Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.L. F. podis Haydn-Viographie. or einiger Zeit wurde in einem englischen Blatte eine deutsche Die Thatsache ist bedauerlich, aber nicht hinwegzuleugnen. Das Merkmal In den letzten dreißig Jahren hat kein Buch auf dem Gebiete der Musik¬ L. F. podis Haydn-Viographie. or einiger Zeit wurde in einem englischen Blatte eine deutsche Die Thatsache ist bedauerlich, aber nicht hinwegzuleugnen. Das Merkmal In den letzten dreißig Jahren hat kein Buch auf dem Gebiete der Musik¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153900"/> </div> <div n="1"> <head> L. F. podis Haydn-Viographie.</head><lb/> <p xml:id="ID_2025"> or einiger Zeit wurde in einem englischen Blatte eine deutsche<lb/> musikwissenschaftliche Arbeit besprochen und dabei auf eine kunst¬<lb/> historische Schule hingewiesen, welche jetzt in Deutschland bestehe<lb/> und sich namentlich mit der Durchforschung des Lebens und der<lb/> Werke mehrerer großen Musiker erfolgreich beschäftige. Das In¬<lb/> teresse, mit welchem man im England den neuen Erscheinungen der deutschen<lb/> Musikliteratur folgt, hat etwas ehrenvolles für uns, aber auch etwas beschä¬<lb/> mendes. Es giebt nicht viele Deutsche, die bedenken, daß anch jenseits des Kanals<lb/> manches gedruckt wird, was von der deutscheu Musikwissenschaft gründlich kennen<lb/> gelernt zu werden verdiente. Was die musikgeschichtliche Schule betrifft, so mag<lb/> es einem Fernerstehenden vielleicht scheinen, als ob etwas derartiges in Deutsch¬<lb/> land bestünde. Wer aber die in Frage kommenden Arbeiten genauer kennt, wird,<lb/> wenn er gewissenhaft urteilt, sagen müssen, daß die Annahme einer solchen Schule<lb/> auf einer Täuschung beruht.</p><lb/> <p xml:id="ID_2026"> Die Thatsache ist bedauerlich, aber nicht hinwegzuleugnen. Das Merkmal<lb/> einer wissenschaftlichen Schule besteht in einer bestimmten, traditionell sich fort¬<lb/> pflanzenden Methode der Forschung und in einem gewissen gemeinsamen Ziele<lb/> derselben. Das Haupt einer solchen Schule ist derjenige, welcher das Ziel<lb/> zuerst klar erkannt und Mittel und Wege gezeigt hat, wie es zu erreichen<lb/> sei. Eine solche Persönlichkeit hat es in Deutschland weder zu unsrer Zeit,<lb/> noch im vorigen Jahrhundert, noch überhaupt jemals auf dem Gebiete der<lb/> Musikgeschichte gegeben. Hier hat bis jetzt immer noch jeder auf eigne Faust<lb/> gearbeitet, ohne sich wesentlich an Vorgänger anzulehnen, es sei denn, daß er<lb/> diese auf andern Gebieten als speziell der Musikgeschichte suchte. Die Folge<lb/> ist, daß es dieser trotz des ungeheuern Stoffes, der zur Bewältigung vorliegt,<lb/> uoch immer nicht recht gelingen will, neben andern Wissenschaften als gleich¬<lb/> berechtigt zu gelten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2027" next="#ID_2028"> In den letzten dreißig Jahren hat kein Buch auf dem Gebiete der Musik¬<lb/> geschichte eine gleich große Bewegung hervorgebracht als Jahns Mozart-Biographie.<lb/> Chrhsnndcrs Werk über Händel, das alsbald sich selbständig neben Jahns Leistung<lb/> stellte, vermochte in dieser Nachbarschaft sich nur mit Mühe zu behaupten, ob¬<lb/> gleich Chrysandcr seinen Nebenmann an geschichtlichen Kenntnissen, an Weitblick<lb/> und an schriftstellerischer Originalität um ein Bedeutendes überragt. Schule hat<lb/> keiner von beiden gemacht. Von Chrysander war dies bei seiner sehr scharf<lb/> ausgeprägten Eigenart und bei der selbstgewählten Einsamkeit, in der er arbeitet,<lb/> auch weniger zu erwarten. Wohl aber hätte es bei Jahr angenommen werden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0453]
L. F. podis Haydn-Viographie.
or einiger Zeit wurde in einem englischen Blatte eine deutsche
musikwissenschaftliche Arbeit besprochen und dabei auf eine kunst¬
historische Schule hingewiesen, welche jetzt in Deutschland bestehe
und sich namentlich mit der Durchforschung des Lebens und der
Werke mehrerer großen Musiker erfolgreich beschäftige. Das In¬
teresse, mit welchem man im England den neuen Erscheinungen der deutschen
Musikliteratur folgt, hat etwas ehrenvolles für uns, aber auch etwas beschä¬
mendes. Es giebt nicht viele Deutsche, die bedenken, daß anch jenseits des Kanals
manches gedruckt wird, was von der deutscheu Musikwissenschaft gründlich kennen
gelernt zu werden verdiente. Was die musikgeschichtliche Schule betrifft, so mag
es einem Fernerstehenden vielleicht scheinen, als ob etwas derartiges in Deutsch¬
land bestünde. Wer aber die in Frage kommenden Arbeiten genauer kennt, wird,
wenn er gewissenhaft urteilt, sagen müssen, daß die Annahme einer solchen Schule
auf einer Täuschung beruht.
Die Thatsache ist bedauerlich, aber nicht hinwegzuleugnen. Das Merkmal
einer wissenschaftlichen Schule besteht in einer bestimmten, traditionell sich fort¬
pflanzenden Methode der Forschung und in einem gewissen gemeinsamen Ziele
derselben. Das Haupt einer solchen Schule ist derjenige, welcher das Ziel
zuerst klar erkannt und Mittel und Wege gezeigt hat, wie es zu erreichen
sei. Eine solche Persönlichkeit hat es in Deutschland weder zu unsrer Zeit,
noch im vorigen Jahrhundert, noch überhaupt jemals auf dem Gebiete der
Musikgeschichte gegeben. Hier hat bis jetzt immer noch jeder auf eigne Faust
gearbeitet, ohne sich wesentlich an Vorgänger anzulehnen, es sei denn, daß er
diese auf andern Gebieten als speziell der Musikgeschichte suchte. Die Folge
ist, daß es dieser trotz des ungeheuern Stoffes, der zur Bewältigung vorliegt,
uoch immer nicht recht gelingen will, neben andern Wissenschaften als gleich¬
berechtigt zu gelten.
In den letzten dreißig Jahren hat kein Buch auf dem Gebiete der Musik¬
geschichte eine gleich große Bewegung hervorgebracht als Jahns Mozart-Biographie.
Chrhsnndcrs Werk über Händel, das alsbald sich selbständig neben Jahns Leistung
stellte, vermochte in dieser Nachbarschaft sich nur mit Mühe zu behaupten, ob¬
gleich Chrysandcr seinen Nebenmann an geschichtlichen Kenntnissen, an Weitblick
und an schriftstellerischer Originalität um ein Bedeutendes überragt. Schule hat
keiner von beiden gemacht. Von Chrysander war dies bei seiner sehr scharf
ausgeprägten Eigenart und bei der selbstgewählten Einsamkeit, in der er arbeitet,
auch weniger zu erwarten. Wohl aber hätte es bei Jahr angenommen werden
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