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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Zur Weltlage.

welches der alte Niederländer durch die Fenster einströmen läßt, hier ein graues,
frostiges einfällt und über die weißen Hauben, die dunkelblaue" Gewänder der
Beginnen, über das Leinenzeug und den Fußboden hinweggleitet. Die absolute
Vollendung bekämpft hier wie bei Leiht jeden Widerspruch, der sich sonst mit
gutem Recht auf den Mangel an Originalität stützen könnte. Man kann in
München heutzutage alles haben, Tizians, Holbeins, Rembrandts, Pieter de
Hvochs, wie wir im folgenden sehen werden, auch van Dycks und Correggios,
nur die spezifisch Münchener Künstler sind spärlich gesät.




Zur Weltlage.

eini die Zeitungen die Nationen repräsentierten, so hätten die letzten
Wochen in politischer Beziehung Besorgnis erregen können. Wenig¬
stens wäre dann das Verhältnis Deutschlands zu Frankreich ein
ungewöhnlich gespanntes gewesen. Die französische Presse, rich¬
tiger ein großer und besonders dreister und lauter Teil derselben,
verübte, entweder von dem hier vou Zeit zu Zeit stoßweise wieder¬
kehrenden Revanchegcfühl bewogen oder getrieben vom Bedürfnisse nach Sensation,
das zum Geschäfte gehört, wieder einmal allerlei Unfug mit Hetzerei und Gro߬
thuerei gegen den östlichen Nachbar. Das offiziöse Organ des deutschen Kanzlers
machte ihr deswegen in einem vielbemerkten Artikel Vorhaltungen, in deren Stil
man den sxiriw8 rsotor der deutschen Politik zu erkennen meinte. Drüben über
den Vogesen nahm man das übel, stellte sich als unschuldig Beklagten an, las aus
dem Artikel, der nur eine wohlgemeinte Mahnung zum Frieden, höchstens eine
gelinde Warnung war, eine unbillige Drohung heraus und erhob allerhand
Gegenklagen, die Europa überzeugen sollten, nicht in Frankreich, sondern in
Deutschland werde an Streit gedacht. Darauf von Berlin her Widerspruch und
Aufklärung der Sache und von Paris weitere Klage über deutsche Aggression.
Deutschland solle den Wunsch hegen, Frankreich ganz und gar zum Krüppel
und die Franzosen "zu bloßen Puppen ohne Kopf und Herz" werden zu sehen.
Man mache sie verantwortlich für das, was in Elsaß-Lothringen vorgehe, als
ob die Deutschen dort nicht genug Haß gesät hatten. Man beschwere sich über
die Inspektionsreise des französischen Kriegsministers nach den Ostgrenzen, als
ob Moltke nicht vor kurzem sich zu einer ähnlichen Reise bewogen gefunden
hätte. "Aber schreit, wie's euch beliebt," ruft ^aris aus, "ihr Großthuer überm
Rheine! Zischt, ihr Reptilien! Je lauter ihr schreit und je mehr ihr zischt,
desto mehr soll es uns freuen; denn jeder eurer Angriffe verschafft uns in
Europa neue Freunde." Ein Lieblingsthema der französischen Presse war die
..Verfolgung" des Metzer Roßarztes und Politikers Antoine. der nach der Auf¬
fassung des' ÜÄppöl mit seiner Feder in den Augen der Gewalthaber im Lande
das Gewicht der Bajonette von vier Armeen und der Kanonen von zwanzig
Festungen aufwog. "Niemand kaun," so antwortete das ^ouriml ach vevat's


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welches der alte Niederländer durch die Fenster einströmen läßt, hier ein graues,
frostiges einfällt und über die weißen Hauben, die dunkelblaue» Gewänder der
Beginnen, über das Leinenzeug und den Fußboden hinweggleitet. Die absolute
Vollendung bekämpft hier wie bei Leiht jeden Widerspruch, der sich sonst mit
gutem Recht auf den Mangel an Originalität stützen könnte. Man kann in
München heutzutage alles haben, Tizians, Holbeins, Rembrandts, Pieter de
Hvochs, wie wir im folgenden sehen werden, auch van Dycks und Correggios,
nur die spezifisch Münchener Künstler sind spärlich gesät.




Zur Weltlage.

