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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Aus dem ^chuldbuche der Fortschrittspartei.
Patriotisches und prophetisches. 1.

rren ist menschlich, Fürst Bismarck ist ein Genie, aber immerhin
ein Mensch, und so ist auch er bisweilen dem Irrtum verfallen.
Ein Beispiel hiervon, und zwar wohl das stärkste, ist die Hoffnung,
die er 1 858 als Bundestagsgesandter in Betreff seiner patriotischen
Pläne auf den Verstand und die Gesinnung des preußischen Ab¬
geordnetenhauses setzte, eine Hoffnung, in der er sich fünf Jahre fpüter und
dann bis zu den Siegestagen von 1866 bei jeder Frage grausam getäuscht
fand. Im März 1858 verfaßte er in Frankfurt eine Denkschrift, die er dem
Minister von Schleinitz übersandte, und in der es gegen den Schluß hin hieß:
"Bei keinem Teile des deutschen Volkes und bei wenigen Staaten des Auslandes
ist zugleich die Zufriedenheit mit der eignen Regierung, die Bereitwilligkeit, der¬
selben vertrauensvoll und opferwillig entgegenzukommen, in dem Maße wie in
Preußen von dem Gefühl abhängig, daß dem Lande eine vollständige und an¬
gesehene Stellung nach außen hin gewahrt wird, und die Wahrnehmung, daß
Preußen in Deutschland von Österreich überflügelt würde, daß bairische und
sächsische, hessische und würtenbergische Majoritäten sam Bunde) irgend welchen
bestimmenden Einfluß auf Preußen wider dessen Willen mit Erfolg bean¬
spruchen könnten, wäre selbst in der heutigen Zeit der materiellen Interessen für
das preußische Volk ein schärferer Stachel zu gereizter Verstimmung, ein wirk¬
sameres Mittel zur Erregung von Unzufriedenheit als die Mehrzahl wirklicher
oder vermeintlicher Übelstände im Innern, während umgekehrt der Preuße über


Grenzboten III 1883. 8


Aus dem ^chuldbuche der Fortschrittspartei.
Patriotisches und prophetisches. 1.

rren ist menschlich, Fürst Bismarck ist ein Genie, aber immerhin
ein Mensch, und so ist auch er bisweilen dem Irrtum verfallen.
Ein Beispiel hiervon, und zwar wohl das stärkste, ist die Hoffnung,
die er 1 858 als Bundestagsgesandter in Betreff seiner patriotischen
Pläne auf den Verstand und die Gesinnung des preußischen Ab¬
geordnetenhauses setzte, eine Hoffnung, in der er sich fünf Jahre fpüter und
dann bis zu den Siegestagen von 1866 bei jeder Frage grausam getäuscht
fand. Im März 1858 verfaßte er in Frankfurt eine Denkschrift, die er dem
Minister von Schleinitz übersandte, und in der es gegen den Schluß hin hieß:
„Bei keinem Teile des deutschen Volkes und bei wenigen Staaten des Auslandes
ist zugleich die Zufriedenheit mit der eignen Regierung, die Bereitwilligkeit, der¬
selben vertrauensvoll und opferwillig entgegenzukommen, in dem Maße wie in
Preußen von dem Gefühl abhängig, daß dem Lande eine vollständige und an¬
gesehene Stellung nach außen hin gewahrt wird, und die Wahrnehmung, daß
Preußen in Deutschland von Österreich überflügelt würde, daß bairische und
sächsische, hessische und würtenbergische Majoritäten sam Bunde) irgend welchen
bestimmenden Einfluß auf Preußen wider dessen Willen mit Erfolg bean¬
spruchen könnten, wäre selbst in der heutigen Zeit der materiellen Interessen für
das preußische Volk ein schärferer Stachel zu gereizter Verstimmung, ein wirk¬
sameres Mittel zur Erregung von Unzufriedenheit als die Mehrzahl wirklicher
oder vermeintlicher Übelstände im Innern, während umgekehrt der Preuße über


Grenzboten III 1883. 8
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[0065] [Abbildung] Aus dem ^chuldbuche der Fortschrittspartei. Patriotisches und prophetisches. 1. rren ist menschlich, Fürst Bismarck ist ein Genie, aber immerhin ein Mensch, und so ist auch er bisweilen dem Irrtum verfallen. Ein Beispiel hiervon, und zwar wohl das stärkste, ist die Hoffnung, die er 1 858 als Bundestagsgesandter in Betreff seiner patriotischen Pläne auf den Verstand und die Gesinnung des preußischen Ab¬ geordnetenhauses setzte, eine Hoffnung, in der er sich fünf Jahre fpüter und dann bis zu den Siegestagen von 1866 bei jeder Frage grausam getäuscht fand. Im März 1858 verfaßte er in Frankfurt eine Denkschrift, die er dem Minister von Schleinitz übersandte, und in der es gegen den Schluß hin hieß: „Bei keinem Teile des deutschen Volkes und bei wenigen Staaten des Auslandes ist zugleich die Zufriedenheit mit der eignen Regierung, die Bereitwilligkeit, der¬ selben vertrauensvoll und opferwillig entgegenzukommen, in dem Maße wie in Preußen von dem Gefühl abhängig, daß dem Lande eine vollständige und an¬ gesehene Stellung nach außen hin gewahrt wird, und die Wahrnehmung, daß Preußen in Deutschland von Österreich überflügelt würde, daß bairische und sächsische, hessische und würtenbergische Majoritäten sam Bunde) irgend welchen bestimmenden Einfluß auf Preußen wider dessen Willen mit Erfolg bean¬ spruchen könnten, wäre selbst in der heutigen Zeit der materiellen Interessen für das preußische Volk ein schärferer Stachel zu gereizter Verstimmung, ein wirk¬ sameres Mittel zur Erregung von Unzufriedenheit als die Mehrzahl wirklicher oder vermeintlicher Übelstände im Innern, während umgekehrt der Preuße über Grenzboten III 1883. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/65>, abgerufen am 08.09.2024.