Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die^Lntstehung der sinnlichen Wahrnehmung,

eurtes. Demgegenüber beruft sich die Naturwissenschaft auf ihren Fortschritt in
der Erkenntnis der Thatsachen der Körperwelt, die mehr und mehr festen Ge¬
setzen unterworfen werden. Nur gegenüber den Thatsachen des Bewußtseins
^et sie zaghaft auf und kann es nicht so bald zu glänzenden und befriedigenden
Resultaten bringen. Zwar ist jeder echte Empirist der neuesten herrschenden
Schule fest überzeugt, daß es schließlich den unablässigen Bemühungen der
Chemiker und Physiker gelingen müsse, auch die geistige Thätigkeit nach der ge¬
wunken Methode zu erklären, aber glänzende Resultate sind noch nicht auf¬
zuweisen.

Und in der That, es ist eigentlich ein seltsames und unberechtigtes Ver¬
fügen, aus dem Studium körperlicher Gegenstände, selbst wenn sie sich auf die
^atur der feinsten Nervensubstanzen oder Ätherschwinguugeu erstrecken, Aufschluß
über die Natur des Geistes erlangen zu wollen, ohne sich um die Natur des
Geistes selbst vorher zu bekümmern. Darum proklamirt Dubois-Reymond das
berühmte I^noiAwus se iAlioradimus, weil es ihm selbst absurd vorkam, daß
k'Ac so unberechtigte Hoffnung sich je erfüllen werde, ohne indessen diese Hoff¬
nung selbst darum als falsch anzuerkennen, weil sie auf einer falschen Frage¬
stellung beruhe. Darum stehen hinter den vornehmen Herren der empiristischen
Schule, welche den Anstand gegenüber den geistigen Interessen zu wahren be-
Nlüht sind, die eigentlich groben Materialisten, die den Geist völlig leugnen und
die Körperwelt als das einzig Wirkliche anerkannt wissen wollen. Sie be¬
herrschen in der That die urteilslose Masse, welche die Scheu der berühmten
Professoren, sich auf Erklärung geistiger Thätigkeiten einzulassen, nur als In¬
konsequenz deutet, hervorgerufen durch die Furcht vor den Autoritäten in
Kirche und Staat. Wer nur den Mut hat, die Konsequenzen aus den Lehren
der Naturwissenschaft voll und rein zu ziehen, der ist Materialist, so hört man
tausendfach heute die Jünger der Wissenschaft versichern, und von ihnen lernen
es die breitern Massen. Wir sollen nicht glauben, daß diese Anschauungen
w den letzten Jahrzehnten vermindert worden seien, nein, sie sind weiter aus¬
gebreitet als je.

Und doch ist es ein zweifellos anerkannter Grundsatz, daß, wenn man die
gegenseitige Wirkung zweier Dinge aufeinander kennen lernen will, man die
Eigenschaften jedes einzelnen für sich studieren muß, aber nicht von der Natur
des einen allein auf die des audern schließen darf. Wenn man wissen will,
Wie Wasser und Salz sich zu einander verhalten, so kann man das nicht aus
den Eigenschaften des Wassers allein erkennen, sondern bedarf auch dazu der
Kenntnis der Eigenschaften des Salzes. So trivial das klingt, so ist doch dieser
anfache Grundsatz von den Physiologen beim Studium der sinnlichen Wahr¬
nehmungen und der Seclenerscheinungen überhaupt nicht beachtet worden, son¬
dern fast immer wurde nugeführ so räsounirt: Vom Körper wissen wir etwas
und können mit unsern festen Methoden auf sichern Thatsachen fußend stets


Grenzboten III. 1883. 42
Die^Lntstehung der sinnlichen Wahrnehmung,

eurtes. Demgegenüber beruft sich die Naturwissenschaft auf ihren Fortschritt in
der Erkenntnis der Thatsachen der Körperwelt, die mehr und mehr festen Ge¬
setzen unterworfen werden. Nur gegenüber den Thatsachen des Bewußtseins
^et sie zaghaft auf und kann es nicht so bald zu glänzenden und befriedigenden
Resultaten bringen. Zwar ist jeder echte Empirist der neuesten herrschenden
Schule fest überzeugt, daß es schließlich den unablässigen Bemühungen der
Chemiker und Physiker gelingen müsse, auch die geistige Thätigkeit nach der ge¬
wunken Methode zu erklären, aber glänzende Resultate sind noch nicht auf¬
zuweisen.

