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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Fabriken und die Großstädte.

Bedrohung der Nachbarschaft gemacht werden. Das allein müßte uns bestimmen,
sie zu isoliren.

Und nun die Gesundheitsverhältnisse! Millionen über Millionen werden
aufgewandt, um die Städter der notwendigsten Bedingungen der Existenz teil¬
haftig zu machen. Man kanalisirt und durchschwemmt, man führt Trinkwasser
aus weite" Entfernungen herbei, sorgt für reichliche Kommunikationen in den
Städten und in den Häusern, ventilirt, desinfizirt?e,; und wiederum, solcher
verständigen und wohlthätigen Bestrebungen spottend, speien die Fabriken aus
ihren Schloten Dampf, Staub und Asche auf die unglücklichen Bewohner und
verpesten die Luft mit schändlichen Gerüchen. Was der Großstädter täglich
als Luft einatmet, dessen wird er erst inne, wenn er vom Lande heimkehrend
schon auf Meilenweite den Dunstkreis seines Wohnortes mit Lunge, Nase und
Zunge spürt.

Wie verhängnisvoll für die Entwicklung der sozialen Gegensätze dus Herein¬
ziehen einer großen Arbeiterbevölkerung in Hauptstädte und Mittelpunkte des
Politischen Lebens, des Handels und Verkehrs geworden ist, weiß jedermann-
Wir denken dabei nicht so sehr an die ununterbrochene Rekrutirung der "ge¬
fährlichen" Klassen durch arbeitsscheue "Arbeiter" aus den Fabriken; dergleichen
Elemente sind stets der Anziehungskraft der großen Städte gefolgt, in den
sich mehr Gelegenheit zur Ausübung der Thätigkeit dunkler Ehrenmänner bietet
und in denen es mehr Schlupfwinkel giebt als in den kleinen, und so lange
wir uns des Segens der absoluten Freizügigkeit erfreuen, werden wir uns das
Anwachsen der Verbrecherviertel gefallen lassen müssen. Voraussichtlich erhöht
es auch den Stolz der Großmacher, daß jetzt manche deutsche Stadt wenigstens
in dieser einen Beziehung nicht mehr zu weit hinter London und Newyork
zurücksteht! Viel wichtiger ist es. daß der wirkliche Arbeiter systematisch zur Un¬
zufriedenheit mit seinem Lose geführt wird. In einer Fabrik auf dem flachen
Lande ist es nicht allein möglich, nein, die Verhältnisse führen geradeswegs darauf
hin, durch eine gewisse Gemeinsamkeit der Existenz, durch eine gesunde Wohnung,
ein Stück Gartenland den Arbeiter für die Schwere seines Tagewerks zu ent¬
schädige", seinem Leben einen freundlichen Inhalt zu geben, sein Interesse mit
dem des Fabrikherrn zu verknüpfen. In der Großstadt ist er ein Stück in der
Herde, bleibt ohne jede persönliche Beziehung zum Fabrikanten oder dessen
Vertretern, wohnt und nährt sich -- großstädtisch. Dafür kann er freilich am
Feierabend und am Sonntage Zeuge sein, wie andre, vielleicht sein eigner
"Chef," sich Genüssen hingeben, die ihm ewig unerreichbar bleiben und eben
deshalb so begehrenswert erscheinen, kann den herausfordernden Luxus gerade
w jenen Schichten kennen lernen, welche sich jetzt mit so großer Dreistigkeit als
das wahre Bürgertum aufspielen. Da wird jene Verbitterung erzeugt und ge¬
ehrt, welche tüchtige Leute den gewissenlosen Demagogen und Mundarbeitern
'W Netz treibt.


"Ärcuzbolcn IV. 188L. 49
Die Fabriken und die Großstädte.

Bedrohung der Nachbarschaft gemacht werden. Das allein müßte uns bestimmen,
sie zu isoliren.

Und nun die Gesundheitsverhältnisse! Millionen über Millionen werden
aufgewandt, um die Städter der notwendigsten Bedingungen der Existenz teil¬
haftig zu machen. Man kanalisirt und durchschwemmt, man führt Trinkwasser
aus weite» Entfernungen herbei, sorgt für reichliche Kommunikationen in den
Städten und in den Häusern, ventilirt, desinfizirt?e,; und wiederum, solcher
verständigen und wohlthätigen Bestrebungen spottend, speien die Fabriken aus
ihren Schloten Dampf, Staub und Asche auf die unglücklichen Bewohner und
verpesten die Luft mit schändlichen Gerüchen. Was der Großstädter täglich
als Luft einatmet, dessen wird er erst inne, wenn er vom Lande heimkehrend
schon auf Meilenweite den Dunstkreis seines Wohnortes mit Lunge, Nase und
Zunge spürt.

