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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung.

sprechung des Nationalitätenjammers in Österreich niemals das Wirken der
jüdischen Nationalität würdigen.

Wohinaus alles das führen soll, ist schwer zu sagen. Es ist so viel schon
durchprobirt worden, der offene und der verhüllte Absolutismus, der ganze und
der halbe Parlamentarismus, Zentralisation und Dezentralisation. Giskra ver¬
suchte die "Versöhnung auf dem Boden der Freiheit" von der einen Seite aus,
wie Graf Taaffe jetzt von der andern, und beidemal wurden die Gegensätze nur
immer unversöhnlicher. Rieger drohte neulich deu Deutschen mit dem Ab¬
solutismus für den Fall, daß sie uicht gutwillig sich beugen wollten, setzte aber
hinzu, daß dann beide Teile Ursache haben würden zu seufzen; die Jungtschechen
rufen den Verfassungsbrnch herbei in dem guten Glauben, daß sie die Gewalt
in den Händen behalten würden. Sie sollten sich hüten, dergleichen Schreck¬
bilder an die Wand zu malen, denn Ordnung wird endlich doch gemacht werden
müssen!




Die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung.

le Wahrnehmung irgend eines Gegenstandes ist offenbar nur da¬
durch möglich, daß eine gewisse geistige Thätigkeit sich einer körper¬
lichen Erscheinung bemächtigt, sodaß dasjenige, was außer uns
ist, in unser Bewußtsein aufgenommen wird. Wie nun eine geistige
Thätigkeit überhaupt auf körperliche Dinge wirken kann und wie
umgekehrt Körper wieder auf unsern Geist wirken und seine Thätigkeit hervor¬
rufen können, das hat man oft für ein unlösbar schwieriges Problem er¬
klärt. Die Brücke vom Geist zum Körper und umgekehrt habe noch niemand
geschlagen, niemand habe das beide verknüpfende Band nachzuweisen vermocht --
so kann man heute noch täglich die verständigsten Leute sagen hören. Zwischen
den beiden Grundanschauungen, von denen die eine den Geist, die andre die
Körperwelt für das Gewisseste und Sicherste hält, schwanken die Meinungen der
Gelehrten hin und her. Im Interesse des Geistes und damit der höchsten eigen¬
tümlichen Güter desselben, des Glaubens, der Religion, der Moral, des freien
Willens, werden immer erneute Versuche gemacht, die Grundlagen der Erfahrungs-
wissenschaften, die hauptsächlich auf die Körperwelt sich beziehen, zu erschüttern,
den festen Boden der Thatsachen als schwankend und durch Sinnestäuschungen
gefährdet darzustellen und als das einzige Sichere die Thatsache des Bewußt¬
seins hervorzuheben -- in Übereinstimmung mit dem LoZito, ergo sum des Des-


Die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung.

sprechung des Nationalitätenjammers in Österreich niemals das Wirken der
jüdischen Nationalität würdigen.

Wohinaus alles das führen soll, ist schwer zu sagen. Es ist so viel schon
durchprobirt worden, der offene und der verhüllte Absolutismus, der ganze und
der halbe Parlamentarismus, Zentralisation und Dezentralisation. Giskra ver¬
suchte die „Versöhnung auf dem Boden der Freiheit" von der einen Seite aus,
wie Graf Taaffe jetzt von der andern, und beidemal wurden die Gegensätze nur
immer unversöhnlicher. Rieger drohte neulich deu Deutschen mit dem Ab¬
solutismus für den Fall, daß sie uicht gutwillig sich beugen wollten, setzte aber
hinzu, daß dann beide Teile Ursache haben würden zu seufzen; die Jungtschechen
rufen den Verfassungsbrnch herbei in dem guten Glauben, daß sie die Gewalt
in den Händen behalten würden. Sie sollten sich hüten, dergleichen Schreck¬
bilder an die Wand zu malen, denn Ordnung wird endlich doch gemacht werden
müssen!