Und in der That, es ist eigentlich ein seltsames und unberechtigtes Ver¬
fügen, aus dem Studium körperlicher Gegenstände, selbst wenn sie sich auf die
^atur der feinsten Nervensubstanzen oder Ätherschwinguugeu erstrecken, Aufschluß
über die Natur des Geistes erlangen zu wollen, ohne sich um die Natur des
Geistes selbst vorher zu bekümmern. Darum proklamirt Dubois-Reymond das
berühmte I^noiAwus se iAlioradimus, weil es ihm selbst absurd vorkam, daß
k'Ac so unberechtigte Hoffnung sich je erfüllen werde, ohne indessen diese Hoff¬
nung selbst darum als falsch anzuerkennen, weil sie auf einer falschen Frage¬
stellung beruhe. Darum stehen hinter den vornehmen Herren der empiristischen
Schule, welche den Anstand gegenüber den geistigen Interessen zu wahren be-
Nlüht sind, die eigentlich groben Materialisten, die den Geist völlig leugnen und
die Körperwelt als das einzig Wirkliche anerkannt wissen wollen. Sie be¬
herrschen in der That die urteilslose Masse, welche die Scheu der berühmten
Professoren, sich auf Erklärung geistiger Thätigkeiten einzulassen, nur als In¬
konsequenz deutet, hervorgerufen durch die Furcht vor den Autoritäten in
Kirche und Staat. Wer nur den Mut hat, die Konsequenzen aus den Lehren
der Naturwissenschaft voll und rein zu ziehen, der ist Materialist, so hört man
tausendfach heute die Jünger der Wissenschaft versichern, und von ihnen lernen
es die breitern Massen. Wir sollen nicht glauben, daß diese Anschauungen
w den letzten Jahrzehnten vermindert worden seien, nein, sie sind weiter aus¬
gebreitet als je.

Und doch ist es ein zweifellos anerkannter Grundsatz, daß, wenn man die
gegenseitige Wirkung zweier Dinge aufeinander kennen lernen will, man die
Eigenschaften jedes einzelnen für sich studieren muß, aber nicht von der Natur
des einen allein auf die des audern schließen darf. Wenn man wissen will,
Wie Wasser und Salz sich zu einander verhalten, so kann man das nicht aus
den Eigenschaften des Wassers allein erkennen, sondern bedarf auch dazu der
Kenntnis der Eigenschaften des Salzes. So trivial das klingt, so ist doch dieser
anfache Grundsatz von den Physiologen beim Studium der sinnlichen Wahr¬
nehmungen und der Seclenerscheinungen überhaupt nicht beachtet worden, son¬
dern fast immer wurde nugeführ so räsounirt: Vom Körper wissen wir etwas
und können mit unsern festen Methoden auf sichern Thatsachen fußend stets