Wie verhängnisvoll für die Entwicklung der sozialen Gegensätze dus Herein¬
ziehen einer großen Arbeiterbevölkerung in Hauptstädte und Mittelpunkte des
Politischen Lebens, des Handels und Verkehrs geworden ist, weiß jedermann-
Wir denken dabei nicht so sehr an die ununterbrochene Rekrutirung der „ge¬
fährlichen" Klassen durch arbeitsscheue „Arbeiter" aus den Fabriken; dergleichen
Elemente sind stets der Anziehungskraft der großen Städte gefolgt, in den
sich mehr Gelegenheit zur Ausübung der Thätigkeit dunkler Ehrenmänner bietet
und in denen es mehr Schlupfwinkel giebt als in den kleinen, und so lange
wir uns des Segens der absoluten Freizügigkeit erfreuen, werden wir uns das
Anwachsen der Verbrecherviertel gefallen lassen müssen. Voraussichtlich erhöht
es auch den Stolz der Großmacher, daß jetzt manche deutsche Stadt wenigstens
in dieser einen Beziehung nicht mehr zu weit hinter London und Newyork
zurücksteht! Viel wichtiger ist es. daß der wirkliche Arbeiter systematisch zur Un¬
zufriedenheit mit seinem Lose geführt wird. In einer Fabrik auf dem flachen
Lande ist es nicht allein möglich, nein, die Verhältnisse führen geradeswegs darauf
hin, durch eine gewisse Gemeinsamkeit der Existenz, durch eine gesunde Wohnung,
ein Stück Gartenland den Arbeiter für die Schwere seines Tagewerks zu ent¬
schädige«, seinem Leben einen freundlichen Inhalt zu geben, sein Interesse mit
dem des Fabrikherrn zu verknüpfen. In der Großstadt ist er ein Stück in der
Herde, bleibt ohne jede persönliche Beziehung zum Fabrikanten oder dessen
Vertretern, wohnt und nährt sich — großstädtisch. Dafür kann er freilich am
Feierabend und am Sonntage Zeuge sein, wie andre, vielleicht sein eigner
»Chef," sich Genüssen hingeben, die ihm ewig unerreichbar bleiben und eben
deshalb so begehrenswert erscheinen, kann den herausfordernden Luxus gerade
w jenen Schichten kennen lernen, welche sich jetzt mit so großer Dreistigkeit als
das wahre Bürgertum aufspielen. Da wird jene Verbitterung erzeugt und ge¬
ehrt, welche tüchtige Leute den gewissenlosen Demagogen und Mundarbeitern
'W Netz treibt.


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[0395] Die Fabriken und die Großstädte. Bedrohung der Nachbarschaft gemacht werden. Das allein müßte uns bestimmen, sie zu isoliren. Und nun die Gesundheitsverhältnisse! Millionen über Millionen werden aufgewandt, um die Städter der notwendigsten Bedingungen der Existenz teil¬ haftig zu machen. Man kanalisirt und durchschwemmt, man führt Trinkwasser aus weite» Entfernungen herbei, sorgt für reichliche Kommunikationen in den Städten und in den Häusern, ventilirt, desinfizirt?e,; und wiederum, solcher verständigen und wohlthätigen Bestrebungen spottend, speien die Fabriken aus ihren Schloten Dampf, Staub und Asche auf die unglücklichen Bewohner und verpesten die Luft mit schändlichen Gerüchen. Was der Großstädter täglich als Luft einatmet, dessen wird er erst inne, wenn er vom Lande heimkehrend schon auf Meilenweite den Dunstkreis seines Wohnortes mit Lunge, Nase und Zunge spürt. Wie verhängnisvoll für die Entwicklung der sozialen Gegensätze dus Herein¬ ziehen einer großen Arbeiterbevölkerung in Hauptstädte und Mittelpunkte des Politischen Lebens, des Handels und Verkehrs geworden ist, weiß jedermann- Wir denken dabei nicht so sehr an die ununterbrochene Rekrutirung der „ge¬ fährlichen" Klassen durch arbeitsscheue „Arbeiter" aus den Fabriken; dergleichen Elemente sind stets der Anziehungskraft der großen Städte gefolgt, in den sich mehr Gelegenheit zur Ausübung der Thätigkeit dunkler Ehrenmänner bietet und in denen es mehr Schlupfwinkel giebt als in den kleinen, und so lange wir uns des Segens der absoluten Freizügigkeit erfreuen, werden wir uns das Anwachsen der Verbrecherviertel gefallen lassen müssen. Voraussichtlich erhöht es auch den Stolz der Großmacher, daß jetzt manche deutsche Stadt wenigstens in dieser einen Beziehung nicht mehr zu weit hinter London und Newyork zurücksteht! Viel wichtiger ist es. daß der wirkliche Arbeiter systematisch zur Un¬ zufriedenheit mit seinem Lose geführt wird. In einer Fabrik auf dem flachen Lande ist es nicht allein möglich, nein, die Verhältnisse führen geradeswegs darauf hin, durch eine gewisse Gemeinsamkeit der Existenz, durch eine gesunde Wohnung, ein Stück Gartenland den Arbeiter für die Schwere seines Tagewerks zu ent¬ schädige«, seinem Leben einen freundlichen Inhalt zu geben, sein Interesse mit dem des Fabrikherrn zu verknüpfen. In der Großstadt ist er ein Stück in der Herde, bleibt ohne jede persönliche Beziehung zum Fabrikanten oder dessen Vertretern, wohnt und nährt sich — großstädtisch. Dafür kann er freilich am Feierabend und am Sonntage Zeuge sein, wie andre, vielleicht sein eigner »Chef," sich Genüssen hingeben, die ihm ewig unerreichbar bleiben und eben deshalb so begehrenswert erscheinen, kann den herausfordernden Luxus gerade w jenen Schichten kennen lernen, welche sich jetzt mit so großer Dreistigkeit als das wahre Bürgertum aufspielen. Da wird jene Verbitterung erzeugt und ge¬ ehrt, welche tüchtige Leute den gewissenlosen Demagogen und Mundarbeitern 'W Netz treibt. «Ärcuzbolcn IV. 188L. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/395>, abgerufen am 27.07.2024.