Die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung.

le Wahrnehmung irgend eines Gegenstandes ist offenbar nur da¬
durch möglich, daß eine gewisse geistige Thätigkeit sich einer körper¬
lichen Erscheinung bemächtigt, sodaß dasjenige, was außer uns
ist, in unser Bewußtsein aufgenommen wird. Wie nun eine geistige
Thätigkeit überhaupt auf körperliche Dinge wirken kann und wie
umgekehrt Körper wieder auf unsern Geist wirken und seine Thätigkeit hervor¬
rufen können, das hat man oft für ein unlösbar schwieriges Problem er¬
klärt. Die Brücke vom Geist zum Körper und umgekehrt habe noch niemand
geschlagen, niemand habe das beide verknüpfende Band nachzuweisen vermocht —
so kann man heute noch täglich die verständigsten Leute sagen hören. Zwischen
den beiden Grundanschauungen, von denen die eine den Geist, die andre die
Körperwelt für das Gewisseste und Sicherste hält, schwanken die Meinungen der
Gelehrten hin und her. Im Interesse des Geistes und damit der höchsten eigen¬
tümlichen Güter desselben, des Glaubens, der Religion, der Moral, des freien
Willens, werden immer erneute Versuche gemacht, die Grundlagen der Erfahrungs-
wissenschaften, die hauptsächlich auf die Körperwelt sich beziehen, zu erschüttern,
den festen Boden der Thatsachen als schwankend und durch Sinnestäuschungen
gefährdet darzustellen und als das einzige Sichere die Thatsache des Bewußt¬
seins hervorzuheben — in Übereinstimmung mit dem LoZito, ergo sum des Des-


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[0336] Die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung. sprechung des Nationalitätenjammers in Österreich niemals das Wirken der jüdischen Nationalität würdigen. Wohinaus alles das führen soll, ist schwer zu sagen. Es ist so viel schon durchprobirt worden, der offene und der verhüllte Absolutismus, der ganze und der halbe Parlamentarismus, Zentralisation und Dezentralisation. Giskra ver¬ suchte die „Versöhnung auf dem Boden der Freiheit" von der einen Seite aus, wie Graf Taaffe jetzt von der andern, und beidemal wurden die Gegensätze nur immer unversöhnlicher. Rieger drohte neulich deu Deutschen mit dem Ab¬ solutismus für den Fall, daß sie uicht gutwillig sich beugen wollten, setzte aber hinzu, daß dann beide Teile Ursache haben würden zu seufzen; die Jungtschechen rufen den Verfassungsbrnch herbei in dem guten Glauben, daß sie die Gewalt in den Händen behalten würden. Sie sollten sich hüten, dergleichen Schreck¬ bilder an die Wand zu malen, denn Ordnung wird endlich doch gemacht werden müssen! Die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung. le Wahrnehmung irgend eines Gegenstandes ist offenbar nur da¬ durch möglich, daß eine gewisse geistige Thätigkeit sich einer körper¬ lichen Erscheinung bemächtigt, sodaß dasjenige, was außer uns ist, in unser Bewußtsein aufgenommen wird. Wie nun eine geistige Thätigkeit überhaupt auf körperliche Dinge wirken kann und wie umgekehrt Körper wieder auf unsern Geist wirken und seine Thätigkeit hervor¬ rufen können, das hat man oft für ein unlösbar schwieriges Problem er¬ klärt. Die Brücke vom Geist zum Körper und umgekehrt habe noch niemand geschlagen, niemand habe das beide verknüpfende Band nachzuweisen vermocht — so kann man heute noch täglich die verständigsten Leute sagen hören. Zwischen den beiden Grundanschauungen, von denen die eine den Geist, die andre die Körperwelt für das Gewisseste und Sicherste hält, schwanken die Meinungen der Gelehrten hin und her. Im Interesse des Geistes und damit der höchsten eigen¬ tümlichen Güter desselben, des Glaubens, der Religion, der Moral, des freien Willens, werden immer erneute Versuche gemacht, die Grundlagen der Erfahrungs- wissenschaften, die hauptsächlich auf die Körperwelt sich beziehen, zu erschüttern, den festen Boden der Thatsachen als schwankend und durch Sinnestäuschungen gefährdet darzustellen und als das einzige Sichere die Thatsache des Bewußt¬ seins hervorzuheben — in Übereinstimmung mit dem LoZito, ergo sum des Des-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/336>, abgerufen am 08.09.2024.