eini die Zeitungen die Nationen repräsentierten, so hätten die letzten
Wochen in politischer Beziehung Besorgnis erregen können. Wenig¬
stens wäre dann das Verhältnis Deutschlands zu Frankreich ein
ungewöhnlich gespanntes gewesen. Die französische Presse, rich¬
tiger ein großer und besonders dreister und lauter Teil derselben,
verübte, entweder von dem hier vou Zeit zu Zeit stoßweise wieder¬
kehrenden Revanchegcfühl bewogen oder getrieben vom Bedürfnisse nach Sensation,
das zum Geschäfte gehört, wieder einmal allerlei Unfug mit Hetzerei und Gro߬
thuerei gegen den östlichen Nachbar. Das offiziöse Organ des deutschen Kanzlers
machte ihr deswegen in einem vielbemerkten Artikel Vorhaltungen, in deren Stil
man den sxiriw8 rsotor der deutschen Politik zu erkennen meinte. Drüben über
den Vogesen nahm man das übel, stellte sich als unschuldig Beklagten an, las aus
dem Artikel, der nur eine wohlgemeinte Mahnung zum Frieden, höchstens eine
gelinde Warnung war, eine unbillige Drohung heraus und erhob allerhand
Gegenklagen, die Europa überzeugen sollten, nicht in Frankreich, sondern in
Deutschland werde an Streit gedacht. Darauf von Berlin her Widerspruch und
Aufklärung der Sache und von Paris weitere Klage über deutsche Aggression.
Deutschland solle den Wunsch hegen, Frankreich ganz und gar zum Krüppel
und die Franzosen „zu bloßen Puppen ohne Kopf und Herz" werden zu sehen.
Man mache sie verantwortlich für das, was in Elsaß-Lothringen vorgehe, als
ob die Deutschen dort nicht genug Haß gesät hatten. Man beschwere sich über
die Inspektionsreise des französischen Kriegsministers nach den Ostgrenzen, als
ob Moltke nicht vor kurzem sich zu einer ähnlichen Reise bewogen gefunden
hätte. „Aber schreit, wie's euch beliebt," ruft ^aris aus, „ihr Großthuer überm
Rheine! Zischt, ihr Reptilien! Je lauter ihr schreit und je mehr ihr zischt,
desto mehr soll es uns freuen; denn jeder eurer Angriffe verschafft uns in
Europa neue Freunde." Ein Lieblingsthema der französischen Presse war die
..Verfolgung" des Metzer Roßarztes und Politikers Antoine. der nach der Auf¬
fassung des' ÜÄppöl mit seiner Feder in den Augen der Gewalthaber im Lande
das Gewicht der Bajonette von vier Armeen und der Kanonen von zwanzig
Festungen aufwog. „Niemand kaun," so antwortete das ^ouriml ach vevat's


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[0635] Zur Weltlage. welches der alte Niederländer durch die Fenster einströmen läßt, hier ein graues, frostiges einfällt und über die weißen Hauben, die dunkelblaue» Gewänder der Beginnen, über das Leinenzeug und den Fußboden hinweggleitet. Die absolute Vollendung bekämpft hier wie bei Leiht jeden Widerspruch, der sich sonst mit gutem Recht auf den Mangel an Originalität stützen könnte. Man kann in München heutzutage alles haben, Tizians, Holbeins, Rembrandts, Pieter de Hvochs, wie wir im folgenden sehen werden, auch van Dycks und Correggios, nur die spezifisch Münchener Künstler sind spärlich gesät. Zur Weltlage. eini die Zeitungen die Nationen repräsentierten, so hätten die letzten Wochen in politischer Beziehung Besorgnis erregen können. Wenig¬ stens wäre dann das Verhältnis Deutschlands zu Frankreich ein ungewöhnlich gespanntes gewesen. Die französische Presse, rich¬ tiger ein großer und besonders dreister und lauter Teil derselben, verübte, entweder von dem hier vou Zeit zu Zeit stoßweise wieder¬ kehrenden Revanchegcfühl bewogen oder getrieben vom Bedürfnisse nach Sensation, das zum Geschäfte gehört, wieder einmal allerlei Unfug mit Hetzerei und Gro߬ thuerei gegen den östlichen Nachbar. Das offiziöse Organ des deutschen Kanzlers machte ihr deswegen in einem vielbemerkten Artikel Vorhaltungen, in deren Stil man den sxiriw8 rsotor der deutschen Politik zu erkennen meinte. Drüben über den Vogesen nahm man das übel, stellte sich als unschuldig Beklagten an, las aus dem Artikel, der nur eine wohlgemeinte Mahnung zum Frieden, höchstens eine gelinde Warnung war, eine unbillige Drohung heraus und erhob allerhand Gegenklagen, die Europa überzeugen sollten, nicht in Frankreich, sondern in Deutschland werde an Streit gedacht. Darauf von Berlin her Widerspruch und Aufklärung der Sache und von Paris weitere Klage über deutsche Aggression. Deutschland solle den Wunsch hegen, Frankreich ganz und gar zum Krüppel und die Franzosen „zu bloßen Puppen ohne Kopf und Herz" werden zu sehen. Man mache sie verantwortlich für das, was in Elsaß-Lothringen vorgehe, als ob die Deutschen dort nicht genug Haß gesät hatten. Man beschwere sich über die Inspektionsreise des französischen Kriegsministers nach den Ostgrenzen, als ob Moltke nicht vor kurzem sich zu einer ähnlichen Reise bewogen gefunden hätte. „Aber schreit, wie's euch beliebt," ruft ^aris aus, „ihr Großthuer überm Rheine! Zischt, ihr Reptilien! Je lauter ihr schreit und je mehr ihr zischt, desto mehr soll es uns freuen; denn jeder eurer Angriffe verschafft uns in Europa neue Freunde." Ein Lieblingsthema der französischen Presse war die ..Verfolgung" des Metzer Roßarztes und Politikers Antoine. der nach der Auf¬ fassung des' ÜÄppöl mit seiner Feder in den Augen der Gewalthaber im Lande das Gewicht der Bajonette von vier Armeen und der Kanonen von zwanzig Festungen aufwog. „Niemand kaun," so antwortete das ^ouriml ach vevat's

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/635>, abgerufen am 08.09.2024.