Grenzboten III. 1883. 42
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0337" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153784"/>
          <fw type="header" place="top"> Die^Lntstehung der sinnlichen Wahrnehmung,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1469" prev="#ID_1468"> eurtes. Demgegenüber beruft sich die Naturwissenschaft auf ihren Fortschritt in<lb/>
der Erkenntnis der Thatsachen der Körperwelt, die mehr und mehr festen Ge¬<lb/>
setzen unterworfen werden. Nur gegenüber den Thatsachen des Bewußtseins<lb/>
^et sie zaghaft auf und kann es nicht so bald zu glänzenden und befriedigenden<lb/>
Resultaten bringen. Zwar ist jeder echte Empirist der neuesten herrschenden<lb/>
Schule fest überzeugt, daß es schließlich den unablässigen Bemühungen der<lb/>
Chemiker und Physiker gelingen müsse, auch die geistige Thätigkeit nach der ge¬<lb/>
wunken Methode zu erklären, aber glänzende Resultate sind noch nicht auf¬<lb/>
zuweisen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1470"> Und in der That, es ist eigentlich ein seltsames und unberechtigtes Ver¬<lb/>
fügen, aus dem Studium körperlicher Gegenstände, selbst wenn sie sich auf die<lb/>
^atur der feinsten Nervensubstanzen oder Ätherschwinguugeu erstrecken, Aufschluß<lb/>
über die Natur des Geistes erlangen zu wollen, ohne sich um die Natur des<lb/>
Geistes selbst vorher zu bekümmern. Darum proklamirt Dubois-Reymond das<lb/>
berühmte I^noiAwus se iAlioradimus, weil es ihm selbst absurd vorkam, daß<lb/>
k'Ac so unberechtigte Hoffnung sich je erfüllen werde, ohne indessen diese Hoff¬<lb/>
nung selbst darum als falsch anzuerkennen, weil sie auf einer falschen Frage¬<lb/>
stellung beruhe. Darum stehen hinter den vornehmen Herren der empiristischen<lb/>
Schule, welche den Anstand gegenüber den geistigen Interessen zu wahren be-<lb/>
Nlüht sind, die eigentlich groben Materialisten, die den Geist völlig leugnen und<lb/>
die Körperwelt als das einzig Wirkliche anerkannt wissen wollen. Sie be¬<lb/>
herrschen in der That die urteilslose Masse, welche die Scheu der berühmten<lb/>
Professoren, sich auf Erklärung geistiger Thätigkeiten einzulassen, nur als In¬<lb/>
konsequenz deutet, hervorgerufen durch die Furcht vor den Autoritäten in<lb/>
Kirche und Staat. Wer nur den Mut hat, die Konsequenzen aus den Lehren<lb/>
der Naturwissenschaft voll und rein zu ziehen, der ist Materialist, so hört man<lb/>
tausendfach heute die Jünger der Wissenschaft versichern, und von ihnen lernen<lb/>
es die breitern Massen. Wir sollen nicht glauben, daß diese Anschauungen<lb/>
w den letzten Jahrzehnten vermindert worden seien, nein, sie sind weiter aus¬<lb/>
gebreitet als je.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1471" next="#ID_1472"> Und doch ist es ein zweifellos anerkannter Grundsatz, daß, wenn man die<lb/>
gegenseitige Wirkung zweier Dinge aufeinander kennen lernen will, man die<lb/>
Eigenschaften jedes einzelnen für sich studieren muß, aber nicht von der Natur<lb/>
des einen allein auf die des audern schließen darf. Wenn man wissen will,<lb/>
Wie Wasser und Salz sich zu einander verhalten, so kann man das nicht aus<lb/>
den Eigenschaften des Wassers allein erkennen, sondern bedarf auch dazu der<lb/>
Kenntnis der Eigenschaften des Salzes. So trivial das klingt, so ist doch dieser<lb/>
anfache Grundsatz von den Physiologen beim Studium der sinnlichen Wahr¬<lb/>
nehmungen und der Seclenerscheinungen überhaupt nicht beachtet worden, son¬<lb/>
dern fast immer wurde nugeführ so räsounirt: Vom Körper wissen wir etwas<lb/>
und können mit unsern festen Methoden auf sichern Thatsachen fußend stets</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1883. 42</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0337] Die^Lntstehung der sinnlichen Wahrnehmung, eurtes. Demgegenüber beruft sich die Naturwissenschaft auf ihren Fortschritt in der Erkenntnis der Thatsachen der Körperwelt, die mehr und mehr festen Ge¬ setzen unterworfen werden. Nur gegenüber den Thatsachen des Bewußtseins ^et sie zaghaft auf und kann es nicht so bald zu glänzenden und befriedigenden Resultaten bringen. Zwar ist jeder echte Empirist der neuesten herrschenden Schule fest überzeugt, daß es schließlich den unablässigen Bemühungen der Chemiker und Physiker gelingen müsse, auch die geistige Thätigkeit nach der ge¬ wunken Methode zu erklären, aber glänzende Resultate sind noch nicht auf¬ zuweisen. Und in der That, es ist eigentlich ein seltsames und unberechtigtes Ver¬ fügen, aus dem Studium körperlicher Gegenstände, selbst wenn sie sich auf die ^atur der feinsten Nervensubstanzen oder Ätherschwinguugeu erstrecken, Aufschluß über die Natur des Geistes erlangen zu wollen, ohne sich um die Natur des Geistes selbst vorher zu bekümmern. Darum proklamirt Dubois-Reymond das berühmte I^noiAwus se iAlioradimus, weil es ihm selbst absurd vorkam, daß k'Ac so unberechtigte Hoffnung sich je erfüllen werde, ohne indessen diese Hoff¬ nung selbst darum als falsch anzuerkennen, weil sie auf einer falschen Frage¬ stellung beruhe. Darum stehen hinter den vornehmen Herren der empiristischen Schule, welche den Anstand gegenüber den geistigen Interessen zu wahren be- Nlüht sind, die eigentlich groben Materialisten, die den Geist völlig leugnen und die Körperwelt als das einzig Wirkliche anerkannt wissen wollen. Sie be¬ herrschen in der That die urteilslose Masse, welche die Scheu der berühmten Professoren, sich auf Erklärung geistiger Thätigkeiten einzulassen, nur als In¬ konsequenz deutet, hervorgerufen durch die Furcht vor den Autoritäten in Kirche und Staat. Wer nur den Mut hat, die Konsequenzen aus den Lehren der Naturwissenschaft voll und rein zu ziehen, der ist Materialist, so hört man tausendfach heute die Jünger der Wissenschaft versichern, und von ihnen lernen es die breitern Massen. Wir sollen nicht glauben, daß diese Anschauungen w den letzten Jahrzehnten vermindert worden seien, nein, sie sind weiter aus¬ gebreitet als je. Und doch ist es ein zweifellos anerkannter Grundsatz, daß, wenn man die gegenseitige Wirkung zweier Dinge aufeinander kennen lernen will, man die Eigenschaften jedes einzelnen für sich studieren muß, aber nicht von der Natur des einen allein auf die des audern schließen darf. Wenn man wissen will, Wie Wasser und Salz sich zu einander verhalten, so kann man das nicht aus den Eigenschaften des Wassers allein erkennen, sondern bedarf auch dazu der Kenntnis der Eigenschaften des Salzes. So trivial das klingt, so ist doch dieser anfache Grundsatz von den Physiologen beim Studium der sinnlichen Wahr¬ nehmungen und der Seclenerscheinungen überhaupt nicht beachtet worden, son¬ dern fast immer wurde nugeführ so räsounirt: Vom Körper wissen wir etwas und können mit unsern festen Methoden auf sichern Thatsachen fußend stets Grenzboten III. 1883. 42

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/337
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/337>, abgerufen am 08.09.2024.