Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.die konventionellen Lügen der Äultnrmenschheit, Weshalb müssen denn die Fabriken sich gerade an die großen Städte an¬ Auch die Herren Fabrikanten würden sich viel wohler befinden, wenn sie Die konventionellen Lügen der Kulturmenschheit. i> art Twain führt in einer seiner humoristischen Erzählungen einen die konventionellen Lügen der Äultnrmenschheit, Weshalb müssen denn die Fabriken sich gerade an die großen Städte an¬ Auch die Herren Fabrikanten würden sich viel wohler befinden, wenn sie Die konventionellen Lügen der Kulturmenschheit. i> art Twain führt in einer seiner humoristischen Erzählungen einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154561"/> <fw type="header" place="top"> die konventionellen Lügen der Äultnrmenschheit,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1171"> Weshalb müssen denn die Fabriken sich gerade an die großen Städte an¬<lb/> heften? Stehen etwa dort Triebkräfte zur Verfügung, welche sich anderswo<lb/> nicht finden? Ist Grund und Boden, Lohn und Brot dort niedriger im Preise?<lb/> Was gewisse Fabriken an gewisse Plätze fesselt, Wasserkraft, Holzreichtum, Thon¬<lb/> oder Erzlager ze., kommt insgesamt dort nicht in Frage. Dampfmaschinen lassen<lb/> sich überall aufstellen, und Schienenwege hat schon fast jeder Winkel bewohnten<lb/> Landes, sodaß heute nicht mehr, wie wohl vor dreißig bis vierzig Jahren, die<lb/> Leichtigkeit und Wohlfeilheit der Verbindung für Bezug und Versandt von Roh¬<lb/> material oder Fabrikat geltend gemacht werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1172"> Auch die Herren Fabrikanten würden sich viel wohler befinden, wenn sie<lb/> fern von dem Geräusch, den Zersplitterungen und Zerstreuungen der Weltstädte<lb/> ganz ihrem Geschäft, ihrer Familie lind ihren Untergebenen lebten. Sie wissen<lb/> garnicht, welcher Reiz darin liegt, von Zeit zu Zeit sich das große Treiben<lb/> wieder anzusehen, für welches man durch das Landleben neu empfänglich ge¬<lb/> worden ist, und dann, abermals mit neu angeregter Empfänglichkeit, in die<lb/> Stille zurückzukehren. Gutsbesitzer könnten ihnen davon erzählen, wenn es sich<lb/> für Männer des Fortschritts schickte, mit Junkern sich zu unterhalten. Und der<lb/> Trieb, sich uneigennützig nützlich zu macheu, fände auch in kleinen Städten oder<lb/> Dörfern genügenden Spielraum. Anstatt für die Aufklärung der Berliner<lb/> könnten sie für Gegenwart und Zukunft ihrer Arbeiter sorgen und damit der<lb/> Allgemeinheit den größten Dienst erweisen. Wenn durchaus Reden gehalten<lb/> werden müssen, so giebt es auch dazu Gelegenheit in Gemeindeansschüssen und<lb/> Vereinen. Herr Löwe scheint allerdings zu befürchten, daß ohne ihn und sei¬<lb/> nesgleichen Berlin wieder zum Dorfe werden könnte. Das käme aber noch<lb/> auf die Probe an. „Probir ers nur" — und so weiter, wie nachzulesen in<lb/> Goethes Fastnachtsspiel vom falschen Propheten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Die konventionellen Lügen der Kulturmenschheit.</head><lb/> <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> i> art Twain führt in einer seiner humoristischen Erzählungen einen<lb/> „bösen Buben" vor, „dem es nichts schadet," berichtet von ihm<lb/> eine Fülle von Schandthaten, die alle gut endigen, und schließt<lb/> mit dem Satze: „Jetzt ist er der verruchteste, höllenmäßigste<lb/> I Hallunke in seiner Heimat, aber allgemein geachtet und Mitglied<lb/> der Gesetzgebung." Die meisten Leute lesen wohl darüber hinweg und denken,<lb/> er habe da eben einen schlechten Witz gerissen, um die Leser zum Lachen zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0396]
die konventionellen Lügen der Äultnrmenschheit,
Weshalb müssen denn die Fabriken sich gerade an die großen Städte an¬
heften? Stehen etwa dort Triebkräfte zur Verfügung, welche sich anderswo
nicht finden? Ist Grund und Boden, Lohn und Brot dort niedriger im Preise?
Was gewisse Fabriken an gewisse Plätze fesselt, Wasserkraft, Holzreichtum, Thon¬
oder Erzlager ze., kommt insgesamt dort nicht in Frage. Dampfmaschinen lassen
sich überall aufstellen, und Schienenwege hat schon fast jeder Winkel bewohnten
Landes, sodaß heute nicht mehr, wie wohl vor dreißig bis vierzig Jahren, die
Leichtigkeit und Wohlfeilheit der Verbindung für Bezug und Versandt von Roh¬
material oder Fabrikat geltend gemacht werden kann.
Auch die Herren Fabrikanten würden sich viel wohler befinden, wenn sie
fern von dem Geräusch, den Zersplitterungen und Zerstreuungen der Weltstädte
ganz ihrem Geschäft, ihrer Familie lind ihren Untergebenen lebten. Sie wissen
garnicht, welcher Reiz darin liegt, von Zeit zu Zeit sich das große Treiben
wieder anzusehen, für welches man durch das Landleben neu empfänglich ge¬
worden ist, und dann, abermals mit neu angeregter Empfänglichkeit, in die
Stille zurückzukehren. Gutsbesitzer könnten ihnen davon erzählen, wenn es sich
für Männer des Fortschritts schickte, mit Junkern sich zu unterhalten. Und der
Trieb, sich uneigennützig nützlich zu macheu, fände auch in kleinen Städten oder
Dörfern genügenden Spielraum. Anstatt für die Aufklärung der Berliner
könnten sie für Gegenwart und Zukunft ihrer Arbeiter sorgen und damit der
Allgemeinheit den größten Dienst erweisen. Wenn durchaus Reden gehalten
werden müssen, so giebt es auch dazu Gelegenheit in Gemeindeansschüssen und
Vereinen. Herr Löwe scheint allerdings zu befürchten, daß ohne ihn und sei¬
nesgleichen Berlin wieder zum Dorfe werden könnte. Das käme aber noch
auf die Probe an. „Probir ers nur" — und so weiter, wie nachzulesen in
Goethes Fastnachtsspiel vom falschen Propheten.
Die konventionellen Lügen der Kulturmenschheit.
i> art Twain führt in einer seiner humoristischen Erzählungen einen
„bösen Buben" vor, „dem es nichts schadet," berichtet von ihm
eine Fülle von Schandthaten, die alle gut endigen, und schließt
mit dem Satze: „Jetzt ist er der verruchteste, höllenmäßigste
I Hallunke in seiner Heimat, aber allgemein geachtet und Mitglied
der Gesetzgebung." Die meisten Leute lesen wohl darüber hinweg und denken,
er habe da eben einen schlechten Witz gerissen, um die Leser zum Lachen zu
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