigen Papstbildsäule die Inschrift heruntergerissen haben. Wer unsre Leiden kennt, der wird uns verzeihen. - Gewiß, Signor Rebecchini, ist es nicht geraten, nach dem ruhigen Blute, wie es durch einen Rückblick in die Vergangenheit sanfter geworden, solche Er¬ eignisse zu beurteilen. Doch fahrt nur in Eurer Geschichte fort. Aber eines Tages öffneten sich auch unsre Kerker, Italia hatte sich mit mehr Glück als 1848 erhoben. Aber was war aus uns geworden! Ihr seht es an diesen Haaren und dem zusammengebrochenen Körper, und nun stellt Euch den Marchese vor, den noch ein besondrer Kummer mehr bedrückte. Seine Güter waren eingezogen und verkauft, nur den alten Palazzo hatte niemand zu kaufen gewagt, obgleich ihn die päpstliche Regierung zu Schleuderpreisen ausbot. Der Staat setzte Don Baldassare wieder ein und gab ihm außerdem eine kleine Penston. Aus mir machten sie den Archivar der Kommune, und wenn mir gleich das Archivio in den ersten Jahren noch dunkel blieb, allmählich entdeckte ich in den Urkunden eine Schandthat der frühern Regierung nach der andern. Seht, dieser Haß brachte mir Liebe zum Archiv bei, und jetzt halten mich die Leute sogar für einen Kenner der riminesischen Geschichte. Und Francesca? Diese hatte kurz nach der Gefangennehmung Baldassares, am 1. Januar 1852 einem Töchterchen das Leben gegeben und war bei dessen Geburt gestorben. Die kleine Francesca wurde von dem Kardinallegaten in das Findelhaus ge¬ bracht und blieb dort, bis sie Don Baldassare nach seiner Befreiung heraus¬ holte und, nachdem er sie an Kindesstatt angenommen, bei sich erzog. Grc.izbotcn IV. 18L3. ti

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/411>, abgerufen am 01.09.2024.